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Kulturpolitik
Im Göttinger Sinn »neu«

»Die Sache will’s!« – mit diesem von Shakespeare entlehnten Slogan macht das Junge Theater zurzeit Kulturpolitik. Zwei Mal musste es Insolvenz anmelden, 2010 wurde es Opfer eines Betrugsskandals. Heute verzeichnet es stetig wachsende Zuschauerzahlen und ist aus der Göttinger Theaterlandschaft nicht wegzudenken. LitLog-Redakteurin Leonie Krutzinna sprach mit dem Intendanten des Jungen Theaters, Andreas Döring.

Von Leonie Krutzinna

Wird in Göttingen zurzeit über Theater gesprochen, dann oft in verklausulierter Verwaltungssprache. Denn die Göttinger Theater sind in allgemeine politische Entscheidungsprozesse involviert: Im Sommer 2012 unterzeichneten der Göttinger Oberbürgermeister Wolfgang Meyer und der damalige niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann den Zukunftsvertrag. Der Inhalt des Konsolidierungspakets: Schuldenerlass für Sparkurs. Göttingen muss bis 2020 einen ausgeglichenen Haushalt aufweisen, im Gegenzug wird der Stadt ein Schuldenerlass gewährt – mit 113 Millionen Euro ist das die größte Entschuldungssumme, die in Niedersachsen je bewilligt wurde. Die Einsparmaßnahmen erfordern auch eine »Neuorganisation der Theaterlandschaft in Göttingen« – so will es der Ratsbeschluss mit der laufenden Nummer EHP 054 im »Entschuldungshilfeprogramm« (EHP). Konkret bedeutet diese Maßnahme eine »Zusammenführung des Jungen Theaters mit dem Deutschen Theater«. Unkonkret bleibt allerdings bis jetzt die inhaltliche Ausgestaltung dieser Kooperation.

Leonie Krutzinna: Herr Döring, Ende 2003 musste das Junge Theater Insolvenz anmelden. Kurz darauf wurden Sie Intendant des JT. Auf SpiegelOnline wurden Sie damals mit dem Ausspruch zitiert: »Das war nicht Teil meiner Lebensplanung«. Haben Sie das Überleben des JT zu Ihrem Lebensplan gemacht?

Andreas Döring: In den letzten neun Jahren? Ja. Wollen Sie jetzt von mir wissen, ob ich das Zitat jetzt, neun Jahre später, korrigiere?

L.K.: Möchten Sie es denn korrigieren?

A.D.: Wieso sollte ich es korrigieren?

L.K.: Ich frage vor dem Hintergrund, dass Sie nun bald das JT verlassen werden.

2004 gab es die Einladung und dann den Auftrag – in der Reihenfolge – das Theater betrieblich neu aufzustellen. Partner in der Stadt und in der Verwaltung hatten ihre Unterstützung zugesagt, indem ein Zuschussvertrag für ein Jahr verabredet wurde. Die Bedingung war, dass ein privater Träger in Form eines Fördervereins, in dem bürgerschaftliches Engagement zusammenfindet, den rechtlichen Boden dieses Theaterbetriebs darstellt. Die zweite Bedingung war, dass dieser Träger sich einen Aufsichtsrat zur Seite stellt, der dann die Geschäfte auf der Entscheidungsebene lenkt, damit die Politik auch ihre Beteiligungsmöglichkeiten erhält. Das war 2004 historisch neu. Der Vertrag galt dann nur für ein Jahr, weil das neue Konstrukt sich bewähren sollte. Darauf haben sich alle gerne eingelassen, denn es war ein vernünftiger Plan. Es ging aber auch alles sehr schnell. Die Einladung kam Anfang April und dann gründen Sie mal in zwei Monaten einen neuen Betrieb. Es war eine mutige Entscheidung der Stadt, der politischen Mandatsträger und der beteiligten Personen. Der Erfolg beim Publikum, dessen mangelndes Interesse am JT Grund für die Insolvenz und die bedrohliche Lage des Theaters war, stellte sich dann in den nächsten Jahren wieder ein, was auch dazu führte, dass das Theater wieder die normale Förderung erhielt. Heute haben dieselben Mandatsträger, die das damals so wollten, andere Vorstellungen.

L.K.: Man hat also 2004 beschlossen, es nochmal mit dem JT zu versuchen.

A.D.: Die Formulierung ist falsch. Inhaltlich wurde beschlossen, dass das JT auf mehreren Ebenen einen Neustart als Grundvoraussetzung braucht, um weiter zu existieren. Das Land war damals aus seiner Bezuschussung ausgestiegen, was zum damaligen Zeitpunkt einer Zuschussminderung von 23% gleichkam. Normalerweise ist das für ein Theater der Tod.

L.K.: In der Neuorganisation damals war eine Trennung von künstlerischer Leitung und Geschäftsführung nicht vorgesehen. Daraus hat sich 2010 eine erneute Problematik ergeben.

A.D.: Falsch, das hat die Problematik von 2010 verschärft. Man muss differenzieren zwischen Ursachen und Folgen.

L.K.: 2010 stand das JT unmittelbar vor der erneuten Insolvenz. Ihnen wurden gefälschte Jahresabschlussberichte vorgelegt; Gelder wurden veruntreut. Jetzt, da Sie Intendant in Celle werden, kocht die JT-Insolvenz-Geschichte wieder hoch. In einem Leserkommentar auf nachtkritik.de wirft man Ihnen »fehlende kaufmännischer Erfahrung« vor. Wie gehen Sie mit dem Vorwurf um, Sie dürften zu keiner neuen Führungsposition gelangen, da »unter Ihrer Regentschaft nachweisbare Katastrophen« passiert seien? Schließlich entschied das Arbeitsgericht, dass Sie für den Betrug nicht haftbar gemacht werden können. Gegen den damaligen Aufsichtsrat wird aber immer noch ermittelt …

A.D.: Es ist nicht meine Aufgabe, Menschen, die ich nicht kenne, vor Unwissenheit zu schützen. Ich habe andere Aufgaben, das ist kein Thema. Man muss fein unterscheiden zwischen dem Austausch über Meinungen anderer und dem über Sachverhalte.

L.K.: Im Sommer 2014 beginnt Ihr Vertrag in Celle. Ende Februar war jedoch in der Sondersitzung des Kulturausschusses die Rede davon, dass Sie das JT schon diesen Sommer verlassen.

A.D.: Das habe ich auch gehört. Es gibt eine gesellschaftsrechtliche, arbeitsrechtliche und kollegiale Ebene – in dieser Reihenfolge. Ich treffe keine Aussagen auf einer Ebene, die sich außerhalb von rechtlichen Rahmen bewegt. Ganz konkret: Das wird in den entsprechenden Gremien verhandelt werden, die Termine dafür stehen fest. Außerdem gibt es hier einen feinen Unterschied: Der Oberbürgermeister hat gesagt, er habe von der Absicht gehört, dass es verhandelt wird, und damit hat er recht. Dass Zeitungen aus der Formulierung ›ich habe gehört, dass‹ ein Faktum machen, darüber staune ich immer wieder.

L.K.: Im Entschuldungshilfeprogramm wurde vor einem Jahr festgesetzt, dass DT und JT Kooperationsverhandlungen zur »Neuorganisation der Theaterlandschaft in Göttingen« aufnehmen sollen. Nun ist das Verfahren in letzter Zeit zu einer personalisierten Angelegenheit geworden, von Seiten des DT wurde es unterbrochen, da der Vertrag des Intendanten Zurmühle am DT nicht verlängert wurde. Sie sprechen hier von einer »nicht akzeptablen Arbeitsverweigerung gegenüber einem Ratsbeschluss«.

A.D.: Es hat Verhandlungen gegeben, in einer Zwischenphase gingen diese Verhandlungen sogar in eine miteinander abgestimmte, konstruktive Richtung. Diese Verhandlungen haben aber akut aufgehört, als es um die Frage der Intendanz-Verlängerung ging. Und nach der Entscheidung haben sie inhaltlich zu einem kompletten Stopp geführt. Inhaltlich führte das zu Folgeproblemen: Der Beschluss des Rates ist eine dreidimensionale Angelegenheit. Auf dem Boden des Ratsbeschlusses werden Konzepte gebaut, parallel dazu Raster für wirtschaftliche Rahmenbedingungen konstruiert und es gibt Personen, die das planen und umsetzen sollen. Aber der Boden ist nunmal eine Beschlussgrundlage des Stadtrates, die sich auf die Zuschussverträge direkt auswirkt. Und das ist, angesichts solcher Geldsummen, ein entscheidender Boden.

Bio

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Andreas Döring wurde 1968 geboren. Er inszenierte u.a. am Schauspielhaus Salzburg, am Theater Baden Baden, dem Staatstheater Saarbrücken sowie der Landesbühne Hannover. Seit 2004 ist Andreas Döring Intendant des Jungen Theaters Göttingen. Ab der Spielzeit 14/15 wird er Intendant am Schlosstheater Celle.

 

Junges Theater

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Das Junge Theater Göttingen entstand 1957 als innovatives und alternatives Zimmertheater. Der Schauspieler Bruno Ganz läutete hier seine Karriere ein, auch Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Kracht verwirklichten sich im Jungen Theater. Heute bietet das Haus rund 200 Zuschauern Platz. Unter Intendanz von Andreas Döring setzt das JT auf zeitgemäße Themen auch in klassischen Stoffen.

 
 
Vor dem Hintergrund zielt die öffentliche Kritik meinerseits gegen das inhaltslose Verfahren und gegen die Tatsache, dass es 2012 nicht zu einem wie vom Rat geforderten Ergebnis kam. Das ist zwar auch ein Ergebnis. Aber meine Kritik knüpft am Ratsbeschluss insofern an, als der ja nicht nur die Minderung der Zuschüsse vorsieht, sondern gleichzeitig die Theater damit beauftragt – wenn auch in unklarer Formulierung –, dass sie zur Kompensierung dieser Mindereinnahmen Maßnahmen zu finden, zu erfinden und zu ergreifen haben, die das ausgleichen. Doch diese Maßnahmen sind bisher nicht gefunden worden.

L.K.: Bis jetzt gibt es also keine kooperierenden Leistungsvereinbarungen. Im EHP heißt es ja: »Sollten die Verhandlungen über eine verstärkte Zusammenarbeit scheitern, werden die Budgets der beiden Häuser um die eingeplanten Einsparbeiträge gekürzt.«

A.D.: Sie werden 2013 nicht zu gleichen Teilen gekürzt, sondern einseitig bei uns. Die Begründung, die wir kennen, verweist auf einen dritten Partner, nämlich das Land. Der Vertrag von Land, Landkreis und Stadt mit dem Deutschen Theater hat eine Laufzeit. Und wenn die Stadt in diesem Dreiecksverhältnis einseitig einen Zuschussbetrag verändert, besteht vom Grundsatz her eine Gefährdung des Gesamtvertrages. Da unser Zuschussvertrag ohnehin ein zeitliches Ende vorsah, kann man an den Zuschussvertrag des JT ran. Der Satz, wenn es zu keiner Einigung kommt, ist qualitativ nie gefüllt worden. Es führt aber de facto dazu, dass die Minderung komplett bei uns landet. Es wird zwar darauf hingewiesen, dass das DT im Kalenderjahr 2013 auch einsparen müsse. Aber das ist nicht durch EHP V054 festgesetzt.

L.K.: Bei der Sondersitzung des Kulturausschusses war außerdem die Rede davon, dass erst eine wirtschaftliche Prüfung erfolgen müsste, um dann über ein Organisationsmodell zu entscheiden.

A.D.: Falsch. Es war im Gespräch, dass es einen Auftrag gibt, das Modell ›Fusion‹ durchzurechnen, um sich der Frage anzunähern, wie es sich mit der Einsparauflage verträgt. Ich bewerte es so: Ein Jahr lang wurde über Modelle gesprochen, ohne dass es eine tatsächliche Betrachtungsmöglichkeit aus der Perspektive der Einsparungen gegeben hat. Was das für die betriebliche Aufrechterhaltung oder für die Produktivität unseres Theaters und des DT heißt, blieb unbeachtet. Ich wundere mich, dass man etwas rechnet, ohne die inhaltliche Fragestellung zu beachten.

L.K.: Welche Vorteile erhofft sich das JT durch die Zusammenarbeit mit dem DT? Wie sähen die im EHP genannten »Synergieeffekte« idealerweise für die künstlerische Arbeit des JT aus?

A.D.: Dazu sage ich nichts. Bevor es keine Verhandlungen über Inhalte gibt, möchte ich, aus Respekt den Partnern gegenüber, nicht vorgreifen und sagen ›das und das kann ich mir vorstellen‹. Ich kann nur zusagen, dass wir sehr offen sind in Bezug auf die Berücksichtigung von Stärken, Schwächen, Chancen. Es gibt das Potenzial, dass sich die Zuschauerzahlen beider Theater zusammen steigern können, dass Luft für Kunst entsteht.

Wer ist denn zuerst das Opfer? Die Freiheit der Kunst. Der Zwang, unter solchen Bedingungen erfolgsorientiert zu arbeiten, ist so gigantisch. Die Aufgabe, einen Betrieb erfolgreich zu führen und zu erhalten, ist sehr umfassend. Niemand möchte sich dem Vorwurf der Betriebsgefährdung aussetzen. Deshalb muss eine solche Zwangssituation in einer Vision enden. Die Vision ist, dass Luft entsteht für Kunst. Eine Kooperation der Theater könnte bewirken, dass nicht jede Produktion an einen Erlöszwang gekoppelt ist.

Aus der inhaltlichen Abgrenzung können dann in der Struktur und unter den Künstlern kooperierende Potenziale entstehen. Weil man damit nicht nur ökonomisch gesprochen versucht, Zuschauerströme zu lenken, sondern weil man auch versucht, neue Signale zu senden. Neu, nicht im radikalen Sinn, sondern im Göttinger Sinn. Ich habe hierbei weniger eine feuilletonistische Perspektive auf das Theater, sondern eine göttingenspezifische.

L.K.: Welchen »göttingenspezifischen« Publikumsbegriff setzen Sie voraus?

A.D.: Unser Publikum wechselt jedes Jahr potenziell um 5000 bis 6000 junge Menschen. Alle fünf Jahre hat man in einer Höhe von 25.000 Menschen ein neues Publikum. In meiner Zeit am JT hat sich dreimal der Lehrplan für die Oberstufe geändert. Wir sind deshalb permanent daran interessiert: Was passiert in Göttingen? Welche Strömungen gibt es hier? Mit welchen Themen lässt sich Interesse wecken?

L.K.: Welche Rolle spielt jetzt das Kulturticket in Bezug auf das Zielpublikum des JT?

A.D.: In der letzten Spielzeit haben wir eine Produktion (Oleanna Anm. d. R.), eindeutig auf das Zielpublikum Studenten ausgerichtet. Allerdings ist schwer kalkulierbar, welche Produktion bei Studenten gut läuft. Studierende sind eine heterogene Gruppe. Wir haben in dieser Spielzeit einen sehr positiven Zulauf durch das Kulturticket erfahren und es ist richtig, dass wir dadurch für die nächste Spielzeit verstärkt für ein studentisches Publikum arbeiten. Anders, kulturpolitisch gesprochen: Die Erfindung des Kulturtickets ist preiswürdig. Es ist eine der besten kulturpolitischen Maßnahmen in dieser Stadt, seitdem ich hier arbeite. Ich ziehe den Hut vor dieser Idee.

L.K.: Kennen Sie Beispiel-Modelle anderer Städte, in denen Theater fusionieren mussten?

A.D.: Es wäre sicherlich sinnvoll, Personen, die solche Modelle nicht nur entwickelt haben, sondern sie auch leben, beratend hinzuzuziehen. Aber zuerst muss das Modell inhaltlich selbst entwickelt werden. Wenn man sich an Dritte wendet, muss man zuvor selbst den Inhalt des Pakets bestimmt haben. Die Frage ist: Was bedeutet es für das Publikum?

L.K.: Nochmal zurückgedacht an die Anfänge. 1957 spielte man vor 40 Zuschauern, in den späten 90ern gab es hier eine Welle von Popliteraten. Welche Marke ist das JT heute?

A.D.: Das JT ist eine Marke mit Tradition. Wenn wir Gastspiele verkaufen oder mit Schulen zu tun haben, merke ich, dass das JT durch seinen Standort in der Universitätsstadt Göttingen vielen Menschen ein Begriff ist, die das JT im Lauf ihres Studiums kennengelernt haben. Ich rede jetzt nicht von der Theaterwelt, sondern aus der Perspektive des Publikums. Innerhalb der Stadt sind wir eine Marke, wenn wir bis zu 50% der Zuschauerzahlen des DT erreichen; und wenn wir Schauspieler oder Regisseure bekommen, die an Häusern arbeiten, die mit dem DT vergleichbar sind, dann sind wir aus der Künstlerperspektive eine Marke. Marke heißt für mich, dass es Magnetismus und Strahlkraft gibt.

L.K.: Inwiefern grenzt sich denn diese Marke »Junges Theater« vom Deutschen Theater ab?

Theater funktionieren immer nur für sich und nicht gegeneinander. Theater hat nicht die Aufgabe, sich gegen jemand anderes durchzusetzen oder sich aufgrund dessen zu legitimieren, dass schon jemand anderes da ist. Jede Betrachtung, die die Theater trennen will, ist aus kreativer Perspektive tendenziell dümmlich, weil sie zur Beschneidung der Visionen führt. Wenn man sich darüber austauscht: ›Was machen wir gerne, was können wir gut, was interessiert uns?‹ kommt etwas heraus, das man im Feuilleton profilierte Gestaltung von zwei Häusern im Sinne der Vielfalt nennt. Was nie funktionieren kann, ist, wenn irgendeiner sagt, es soll so oder so sein. Das Tolle an der Kunst ist: Sie will frei sein.



Metaebene
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 Veröffentlicht am 14. März 2013
 Bild mit freundlicher Genehmigung vom Jungen Theater Göttingen
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