1808 entstand Kleists programmatische Kampfansage an Goethe und die Weimarer Klassik: das Drama Penthesilea. Das Deutsche Theater bringt nun die neue Inszenierung von Wojtek Klemm auf die Bühne. Kevin Kempke über eine Inszenierung mit betont physischer Note.
Von Kevin Kempke
Kleist ist mit normalen Maßstäben nicht zu fassen. Zeit seines Lebens war er ein rastloser Außenseiter, der mit Verachtung auf die Gesellschaft blickte, in der er sich fremd fühlte. Ob als Soldat, Zeitungsherausgeber oder Schriftsteller: Das Leben war für ihn ein ständiger Kampf. Das schlägt sich auch in seinen Werken nieder, die nicht nur mit ihrer eigentümlichen und bedrohlich-überwältigenden Sprache, sondern auch mit ihren Inhalten auf Konfrontationskurs mit Konventionen gehen. Gewalt, Destruktion und Irrationalität sind Grundelemente fast aller seiner Texte. Das 1808 entstandene Drama Penthesilea, die programmatische Kampfansage an Goethe und die Weimarer Klassik, ist aber selbst für Kleistsche Verhältnisse extrem. Rasende Amazonen, die sich die rechte Brust abreißen, um besser kämpfen zu können, wildes Schlachtengetümmel, bei dem die Grenzen zwischen Freund und Feind verschwimmen sowie die berühmte Zerfleischung Achills durch die in einer Hundemeute aufgehende Penthesilea stellen jede Inszenierung vor eine Herausforderung. Und das obwohl die blutigen Gemetzel gar nicht auf der Bühne zu sehen sind, sondern sich nur sprachlich manifestieren.
Auch die neue Inszenierung von Wojtek Klemm am Deutschen Theater kommt ohne das Massaker an Achill aus, und das ist auch gut so: Die physische Wucht der Begegnung von Griechen und Amazonen wird auch so äußerst fassbar. Schon der Einstieg in die Handlung fällt sehr dynamisch aus, wenn Odysseus (Benjamin Berger) in atemloser Hektik den Griechen zu beschreiben versucht, was er eben auf dem Schlachtfeld gesehen hat und zur Unterstützung seiner Erzählung unter vollem Körpereinsatz mit Kreide wilde Kritzeleien an die Bühnenmauer malt. Was sich wirklich im Kampf zugetragen hat, bleibt dem Zuschauer dadurch ebenso unverständlich wie die Beweggründe, die die Amazonen-Königin Penthesilea (Eve Kolb) dazu treiben, sich in den Krieg, der vor den Mauern Trojas tobt, einzuschalten. Sie durchbricht die Freund-Feind Logik, indem sie sowohl die Trojaner als auch die Griechen um König Achill angreift. Die klaren Fronten werden verwischt, keiner weiß mehr, woran er ist. Dies verweist auf einen weiteren Aspekt, den die Inszenierung betont: Die gestörte Kommunikation der Figuren untereinander.
Die Verständnislosigkeit, die sowohl zwischen den Amazonen und den Griechen als auch innerhalb der Stämme herrscht, findet ihren sinnfälligen Ausdruck in den Szenen, in denen die Akteure sich am Bühnenrand aufbauen um gegeneinander und gegen die alles übertönende Musik anzuschreien. Gescheiterte Verständigung als unvermeidliche Folge von beschränkten Perspektiven. Denn die Griechen, die als chauvinistische Egoisten dargestellt werden, sind in ihrer Weltsicht gefangen und freuen sich wie kleine Kinder, wenn ihnen ein Amazonen-Massaker (inszeniert als Schändung von Barbiepuppen) gelingt. Auch an den Kostümen wird die Opposition zwischen den Völkern deutlich: Während die Griechen uniformiert in Schutzkleidung von Spezialeinheiten auftreten, tragen die Amazonen schrille Outfits mit animalischen Haarmassen. Der Einzige, der sich aus dem wilden Treiben zunächst etwas heraushält ist Achill (Meinolf Steiner), der das übermütige Treiben seiner Gefolgsleute nur beobachtet – ohne dadurch wirklich mehr Einblick in Penthesileas Gedankenwelt zu gewinnen.
Der schwierige, sperrige Text, der den Zuschauer mit seiner überbordenden Metaphorik erschlägt, wurde mit deutlichen Kürzungen und einigen wenigen Ergänzungen versehen. Wirkt die Rezitation eines Textes vom zeitgenössischen Schriftsteller Mathias Énard zunächst wie ein Fremdkörper, entfaltet sich im Fortschreiten der Erzählung das Bild der Schweinejagd als Parallele zu den animalischen Verwirrungen, die das Stück noch bereithält. Weniger gelungen hingegen sind die gelegentlichen modernen Einsprengsel in den Text, etwa wenn Meroe feststellt »Ihr habt sie doch nicht mehr alle«, was zwar den Sinn ihrer vorherigen Rede zusammenfasst, sich allerdings in dieser Flapsigkeit nicht gut macht neben der artifiziellen und stilisierten Kleistschen Diktion. Kleists Sprache leidet aber nicht nur darunter, sondern auch unter der betont physischen Note der Inszenierung. Der eigenwillige und doch so großartige Bau der Verse geht teilweise gleich mit zu Bruch, wenn sich die Akteure zum wiederholten Male gegenseitig krachend an die Wände schmeißen.
Steht der erste Teil des Stücks noch im Zeichen des gewaltsamen Aufeinandertreffens von Griechen und Amazonen, entfaltet sich in der zweiten Hälfte die Tragödie zwischen Achill und Penthesilea, die sich zueinander hingezogen fühlen, deren kriegerische Stammesnormen aber keine Annäherung erlaubt. Achill ist, etwas überzeichnet, aber doch textlich zu begründen, in Klemms Inszenierung ein selbstsüchtiger Lüstling, der das lästige Ritual des Rosenfestes am liebsten so schnell wie möglich hinter sich bringen möchte und der sauer wird, als er merkt, dass Penthesilea nicht so funktioniert, wie er es sich vorstellt. Seine ungestümen Annäherungsversuche versucht sie abzuwehren, das Amazonengesetz will es so.
Achills Vernarrtheit in Penthesilea ist allerdings nur eine überspannte Laune – von Liebe keine Spur. Sie ist für ihn lediglich eine Trophäe, ihre Eroberung nur ein weiteres Bravourstück, mit dem er seinen Ruhm ebenso vermehren will, wie mit dem Sieg über den Trojaner-Helden Hektor. Die groteske Gesangseinlage mit der Achill sich scheinbar den Amazonen ausliefert, führt in ihrer Inszeniertheit vor Augen, dass die ganze Unterwerfung für ihn nichts ist als ein Spiel, auf das er sich eben einlassen muss, will er Penthesilea zur Frau haben. So gewalttätig und selbstsicher Achill ist, so schwach ist Penthesilea – zu schwach. Ihr Schwert ist ihr viel zu groß, zum Kämpfen eignet es sich nicht. Penthesilea bleibt in dieser Inszenierung merkwürdig blass, nichts ist zu Spüren von ihrer existenziellen Not, in die sie durch die Begegnung mit Achill gerät. Ihr Aufbäumen wirkt saft- und kraftlos, sie fällt von einer Krise in die nächste und nimmt ihre Niederlage gegen Achill zu gefasst auf, als dass man ihr die blutige Rache zutrauen würde.
Während das agonale Konzept der Inszenierung in der ersten Hälfte noch recht gut aufgeht, wird gegen Ende die Kehrseite dieser Praxis offenbar: Das Comicartige, das die Inszenierung durchzieht, verhindert, dass die Aufführung die emotionale Tiefe erreicht, durch die die eigentlich schockierende Seite des Stücks freigelegt wird, nämlich die Irrationalität Penthesileas, die auf die analytische Unzugänglichkeit der menschlichen Gefühlswelt verweist. Anstatt auch die Affekte zu überzeichnen, werden sie lieber ganz weggelassen. Nicht nur der Sprechakt, mit dem sich Penthesilea am Ende selbst tötet, wirkt hier, aufgeteilt auf alle drei Amazonen, seltsam distanziert und emotionslos. »Und jeder Busen ist, der fühlt, ein Rätsel«? Leider nicht und das ist das Problem.