Was macht ein Ehepaar, wenn der Sex einfach nicht läuft? Und dieses Nicht-Laufen kein »Nicht-Mehr« bedeutet, sondern ein »Noch-Nie«? Sibylle Berg zeigt in ihrem neuen Roman Der Tag, an dem meine Frau einen Mann fand ein Ehepaar, welches ratlos vor der ewigen Gretchenfrage steht: Sex oder Liebe?
Von Annika Klanke
Rasmus, verkrachter Ex-Theaterregisseur und Chloe, hauptberuflich seine Ehefrau, haben es eigentlich gut miteinander. Zwei Menschen, eine Ehe, Vertrauen und Geborgenheit, gemeinsamer Schlaf, gemeinsame Speise, gemeinsamer Wohntraum aus Sichtbeton, Designermöbeln und teuren Teppichen, ein bisschen links, ein bisschen künstlerisch, selbstverständlich anti-rassistisch und anti-sexistisch, ein bisschen vegetarisch, was sonst, aber von all dem bloß nicht zu viel. Bionade-Bürgertum eben. Doch gibt es etwas, was ganz und gar nicht läuft in dieser Lebensversicherung einer Ehe. Das ist der Sex. Und nun wird es eklig, denn es geht hier schließlich um Sybille Berg, der im Feuilleton der Welt einmal nachgesagt wurde, »der gewalttätigste Lidstrich Deutschlands« (hallo, du schöne Stilblüte!) zu sein: »Falls es rhetorisch korrekt ist, würde ich sagen, dass ich theoretisch gerne ficke. Aber nicht mit Rasmus«, sagt Chloe. Rasmus hingegen ahnt zunächst nichts von den unerfüllten Begehrlichkeiten seiner Frau, aber dass auch in seinem Geschlechtsleben einiges im Argen liegt, wird spätestens klar, als er larmoyant bemerkt, dass ihn eigentlich nur mehr die netten Teenager-Mädchen auf Youporn verstehen. Mit heruntergelassener Hose humpelt er durch die durchgestylte Wohnung und muss verzweifelt feststellen, dass Sperma fiese Flecken auf den elektronischen Endgeräten hinterlassen kann.
Tatsächlich regiert nach Chloes Seitensprung mit Benny, einem »sprechenden und kochendem Dildo«, wie ihr gedemütigter Ehemann zynisch bemerkt, zunehmend der Wahnsinn. Dabei war es Rasmus‘ Wille und Wunsch, es noch einmal zu versuchen, in Afrika nämlich, dem ersten Schauplatz dieses von der Autorin so minutiös entfalteten Ehedramas. Rasmus plant dort »etwas, ähm, Großes«, und dieses geniale kleine »ähm« macht schon auf den ersten Seiten des Romans unmissverständlich deutlich, dass Rasmus in Afrika alles Mögliche erleben wird, aber wohl keine erhabenen Momente. Chloe geht mit und schweigt, obwohl sie insgeheim weiß,
dass die Menschen hier und an anderen suboptimalen Orten keine Opernhäuser und Theaterbühnen brauchen, sondern Computer, Toiletten und einen wunderbar funktionierenden Kapitalismus,
ganz sicher aber keinen mittelalten weißen Regisseur mit Bauchansatz und Sendungsbewusstsein. Beim Frust-Besäufnis mit Ganzkörper-Massage und Gratis-Opiumrausch passiert es dann. Benny, der rothaariger Masseur, nirgends zuhause und im Gegensatz zu Rasmus‘ in jeder Hinsicht besser ausgestattet, wird zu Chloes sexueller Obsession. Das sich anschließende erotische Affentheater enthält so viel traurige Wahrheit, wie man sie sonst selten zu lesen bekommt. Am Ende ist es der Schnee, der alles mit gnädigem, unschuldigem Weiß überdeckt und vielleicht einen kleinen Frieden für Rasmus und Chloe zurückbringt. Aber nur vielleicht. Denn Sibylle Berg bleibt nicht hinter der Verheißung ihres gewaltbereiten Lidstrichs zurück, so viel sei an dieser Stelle verraten.