Der norwegische Autor und Zeichner Lars Fiske hat das Leben des avantgardistischen Künstlers Kurt Schwitters als Comic nachgezeichnet. In Jetzt nenne ich mich selbst Merz. Herr Merz beschreitet er leichtfüßig und auf kongeniale Weise den Lebensweg des NS-verfolgten Künstlers von Hannover bis Hjertøya.
Von Leonie Krutzinna
»Weißt Du es Anna, weißt Du es schon, / Man kann Dich auch von hinten lesen. / Und Du, Du Herrlichste von allen, / Du bist von hinten, wie von vorne: / A——N——N——A.« – So heißt es in Kurt Schwitters’ berühmtestem Gedicht, das den avantgardistischen Multikünstler 1919 schlagartig berühmt machte. Das Prinzip des ›Von hinten Lesens‹ empfiehlt Schwitters allerdings nicht nur in seiner Anna Blume. Auch auf seinen Collagen steht einiges Kopf – Kaffeemühlen zum Beispiel oder Lokomotiven.
Abbild einer BiographieDer norwegische Autor und Zeichner Lars Fiske hat es sich jüngst zur Aufgabe gemacht, Kurt Schwitters’ Biographie und dessen eigenwillige Kunstauffassung in einem Comic nachzuzeichnen. Das bewegte Leben des Künstlers im wörtlichen Sinne bloß abzubilden – ohne Hilfe von erklärendem Fließtext zum zeitgeschichtlichen Kontext – ist eine Herausforderung. Schlägt man nun, frei nach Schwitters, das Buch zunächst einmal von hinten auf, zeigt sich, warum Fiskes Projekt voll und ganz geglückt ist.
Die zweiseitige Auflistung der verwendeten Quellen dokumentiert Fiskes akribische Recherche und seine Expertise als Schwitters-Biograph. Er hat sich sowohl archivarische Quellendokumente als auch nationen- und sprachenübergreifende Forschungsliteratur angeeignet. Zudem muss er die bildkünstlerischen wie literarischen Arbeiten genauestens studiert haben, um schließlich eine Auswahl von Panels zu treffen, die auf gut 100 Seiten Schwitters’ Lebensweg ohne populärwissenschaftliche Abkürzung abschreitet.
Gangbarer LesewegUm diesen Lebensweg für den Leser gang- und lesbar zu machen, dokumentiert Fiske seine eigene Reise durch das Leben von Kurt Schwitters. Er schafft somit eine Rahmenerzählung, in der man sich als Leser zusammen mit ihm und seinem norwegischen Künstlerkollegen Steffen Kverneland auf die Spuren von Kurt Schwitters begibt. Die Reise beginnt 2006 auf dem Weg von Norwegen nach Hannover, der Geburtsstadt Schwitters’. Kverneland wird dabei zur Identifikationsfigur für den unwissenden Leser, während Fiske in erläuternden Exkursen biographische und anekdotische Einblicke in Schwitters’ Leben liefert. Seine Panels werden Schwitters’ Collagestil beeindruckend ähnlich, den der Avantgardist ›Merz‹ nannte, seitdem er eine Werbeanzeige der Commerzbank so überklebt hatte, dass nur noch die mittlere Wortsilbe erkennbar war.
Die Geburtsstunde von »Merz«: Lars Fiske und seine Künstler-Biographie in Bildern.
Leichtfüßig liest man sich auf diese Weise durch die Besonderheiten des Künstlerlebens und erfährt fast beiläufig allerhand Schrulliges und Wunderliches über Kurt Schwitters: Sein Elternhaus in Hannover hat er über mehrere Stockwerke in ein abstruses Höhlensystem verwandelt und es zum »Merzbau« gemacht. Darin widmete er seinen Künstlerfreunden, etwa Hans Richter, Hannah Höch oder Hans Arp, eigene Grotten, die diese selbst gestalten durften.
Fiske wendet sich aber nicht nur dem Anekdotischen zu, sondern liefert auch literarhistorisch und sozialgeschichtlich aufschlussreiche Informationen, etwa darüber, warum Schwitters nicht in den Kreis der Berliner Dadaisten aufgenommen wurde, warum er Deutschland 1937 verlassen musste und dass seine Kunst im »Entwicklungsland der Avantgarde« im norwegischen Exil keinen Anklang fand.
PioniercomicFiskes Comic befriedigt damit selbst die manchmal so borniert auf Präzision bedachte Berufsleserschaft im Literaturwissenschaftsbetrieb, wo Comics nicht selten nur mit spitzen Fingern angefasst werden. Fiske hat einschlägige Forschungsliteratur konsultiert und für seine Aufbereitung genutzt, darüber hinaus hat er selbst Interviews mit Schwitters-Forschern und sogar Zeitzeugen geführt und dieses Material in den Comic einfließen lassen. Etwa kommt der Museumskurator zu Wort, der Schwitters’ Nachlass auf der kleinen norwegischen Insel Hjertøya verwaltet, wo Schwitters nach der Machtergreifung der Nazis sein Refugium fand. Fiske leistet also auf angenehme und gar nicht bildungshuberische Art sogar Pionierarbeit, wenn es um die Erforschung von Schwitters’ Exilsituation geht.
Schwitters’ Methode und Denken geht, so wird es in Herr Merz deutlich, in Fiskes eigenes Kunstverständnis über. Das Ergebnis kann mit Schwitters’ ›Merz‹-Kunst durchaus Schritt halten, vielmehr noch erfüllt Fiske doch gerade das, was Schwitters als treibende Kraft der Kunst sah: »Keine Generation sollte sich damit zufrieden geben, das weiterzuführen, was es schon gab. Schaffen Sie etwas Neues, um die Kunst am Leben zu halten, auch wenn es keinen Erfolg verheißt.«
Doch es scheint so, dass Fiske selbst diese Hürde genommen und die von Schwitters überklebte Silbe der »Com-Merz«-Kunst wieder freigelegt hat. Sein Comic ist nicht nur in Norwegen ein Erfolg, sondern auch im deutschsprachigen Raum, wo er jüngst im avant-verlag erschienen ist und dort bereits als Bestseller geführt wird. Auch den Feuilletons von Deutschlandfunk bis DB mobil ist das intelligente Projekt nicht entgangen. Kommerz hin oder her, was zählt sind ohnehin die symbolischen Kapitalerträge, die Fiske für seine innovative Biographie verdient.
[…] Sowohl der Band über Kurt Schwitters als auch die ebenfalls im avant-verlag erschienene Biografie “Munch” von Steffen Kverneland wurden auf culturmag.de vorgestellt. Hanspeter Ludwig schreibt: “Nerds nehmen Nerds ins Visier, das Ergebnis: Großartig.” Als “leichtfüßig” und “kongenial” wird Fiskes Band über Kurt Schwitters von Leonie Krutzinna auf litlog.de bezeichnet: “Kongenial im Gleichschritt”. […]