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Geblendet von Weihnachten

Maruan Paschen zeigt in seinem Roman Weihnachten, was Literatur alles kann. Dabei ironisiert er nicht nur das Fest der Liebe und den Literaturbetrieb, sondern weitet sein Themenspektrum auf weitaus ernstere Inhalte aus.

Von Anika Tasche

Weihnachten: Das Fest der Liebe, der Familie, der Traditionen und Rituale. Spätestens wenn sich am Heiligen Abend die Familie um den Tisch versammelt, ist auch das letzte Familienmitglied in Weihnachtsstimmung. Dann geht das Wettessen los: Ob es Kartoffelsalat und Würste sind, die klassische Weihnachtsgans oder eben – wie in Maruan Paschens Roman – Fondue, jede Familie hat da ihre eigenen Traditionen, die dieses Fest im Vergleich zu anderen Feiertagen so besonders macht.

In Paschens zweitem Buch Weihnachten versammeln sich fünf Onkel, die alleinerziehende Mutter und der Sohn, aus dessen Perspektive der Roman erzählt wird, um gemeinsam Weihnachten zu feiern. Sicherlich nicht nur in dieser Familie ist es Gang und Gebe, an Weihnachten auch in Erinnerungen zu schwelgen, und so erfährt die*der Rezipient*in die eine oder andere Anekdote aus dem Leben des Protagonisten, der den gleichen Namen trägt wie der Autor selbst. An Weihnachten muss man jedoch auch Rücksicht nehmen und einige Dinge besonders bedenken. Das geht schon beim Schenken los, denn eine Seife als Geschenk kann schnell als Kritik an mangelnder Körperhygiene aufgefasst werden, und auch Geschenke auspacken ist nicht so einfach wie vielleicht angenommen.

Wie packen Sie Geschenke aus? Früher habe ich das Geschenkpapier von den Geschenken heruntergerissen. Meine Mutter hat mir erklärt, dass es eine Wertschätzung sei, seine Geschenke vorsichtig auszupacken. […] Dann hat sie mir gezeigt, wie man ein Geschenk vorsichtig schüttelt und horcht, wie man daran riecht und wie man sagt »Hoffentlich ist es ein Buch!«

Große literarische Motive ganz klein

Oftmals muss man lachen, wenn typische weihnachtliche Situationen dargestellt und ironisiert werden. Doch nicht nur das Fest der Liebe nimmt der Autor auf den Arm, auch der Literaturbetrieb kommt nicht ungeschoren davon.

Ich möchte die besondere Bedeutung der Eiche gerne festhalten:
Es muss ja nicht immer alles, denke ich.
Und weil nicht immer alles muss, ist eine Eiche vielleicht einfach eine Eiche.
Das ist eine besondere Bedeutung. Verstehen Sie? Ich will Ihnen ja nur von meinem Weihnachtsfest erzählen. Aber es geht eben auch um Eichen und Walnusssoße und Handschellen.

Man denke nur an Tolstois Monumentalwerk Krieg und Frieden und wie einer seiner Protagonisten ein plötzliches Erweckungserlebnis hat, als er vor einer Eiche steht:

Am Wegesrand stand eine Eiche […], zwischen all den lächelnden Birken. […] ›Frühling und Liebe und Glück‹ schien diese Eiche zu sagen. […] ›Ja, sie hat recht, tausendmal recht hat diese Eiche‹, dachte Fürst Andrej

Frank Witzel, der auf Wunsch Paschens Lesung im Hessischen Literaturforum moderieren durfte, sagt über Weihnachten:

Beinahe 150 Jahre hat es gedauert, bis dem berühmten Satz aus Tolstois Anna Karenina ›Alle glücklichen Familien gleichen einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich‹ ein literarischer Gegenentwurf folgt, der diese Behauptung nicht nur hinterfragt, sondern als völlig überholt erscheinen lässt. (Zitat nach Buchrücken)

Die meisten Leser*innen finden sich und auch ihre Familie wohl in der einen oder anderen Erzählung wieder, sodass Witzel nur zugestimmt werden kann. Aber auch der Buchpreisträger wird bei seiner Lektüre festgestellt haben, dass ebenso sein prämierter Roman Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 aufs Korn genommen wird, denn Paschen zeigt nicht nur, dass die Ansichten der großen Weltliteratur mittlerweile überholt sind, er schafft es auch, seine Generation auf nur wenigen Seiten darzustellen.

Meine Generation findet, dass man schwul nicht als Schimpfwort benutzt, Schwuchtel aber schon. Meine Generation findet das mit den Frauenrechten gut, aber meine Generation findet auch, dass es trotzdem Fotzen gibt.

Witzel hat mehr als 800 Seiten gebraucht, um seine Generation abzubilden, und auch Thomas Mann mit den Buddenbrooks benötigt weitaus mehr Seiten, um Familie und Generation in den Fokus zu rücken. Selbstverständlich ist es ein Unterschied, ob man einen Zeitroman, einen Gesellschaftsroman oder eben wie Paschen einen Familienroman schreibt. Weihnachten spielt jedoch mit der Genrefrage so sehr, dass er in großen Teilen weitaus mehr ist als ein klassischer Familienroman.

Viel mehr als nur Weihnachten

Buch


Maruan Paschen
Weihnachten
Matthes & Seitz: Berlin 2018
196 Seiten, 20,00€

 
 
Maruan Paschen hätte es bei einer unterhaltsamen Erzählung über das Fest der Feste belassen können, bei der er gelegentliche Seitenhiebe auf den Literaturbetrieb ausübt, denn es ist einfach großartig, wie er die eine oder andere Tradition und Situation, die doch in jeder Familie ähnlich auftritt, auf die Schippe nimmt. Doch damit gibt sich der junge Autor nicht zufrieden. Schnell merkt die*der Leser*in, dass bei den Paschens etwas nicht stimmt. Ausnahmslos alle Familienmitglieder befinden sich in einer Therapie und dies trifft auch auf den Erzähler zu. Der ganze Roman ist ein Gespräch mit Dr. Gänsehaupt, wobei nicht wirklich von Gespräch gesprochen werden kann, denn der Therapeut selbst kommt nie zu Wort. So stellt sich nicht nur hier die Frage: Was ist wahr und was ist erfunden? Nicht alles lässt sich in diesem Roman entschlüsseln, doch eine Tendenz ist zu erkennen: Von den amüsanten Berichten über Weihnachten und den damit zusammenhängenden Erinnerungen bewegt sich die Handlung immer mehr zu anderen Themen hin, die deutlich ernstere Hintergründe besitzen.

Paschen selbst ist in Ramallah geboren, wuchs jedoch in Hamburg auf. Wie es ist, mit arabischen Wurzeln in Deutschland zu leben, spart er in Weihnachten nicht aus:

Klar ist deutsch, wer Riesling trinkt und Bratensaft nicht vom Teller schlürft. Aber Sie, Herr Gänsehaupt, sind ja noch lange kein Deutscher, nur weil Sie Riesling trinken und Bratensoße mit Brot stippen.

Und auch diese romantische Sache mit der Liebe ist doch gar nicht immer so einfach und mündet nicht zwangsläufig in einem Happy End. Sowohl der Erzähler als auch sein Onkel mussten dies bereits feststellen. »Maria wäre die perfekte Frau für Tarzan, aber auch für alle anderen. Leider existiert sie nur zwischen zwei Gläsern Wein zu Weihnachten.« Ganz weg vom Romantitel Weihnachten sind wir jedoch erst, wenn es immer mehr um den Mord geht, den der Erzähler gleich auf der ersten Seite als Grund für seine Therapie nennt.

Der Roman als großes Spiel

Paschen spielt zeitgleich auf vielen Ebenen, nicht nur mit Erwartungen, die der Romantitel hervorruft, sondern ebenso mit literarischen Konventionen. Er ironisiert sowohl Weihnachten als auch den Literaturbetrieb, zeigt jedoch genauso, wie viel Spielraum ein Roman bieten kann. Neben vielen Lachern kommen allerdings auch Fragen auf, die nicht immer zu beantworten sind, zum Beispiel, ob Dr. Gänsehaupt als Gesprächspartner wirklich existiert. Weihnachten ist ein unterhaltsames Buch, das weitaus mehr bietet als nur Anekdoten über das Fest der Liebe. Ein Roman, den man nicht nur an Weihnachten lesen kann, mit dessen Freiräumen man allerdings umzugehen wissen muss.



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 Veröffentlicht am 8. Dezember 2018
 Kategorie: Belletristik
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