Der Mensch sieht die Welt aus der Ich-Perspektive. Jeder abstrakten Information liegt immer eine individuelle Erfahrung zugrunde. John von Düffel, Inhaber der Göttinger Poetikdozentur 2010, berichtet über seine Erfahrungen aus der dramatischen und epischen Welt. Ein Autor zwischen Bühne und Buch.
Von Martin Jurk
Ein Blick auf die Homepage www.johnvondueffel.de gibt nur begrenzt darüber Auskunft, was der Romancier, Dramenautor, Dramaturg, Übersetzer, Stückarrangeur weltliterarischer Romane und Hochschullehrer für »Kreatives Schreiben« unternimmt, um seine innere Balance zu erhalten. Als diesjähriger Göttinger Poetikdozent präsentierte John von Düffel an zwei Abenden seine dramatische und seine epische Lesart der Welt und gewährte dem Publikum Einblicke in seine ganz subjektiven Erfahrungsbereiche des vielstimmigen Theaterraumes und der einsamen Schreibstube. Zu den Erfahrungen im Rahmen der Poetikdozentur gehörten neben den Abendvorträgen auch eine Lesung im Theodor-Heuss-Gymnasium sowie eine Gesprächsrunde im Literarischen Zentrum mit Studierenden. Zwischen all diesen Vermittlungsformen und -orten traf sich John von Düffel mit Litlog zum Gespräch.
Martin Jurk: John von Düffel, was ist Ihr Beruf und was ist Ihre Berufung?
John von Düffel: Ich sage sehr oft, dass das Autorendasein und die Tätigkeit als Dramaturg auf gleichberechtigten Ebenen stattfindet. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, ist das nicht so. Das Schreiben ist für mich das Primäre. Den Dramaturgenberuf und all die anderen Sachen, bei denen es um Kommunikation oder Öffentlichkeitsarbeit geht, würde ich nie machen, wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass es mir hilft, auch einen neuen Blick auf die eigene schriftstellerische Arbeit zu gewinnen. Das darf ich meistens nicht so laut sagen, weil ich ja auch in Vertragsverhältnissen stehe. Letztlich stehe ich, Gott sei Dank, nicht vor der Wahl. Das Dramaturgendasein hat für mich ein produktives Moment, das neben der Berufung des Romanciers und Dramatikers kontinuierlich Bestand hat. Wenn es aber eine andere Welt wäre und ich merken würde, dass sich die Dramaturgie mit dem Schreiben nicht verträgt, dann würde ich mich zugunsten des Schreibens entscheiden.
M.J.: Ihre Adaption von Romanen für die Bühne – wie demnächst die Uraufführung Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull nach Thomas Mann am Saarländischen Staatstheater – und Ihre Beschäftigung als Dramaturg am Deutschen Theater Berlin könnten einen gegensätzlichen Eindruck erwecken.
J.v.D.: Das Umgekehrte gilt ja auch; wenn ich sage, das Schreiben profitiert vom Theaterleben, dann gilt das auch andersherum. Das Theater profitiert davon, dass ich mich bei meiner schriftstellerischen Arbeit unter anderem mit Texten der Gegenwartsdramatik oder der Adaption von Romanen beschäftige. Der eigentliche Unterschied besteht darin, dass die schriftstellerische Arbeit im Wesentlichen eine einsam-monomane Aktivität ist. Für mich gilt, dass dies keine Lebensform ist, in der ich auf Dauer existieren kann und will. Schreiben ist für mich eine wichtige Arbeit, aber nicht unbedingt der ideale Lebensentwurf. Insofern hat dann das Theater und die dort angesiedelte kommunikative Lebensform ein wiederum gleiches Recht. Diese Lebendigkeit möchte ich nicht missen.
M.J.: Wie wichtig Ihnen das Schreiben ist, kann man auch in einem Dokumentarfilm sehen. Der Autor John von Düffel steht dem Literaturbetrieb, einer ganz eigenen Welt, so legt es Houweland – Ein Roman ensteht (2005) nahe, distanziert gegenüber. Man könnte auch meinen, sie fühlten sich unverstanden. Wie sehen Sie sich als Autor?
J.v.D.: Jörg Adolph, der Regisseur und Erfinder dieses Films, hatte mich damals unter der Maßgabe verpflichtet, dass er über die Machart frei bestimmen kann. Das schloss ein, dass ich in diesem Film Objekt, nicht Subjekt bin. Weiterhin hatte er auch die künstlerische Freiheit mit dem Material, also zum Beispiel den privaten Portraitaufnahmen der Digitalkamera, zu tun und lassen, was er wollte. Das war Vertrauenssache. Der Film erzählt in erster Linie, wie der Literaturbetrieb funktioniert. In Teilen war mir dieser Mechanismus klar, aber der Film hat mir als Autor Bereiche gezeigt, in die ich normalerweise keine Einblicke habe, also etwa die Vertreterkonferenz oder gewisse Vermarktungsentscheidungen des Verlages. Was ich vorher natürlich auch nicht hatte, war der Blick auf mich selbst.
M.J.: Wie haben Sie sich selbst wahrgenommen?
J.v.D.: Ich hab versucht, in dem System des Literaturbetriebs des Buches wegen zu funktionieren. Das heißt nicht, dass ich Funktionieren per se gut finde. Ich gehöre zu denjenigen, die sich an das Stichwort Professionalität halten und dem Buch zuliebe tun, was verlangt wird. Das ist zum Teil natürlich auch eine selbstverleugnerische und gefährliche Strategie. Außerhalb des Schreibens, also dem Akt der eigentlichen Arbeit, bin ich vielleicht zu wenig exzentrisch. Der Literaturbetrieb ist für mich ein Dienst der Vermittlung. Vielleicht muss man aber sagen, dass es schon lange nicht mehr reicht, dass man sich zum braven Vermittler seiner eigenen Sache macht. Es stellt sich für mich eher so dar, dass man die Performance und das eigene Extrem in diesen Vermittlungsprozess mit hinein tragen sollte. Das mache ich aber nicht.
M.J.: Sie haben sich zwischen den besprochenen Welten, dem Roman und dem Theater, eine weitere ausgewählt – den Hochschulbetrieb. Wie verhält es sich mit Ihren verschiedenen Lehrtätigkeiten, zum Beispiel an der Universität Hildesheim oder an der Universität der Künste in Berlin?
J.v.D.: Was ich für mich gefunden habe, also die Arbeit als Dozent für »Szenisches Schreiben« oder allgemeiner für »Kreatives Schreiben«, hat nicht das Gesicht meiner Germanistik-, Philosophie- und Volkswirtschafts-Erfahrung aus Freiburg im Breisgau – damals, anno 1985–1989, eine Massen-Uni. Im Rahmen der universitären Lehrtätigkeit habe ich es mit einer sehr individuellen Fördersituation zu tun, in der es mir darum geht, eine spezifische Qualität von Talent und Schreibbegabung zu fördern. Für mich ist es das Spannendste, mit Autoren in Kontakt zu treten, die am Anfang stehen, und sie dabei zu unterstützen, ihre spezifischen Qualitäten zu entfalten.
M.J.: Inwiefern bereichert Sie diese Arbeit?
J.v.D.: Ganz oft rede ich mit Autoren, über dieses oder jenes Stück, und finde es richtig spannend und weiß genau, ich könnte das nicht selber formulieren. Ich kann ihnen helfen, aber genau diesen Text selber zu erschaffen, das kann ich nicht. Das können nur die schreiben. Es ist sehr interessant, an diesen verschiedenen Prozessen als Mentor, als älterer Kollege zu partizipieren. So lerne ich auch meine eigenen Grenzen kennen. Manchmal ist es erfrischend und nicht selten auch frustrierend, wenn eine Bemühung scheitert. Es ist ungeheuer mitreißend mit anderen Begabungen, anderen Schreibweisen und anderen Persönlichkeiten umzugehen. Das ist für mich eine Idealvorstellung von Hochschule oder Akademie. Das heißt aber leider auch, dass es sich um eine Art Eliteförderung handelt. Es sind natürlich immer nur ganz wenige, mit denen man da vernünftig zusammenarbeiten kann. Einfach, weil das sonst ab einer bestimmten Gruppengröße nicht mehr möglich ist.
M.J.: Wie zum Beispiel in einer Schule. Im Rahmen der Poetikvorlesung halten Sie nicht nur zwei öffentliche Abendvorlesungen. Sie haben darüber hinaus auch in der Aula des Theodor-Heuss Gymnasiums gelesen. Dort waren fast 400 Schüler anwesend, denen Sie einige Passagen aus ihrem 2001 erschienenen Roman Ego vorgelesen haben. Warum aus einem Buch über Körperkult, Egoismus, Ehrgeiz und Fitness?
J.v.D.: Das hat in erster Linie etwas damit zu tun, dass die Möglichkeit bestand, über ein Thema zu reden, was die Schüler von sich aus gefesselt hat. Ich bin da nicht hingegangen und habe den Schülern bewusst etwas Geeignetes für die Pubertät vorgetragen. Ich konnte mit den Schülern, die ich am THG kennen lernen durfte, über etwas reden, was mich selbst eine Zeitlang wahnsinnig beschäftigt hat. In diesem speziellen Fall über Themen, wie Egoismus und Ehrgeiz, die einerseits von der Gesellschaft gefordert und andererseits gegeißelt werden. Ich hab mich mit dem Text Ego, nach 6-7 Jahren wieder konfrontiert, und so konnte ich sehen, wie die Schüler reagieren und wie ich selbst diesem frühen Roman begegne. Das war mir ganz neu. Ich meine: Wann hab ich mir den Text das letzte Mal laut vorgelesen? Somit war das für mich eine Wiederbegegnung mit einem Thema und einer extremen Auseinandersetzung, die für mich in weite Ferne gerückt war. Oft musste ich beim Vortragen meines eigenen Textes laut lachen.
M.J.: Wovon ich schreibe – Eine kleine Poetik des Lebens (2009) ist eine Art Zusammenfassung von Themenbereichen, die in ihrer schriftstellerischen Arbeit tonangebend sind. Da geht es in vier Abhandlungen um Identitätsbildung, das Verhältnis von Sport und Literatur, Familie als literarischen Stoff und nicht zuletzt um die dramatische und epische Erzählweise der Welt. Letzterer Gegenüberstellung wenden Sie sich auch in den Göttinger Poetikvorlesungen zu. Nähmen wir an, es handle sich um eine Art Abrechnung mit all den bisherigen Inhalten und Sie würden sich ganz neuen Stoffen zuwenden. Wem oder was würden Sie sich gerne zuwenden?
J.v.D.: In der Tat gibt es da etwas, woran ich schon sehr lange laboriere. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie viele Veröffentlichungen über die Kindheit, die Jugend, das Leben und Sterben in der ehemaligen DDR erschienen sind und wie wenig der Werdegangszeit meiner Generation, der in den 1960er Jahren im Westen Geborenen, erzählfähig ist. Das ist eine Frage, die mich immer wieder beschäftigt hat und an der ich auch schon mehrfach gescheitert bin. Gescheitert daran, eine Form des Erzählens zu finden, mit der sich der untergegangene Westen beschreiben lässt. Wir müssen sehen und wissen das eigentlich auch, dass mit der DDR auch die BRD untergegangen ist. Die BRD, so wie sie mal war, ist verschwunden. Ich weiß nicht, warum man so gut über den Osten erzählen kann und warum es so unmöglich ist, einen vernünftigen Bildungsroman über den Westen der 70er und 80er Jahre zu schreiben. Ich hoffe, dass es mir noch gelingen wird.
M.J.: Da würde sich doch ein Familienportrait gut machen!
J.v.D.: Ich bin da nach wie vor auf der Suche, und ich weiß gleichzeitig, dass dieses Thema medial und für den Verleger nicht interessant ist. Für die Marke, die ich geworden bin, wäre es sicher besser, wenn ich noch mal einen Roman über Wasser oder einen Familienroman schreiben würde. Das werde ich nicht tun. Ich werde es mit diesem Thema schwer haben. Aber das ist schon ein Schritt zu weit gedacht. Erst mal muss ich dazu was schreiben können. Das versuche ich immer wieder und auf unterschiedlichste Weise. Aber es überzeugt mich selber noch nicht richtig. Da bin ich auf einer großen Baustelle.
M.J.: Was machen Sie, wenn Sie auf so einer Baustelle nicht weiter kommen?
J.v.D.: Das ist ja das Gute an meinen vielen Arbeitsbereichen. Ich bin natürlich frustriert, wenn ich bei einem Vorhaben nicht weiter weiß. Was das Großprojekt »Entwicklungsroman West« betrifft, muss ich diese noch zu bearbeitende »Welt« oft auch verlassen. An diesem Projekt bin ich bis jetzt so oft gescheitert, dass ich mich auch wieder darüber freue, etwas Leichtes zu machen. Das ist auch der Grund, weswegen ich gerne an unterhaltenden und komödiantischen Bearbeitungen für die Bühne arbeite. Das ist dann ein Wiederherstellen meiner inneren Balance. Ich versuche so, das schmerzende Scheitern am Schweren wieder mit dem Leichten zu heilen.
M.J.: In der öffentlichen Diskussion, wie hier etwa in der Gesprächsrunde mit den Studierenden, haben sie eine anklagende Stimme zu gesellschaftlichen Themen erhoben, zum Beispiel der Finanzkrise und deren Ursachen und Wirkungen. Wie halten Sie es mit Wertungen in Ihren Texten?
J.v.D.: Das lässt sich an Erfahrungen mit meinen ersten Romanfassungen gut erklären. Oft verhalte ich mich kommentierend zu einer Figur, indem ich sie in manchen Szenen sogar karikiere oder denunziere. Im Affekt des erstens Niederschreibens gibt es daher oft wertende und diffamierende Momente. Das mache ich meistens wieder rückgängig.
M.J.: Warum eigentlich?
J.v.D.: Letztlich ist es der Versuch, auch den Figuren, denen man vielleicht im ersten Augenblick ablehnend gegenüberstand, eine Form von poetischer Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich gebe Ihnen somit die Möglichkeit, durch den Leser eine eigene Wertung erfahren zu können. Das sehr wertende Erzählen finde ich persönlich nicht so interessant, und wenn dennoch eine Wertung bei mir vorkommt, dann wird sie mir wohl eher unterlaufen, als dass ich sie gewollt habe. Ich versuche, mich zurückzuhalten, weil ich glaube, dass wir oft viel zu schnell urteilen. Ich musste meine Urteile über Menschen so oft revidieren, dass ich zu mir als urteilende Instanz auch nicht das allergrößte Vertrauen habe. Ich habe eher die Hoffnung, dass das die Beschreibung für mich mit erledigt.
M.J.: In ihren Romanen begegnet uns ja eher ein nüchterner Stil. Wie ist das Verhältnis zwischen Ihnen und dem Autor John von Düffel?
J.v.D.: Es gibt so eine gewisse Lust an der Diskussion oder dem Diskurs, die ich riskiere. In Diskussionszusammenhängen äußere ich dann Meinungen, die ich eben als John von Düffel habe – immer im Bewusstsein, dass man als Autor eine öffentliche Figur ist. Diese Wertungen würde ich nie in ein Werk hineinschreiben. Es gibt aber so etwas wie eine essayistische Position, aus der heraus ich natürlich Thesen probiere. Ich glaube aber von mir selbst, dass ich ein korrigierbarer und ein sich selbst korrigierender Mensch bin. Es gibt einige Erfahrungen, die ich gemacht habe und für mich eine sinnlich-physische sowie seelische Realität haben. Die kann man mir auch nicht so leicht ausreden. Im Gebiet der intellektuellen Analyse bin ich auf jeden Fall korrekturfähig. Ich habe keine verfestigte Überzeugung, die ich als Botschaft in die Welt heraustragen möchte. Wenn ich mich zu einer These versteige, dann durchaus auch, um das Echo zu hören.
M.J.: Was erwarten Sie von einem so geschaffenen Resonanzraum?
J.v.D.: Dem Wunsch nach Reaktionen wird oft nicht entsprochen. In erster Linie handelt es sich um die Lust nach einer produktiven Streitkultur. Diese Lust ist aber gefährlich, weil ganz selten ein echter Streit stattfindet. In der Zeitung steht dann oft eine fixe Position, ohne dass Kommunikation darüber stattfindet oder stattgefunden hätte. Meine eigene Beweglichkeit wird dann durch eine starre Chronistik verfälscht.
M.J.: John von Düffel, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.