Wie »wahr« ist eigentlich Literatur? Ist gute Literatur eine Lüge? Daniela Lottmann äußert sich als zweite Stimme zu Klaus Modicks Literaturbetriebssatire Bestseller in der Reihe »2 Stimmen, 1 Roman« und erklärt: Ein Buch, was man nicht lesen mag, es aber mag, gelesen zu haben.
Von Daniela Lottmann
Drei Seiten gelesen, es geht um Nacktheit, Brüste und Dieter Bohlen: Hallo, Bildzeitung!
Der Protagonist Lukas Domcik versagt auf mehreren Ebenen. Die Werke des Schriftstellers verkaufen sich nur mäßig, seine Kinder rufen nur an, wenn sie Geld brauchen und es gibt keine Hinweise darauf, dass seine Frau ihn lieben könnte. Während der ausbleibende berufliche Erfolg aber tatsächlich an ihm nagt, scheint ihn die Sache mit seiner Frau nicht sehr zu berühren. Seine allgemeine soziale Kompetenz strebt ohnehin gegen Null; im Grunde mag ihn sowieso keiner, am wenigsten wohl der Leser, auch der echte jetzt, also ich. Lukas ist der klassische Antiheld, moralisch nicht auf der Höhe, ein Lügner und mehrfacher Betrüger und am Ende jemand, mit dem man ein bisschen Mitleid haben kann. Sein Verleger verlangt von ihm eine Doku-Fiction über den Nationalsozialismus, weil sich so etwas besonders gut verkaufen würde. Aber sind die Nazis nicht mittlerweile ausgelutscht?
Der Literaturbetrieb verloddert, Bedeutung gewinnt an BedeutungslosigkeitLukas sitzt in einer Zwickmühle. Dieses Projekt widerstrebt all seinen Vorstellungen von guter Literatur, auf der anderen Seite braucht er das Geld. Er tritt die Flucht nach vorne an und macht einfach mit beim Lug und Betrug. In Rachel, einer hübschen aber literarisch tölpelhaften Engländerin, findet er eine Komplizin – er erschwindelt ihr eine Familiengeschichte rund um ihre angebliche Großmutter Thea, einer Klischeenationalistin mit späteren brennenden Gewissensbissen. Rachel soll als Autorin auftreten, die Geschichte als Wahrheit verkauft und der Gewinn geteilt werden. Und, ja, es geht schief.
Das schriftstellerische Talent der Hauptperson erscheint eher mittelmäßig, für den Verlag eine Plus-minus-Null-Nummer. Das echte Buch, aus seiner Perspektive geschrieben, folgt diesem Leitsatz. Ob das ein Kunstgriff oder echtes Unvermögen ist, steht nicht zur Debatte. Der Plot hat wenig Höhen und eine bescheidene Spannung. Der Sprachstil balanciert zwischen besserwisserisch-intellektuell bis rotzig-niveaulos, der Humor ist bei Zeiten albern und erinnert an vorpubertäre Spielchen, bei dem derjenige gewinnt, der am lautesten »Penis« ruft und sich am wenigsten geniert.
Das Herz geht auf, weil dieses Unvermögen so herrlich die Wahrheit der Geschichte verfestigt. Zum Lesen ist es Mist. Ein Paradoxon, weil man es nicht lesen mag, es aber mag, gelesen zu haben.
Klaus Modick wird am 04. Juli um 20h bei der Veranstaltung »Literaturverteiler No. 2: Die Lesebühne« im Literarischen Zentrum zu Gast sein.