John von Düffel ist Autor, Dramatiker und Dramaturg, der nicht nur gut schreibt, sondern auch gut schwimmt. Außerdem ist er ein kluger Redner. Der Auftakt seiner Poetikdozentur am 01.12.2010 beweist: Nicht nur stille Wasser sind tief; Theatermacher tauchen in gefährlichen Gewässern – wahrnehmungserweiternd.
Von Nadya Hartmann
John von Düffel ist ein Schwimmer, seine Romane sind Poetiken des Wassers. Der Leser taucht ein in die klare Sprache seiner Bücher, die Gerhard Lauer in der Begrüßungsrede »Wasser der Wahrnehmung« nennt. Kaum ein Element wird so oft beschworen, eine Metapher so strapaziert wie bei der Beschreibung dieses multibegabten Autors. Wirft man einen Blick auf sein Prosawerk, liegt das nahe: 1998 erschien sein Erstling Vom Wasser und auch der vom Feuilleton gefeierte »Generationenroman« Houwelandt spielt mit dem Motiv. Das Wasser, mittlerweile ein Reizthema für von Düffel, sei tatsächlich eine der Kostanten in seinem Leben, gesteht er im Interview. Eine fluide Konstante, und vielleicht passt das Bild auch deswegen zu ihm. Sein Leben beschreibt eine Pendelbewegung zwischen Buch und Bühne. Er selbst nennt seine Weltsicht »Doppelblick« und teilt die zwei Termine der Poetikvorlesung in eine dramatische und eine epische Lesart der Welt.
Scheitern ist eine Grundangst des Menschen, der Nährboden für Konflikte. Konflikte allerdings seien die Essenz guten Theaters, so Düffel, die Trumpfkarte im Spiel um die Aufmerksamkeit des Zuschauers. Privat gehe er Konflikten eher aus dem Weg, auf der Bühne aber suche er sie, wo es nur gehe, erzählt er seinem Publikum. Vor dem Scheitern fürchtet er sich. Der Filmemacher Jörg Adolph begleitete den Autor bei seinem bisher wichtigsten Prosaprojekt, heraus kam der Dokumentarfilm Houwelandt – Ein Roman entsteht. Dort trifft man auf den unruhigen Zweifler, den die Angst vor dem Versagen anspornt, man erfährt von seinen Unsicherheiten. Von Düffel liest nur die guten Kritiken, die schlechten lässt er vorher aussortieren.
Angstfreie Menschen sind entweder keine, oder keine guten Dramatiker. So könnte eines der Axiome lauten, aus denen er seine Anthropologie des Theaters ableitet. Gefahr ist Doping für die Sinne und entscheidend für die Intensität, mit der wir Kunst erleben, ist von Düffel überzeugt: »In jedem guten Stück gibt es einen Moment der Gefahr, das ist meine These«.
Er, der in seinem Leben viel gereist ist, sieht in der Theatererfahrung des Zuschauers eine »Reise durch Gefahrenmomente«. Ein Auf-und-ab durch Höhen und Tiefen der rauen Seelengebirge der Figuren, deren Konflikte Lawinen des Jammerns und Schauderns auslösen. Dieser kathartischen Kampf durch das Geröll der dramatischen Welterfahrung beschert dem Zuschauer eine Hier-und-Jetzt-Erfahrung, die unserer modernen Gesellschaft schon fast verloren gegangen ist. Auf den Brettern, die die Welt bedeuten, ist die Sensation ihrem ursprünglichen Wortsinn näher als im ›wahren‹ Leben. Die dramatische Fiktion ist für ihn unmittelbarer als unsere alltägliche Welterfahrung, die keine Sinneserfahrung mehr ist. Der moderne Mensch verfolgt Sensationen vor der Mattscheibe, kann so Geschehnisse von überall ›live miterleben‹, ohne dass sich in seinem Leben etwas ereignet. Von Düffel beschreibt dies als Schere zwischen Information und Erfahrung, welche zudem immer größer werde: Wir wissen immer mehr aber erleben immer weniger. Wenn von Düffel davon abrät, Theaterstücke zu lesen, weil sie als »Gebrauchsanweisungen« zu verstehen seien, dann ist dies keine Provokation. Seine Aussage fußt auf den existentiellen Überlegungen über die zunehmende Entfremdung des Menschen vom Sein: »Die Philosophen irrten, als sie das An-sich hinter den Dingen suchten.« Von Düffel ist weder Schwimmer noch Handwerker, er ist Ontologe.
Sein Theaterverständnis reicht von den luftigen Höhen der Erkenntnistheorie hinunter zur sinnlich-immanenten Erdhaftung des Menschen. Die dramatische Lesart der Welt ist Gebrauchsanweisung und Philosophie zugleich. Das Theater wird zum Schleifstein für unsere medial abgestumpfte Wahrnehmungskraft, gibt uns die Möglichkeit, »maximal im Jetzt zu sein«. Neben dem Jetzt spielt auch das Hier eine wichtige Rolle für die Theatererfahrung: Im Gegensatz zum Fernsehprogramm, wo wir von Langweiligem zu weniger Langweiligem zappen können, lebt das Theater von der Anwesenheit des Publikums. »Im Theater gibt der Zuschauer mit dem Mantel an der Garderobe auch die Herrschaft über seine Zeit ab«, argumentiert von Düffel. Für das Opfer seiner körperlichen Anwesenheit verlangt der durch den Luxus der Konsumgesellschaft verwöhnte und eher ungeduldige Zuschauer nicht viel und nicht wenig. Er möchte unterhalten werden, er möchte, dass seine Erwartungen erfüllt oder im besten Fall übertroffen werden. Dafür schenkt er dem Stück seine Aufmerksamkeit. Diese nicht zu verlieren, darin sieht von Düffel eine Hauptaufgabe des Theatermachers.
Das Vorgehen, das aus diesen Überlegungen resultiert, ist folgendes: Verwirrungstaktik oder aristotelische Tradition, auf jeden Fall soll dem Zuschauer schwindelig werden vor turning points, Peripetien, retardierenden Elementen. Wir erinnern uns an von Düffels Vergleich des Theatererlebens mit einer Reise. Diese Reise ist keine, bei der man sich zurücklehnt und genießt, sie ist eine rasante Fahrt durch die Klimaxlandschaft eines Konfliktgebirges, dem Höhenzug der Erwartungen. Von Düffels eigene Erwartungen mögen die des Zuschauers sogar noch übersteigen. »Dass das Theater uns zu jemand anderem macht, als der, der wir waren« lautet sein Reiseziel.
Da braucht es schon die Dynamik des Wassers, die Luft des Denkers, viel Bodenhaftung und nicht zuletzt das Feuer der Leidenschaft, will man diesen Ansprüchen gerecht werden. Eines ist von Düffel an diesem Abend auf jeden Fall gelungen: Hat man auch keine Heureka-Rufe aus dem Publikum vernommen – gehustet hat keiner.