In der Premiere von Das Gänsehautliesel kehrt zurück im ThOP will das Gänsehautliesel seine Zuschauer mit unheimlichen Geschichten über Göttingen erneut fesseln. Dank viel Komik, Spannung und ausgezeichneter schauspielerischen Leistung bleibt ein begeistertes Publikum zurück.
Von Julia Woisch
Auf der kleinen Bühne in der Mitte des Saals herrscht Chaos: Ein umgeworfener Bürostuhl, der Oberkörper einer Schaufensterpuppe, Kartons, Papiere und anderes Gerümpel liegen verteilt. Definitiv das Gegenteil eines geordneten Bühnenbildes. Hier soll man sich gruseln? Das Theater im OP ist gut besucht, die Bänke längst alle belegt mit Besuchern, die sich angeregt unterhalten und ihre Weingläser und Bierflaschen beim Anstoßen klirren lassen. Klappstühle müssen geholt werden, werden eng aneinander neben den Bänken aufgestellt und bieten auch den letzten eintreffenden Gästen Platz.
Als die Bühnenbeleuchtung angeht, verstummt das Geplauder schlagartig, weicht einem gebannten Beobachten der Bühne, auf der nun ein Staubsauger ertönt. Götz Lautenbach übernimmt an diesem Abend die Rolle des Gänsehautliesels, die »schwarze Schwester« des Göttinger Gänseliesels, das als Wahrzeichen der Universitätsstadt gilt. Er betritt mit einem pinken Kittel, Kopftuch und weiß geschminktem Gesicht die Bühne. Gelächter. Das »Liesel« beginnt halbherzig aufzuräumen, erzählt von der Institution des Theaters im OP, der Sanierung des Daches, den Umbauarbeiten. Publikumsbezogene Gags lockern die Stimmung immer wieder auf, ehe die erste eigentliche Schauermär beginnt und das Gelächter gespannt verstummt.
Lautenbachs schaurige Interpretation des Liesels betrat 2010 zum ersten Mal die Bühne des Theaters im OP. Damals hatte er seine Figur noch im Rahmen der Vorweihnachts-Reihe Geschichten aus der Gruft präsentiert, ehe das Gänsehautliesel wenig später in eigenem Programm begann, unheimliche Geschichten aus Göttingen darzubieten. Auch diesmal spukt es sich durch drei Erzählungen: Die erste handelt von einem Göttinger Barbier, der stets die Professoren der Universität rasierte, ehe er eine besondere Begegnung mit dem Teufel hat. Die zweite beschreibt das Erlebnis des jungen Mädchens Leonore, das von einem unheimlichen Reiter zum Brautbett geführt wird. Der Abend endet mit einem Pelzhändler, der bei seinem Besuch in Göttingen feststellen muss, dass er das falsche Mädchen geküsst hat.
Lautenbach als Gänsehautliesel bleibt nicht bloße Erzählinstanz. Er trägt die drei Geschehnisse frei vor und übernimmt dabei jede Rolle, haucht diesen mittels Gestik, Mimik und verstellter Stimme so überzeugend Leben ein, als herrsche buntes Treiben auf der Bühne – erstaunliche Effekte für eine Ein-Mann-Show. Elemente des scheinbar zufällig umherliegenden Gerümpels im Bühnenbild werden in die Geschichten eingebaut, ebenso fein abgestimmt auch die Beleuchtung: Schreitet die Nacht in der Erzählung voran und lässt das Geschäft des Barbiers immer dunkler erscheinen, geschieht dies auch auf der Bühne. Zwischen den Erzählungen agiert das Gänsehautliesel selbst immer wieder mit dem Publikum, durchbricht die vierte Wand und setzt auf Gags und Lockerheit, die die Stille und Anspannung der Zuschauer auflösen.
Die drei Legenden selbst, die wie erwähnt in Göttingen spielen und dadurch sympathischen Wiedererkennungswert generieren, sind allerdings nur bedingt unheimlich. Weder der Göttinger Barbier, noch Leonore und auch nicht der Pelzhändler sorgen bei Gruselfreunden für wirklich unheimliche Gänsehaut-Momente. Dennoch sind die Mären, die von den Autoren Gottfried August Bürger, Robert Macnish und Friedrich Friedland stammen, unterhaltsam und erzeugen eine fesselnde Stimmung.
Der Applaus am Ende der Vorstellung will gar nicht abbrechen, mitgerissen wurde das Publikum durch die grandiose Darstellung der verschiedenen Charaktere, vollen Körpereinsatz und eine überraschend unterhaltsame Gesangseinlage. Götz Lautenbach rauscht durch die Atmosphäre, die er in betreffenden Momenten dicht und spannungsgeladen zu konstruieren vermag. Die Zuschauer werden Zeugen einer gut durchdachten, kreativen Feier des Unheimlichen und eines erfrischenden Minimalismus in Bühnenbild und Kostüm. Zurecht beklatscht man die Rückkehr des ins unheimlich Absurde transformierten Göttinger Wahrzeichens. Wir möchten in den Folgejahren mehr davon. Denn bei Kälte und Dunkelheit gruselt es sich in Gemeinschaft eben doch noch am allerbesten.