Im Literarischen Zentrum war am 11. November 2010 Sineb El Masrar, Herausgeberin von Deutschlands erstem multikulturellen Frauenmagazin, zu Gast. Die in Hannover geborene Tochter marokkanischer Einwanderer hat in Berlin einen selbstfinanzierten Verlag gegründet. Seit 2006 erscheint die Gazelle. Die Moderation des Gesprächs übernahm die Dramaturgin und Autorin Luise Rist.
Von Sjoukje Dabisch
Das Zentrum war voll besetzt. Das Publikum war ein multiethnisches, darunter auch Männer, die sich für das Thema des Abends interessiert zeigten. Es war klar, dass es keine Lesung werden würde, auf den Rest war man gespannt. Es setzte ein lockeres Gespräch zwischen Sineb El Masrar und der Moderatorin ein, in dem El Masrar auch nüchtern ihr Dasein auf dem Podium reflektierte: Sie setzt auf Pressearbeit, für klassische Werbung sei kein Budget vorhanden. El Masrars Schritt in die Selbstständigkeit war auch von frühen Erfahrungen befördert; bereits als Kind hatte sie für ihre Mutter sowohl Werbeschreiben von Discountern als auch behördliche Briefe übersetzt. Die Do-it-yourself-Einstellung prägt sie: Die erste Ausgabe der Zeitschrift hatte sie selbstgelayoutet.
Die Autorinnen und Autoren, die für die Gazelle schreiben, sind über die Kontinente verteilt, manche befinden sich in Deutschland. Die Zeitschrift soll nicht nur Interessen muslimischer Frauen in Deutschland ansprechen, sondern die aller mit sogenanntem Migrationshintergrund (Stichwort: Ethnomarketing). Doch unter den Abonnentinnen sind auch viele Deutsche ohne Migrationsgeschichte. Kopftücher sind in der Gazelle nicht präsent und auch keine Werbeanzeigen mit blonden Frauen. Die Frage nach dem Namen der Zeitschrift, die die Chefredakteurin immer wieder beantworten muss, wurde auch gestellt und beantwortet: »Gazelle« sei nicht nur der Name eines grazilen Tieres, sondern auch ein persischer Kosename. »Petra« sei schon vergeben gewesen und »Aishe« oder »Fatma« sollte es nicht werden, sagt El Masrar schmunzelnd.
Sineb El Masrar ist eine junge Frau, die schnell und deutlich spricht, gut gelaunt auftritt und, man möchte sagen, authentisch wirkt. Die zierliche, schwarzhaarige Frau vertritt ihre Ansichten an diesem Abend, wie bereits in diversen Medien. Ihre Meinungen sind differenziert. Sie weiß, wie oft wegen des Aussehens oder Namens unmögliche Fragen wie: »Wo kommst du her?« gestellt werden. Dann sagt man irgendwann Türkei, weiß El Masrar und möchte trotz alltäglichem Rassismus nicht resignieren. Das ist nicht ihre Art. Sie sagt, sie habe sich trotz der für Migrantenkinder üblichen Hauptschulempfehlung entschieden, die Realschule zu besuchen, weil sie dort Französisch lernen konnte. Unterschätzung als Antrieb. Aufstehen, Dreck vom Röckchen klopfen und nicht verbittern, so Sineb El Masrar.
Die Veranstaltung gab den Anschein eines Gesprächs zwischen Freundinnen, die Vorgegebenes hinterfragen. Etwa wenn es sich um Vorabendserien dreht und weshalb es dort keine ›normalen‹ Rollen für Ausländerinnen gebe, stattdessen müsse die Türkin immer die Putzfrau oder die Geschlagene spielen. Binationale Partnerschaften seien in der Wahrnehmung von außen geprägt durch eigentümliche Dramatik und Exotik. Wenige Ausnahmen wie Türkisch für Anfänger würden nicht zur Normalität auch wegen des Rückfalls namens Sarrazin, erklärt Sineb El Masrar freundlich lächelnd. Wieso es im Fernsehprogramm nicht möglich sei, dass sich Fatma und Torsten in einer Werbeagentur verlieben, ohne dass erklärt werden muss, wieso Fatma so gut deutsch spricht, ist interessant, ganz unabhängig davon, ob man sich für besagte Serien interessiert.
Die Atmosphäre im Literarischen Zentrum war durch die Offenheit des Gastes und die wie improvisiert wirkende Gesprächslenkung an diesem Abend erfreulich gut. Nachfragen vermittelten den Eindruck eines regen Interesses von Seiten des Publikums. Sineb El Masrar erzählte von dem, womit sie sich gut auskennt und was für manche Besucher neu war. Sie hat etwa über das Bilderverbot im Koran nachgelesen und so eindeutig, wie ihre Eltern es ihr vorgegeben hatten, steht es dort nicht. Das NKOTB-Poster hätte nicht versteckt an die Innenwand des Kleiderschrankes gemusst. Im Islam gehe es, wie im Christen- und Judentum, eigentlich darum, dass Menschen freundlicher zueinander sind. Wie in der Ringparabel.
Explizit auf das Thema Emanzipation kam das Gespräch in der Fragerunde. Die Gazelle vermittelt Beauty und Feminismus nebeneinander: Selbstbewusstsein durch Attraktivität und Erfolg. Doch, erinnert Sineb El Masrar, in anderen Kulturen ist auch der Feminismus ein anderer. Viele scheinbare Widersprüche lösten sich bei differenzierter Betrachtung auf. Menschenrechte neben Haarstyling. Umweltschutz und Maxim Biller neben Arganöl und Himbeerdessert. Warum denn nicht? Und natürlich weniger Opfer, mehr Alltag. Es wurde noch manches angesprochen und nicht alles geklärt; etwa der Unterschied zwischen Fremden und Herkunftsdeutschen. Wer ist ›wir‹? Und warum? Die Zeit verging schnell.