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Mit Wörtern Tanzen

Lange war Valeska Gerts autobiographisches Buch Die Bettlerbar von New York vergriffen. Nun ist es bei Steidl neu erschienen. Es erzählt die Geschichte von einem Leben zwischen Tanz, Vertreibung und einem legendären Nachtklub im Exil.

Von Raphael Mühlhölzer

Valeska Gert, die Erfinderin der Tanzpantomime und große Innovatorin des modernen Tanzes, wuchs als Tochter aus bürgerlichem Berliner Hause ohne finanzielle Sorgen auf. Ihren Wunsch Tänzerin zu werden, musste sie sich aber selbst erfüllen, denn ein bürgerlicher Werdegang konnte damit nicht konform gehen. Schon gar nicht mit der Sorte Tanz, die der Gert vorschwebte. Sozialkritisches Tanzen ist es, was sie in ihrem jetzt wieder aufgelegten und mit einem kurzen Nachwort versehenen autobiographischen Buch Die Bettlerbar von New York beschreibt. Die teils satirisch, teils grotesk tanzend verkörperten Typen reichten von ihrer wohl berühmtesten Rolle einer Prostituierten (»Canaille«), bis hin zu dem »Boxer« oder der »politischen Versammlung«, bei der sie die einzelnen Redner darstellte.

Im Berlin der Weimarer Republik hatte sie damit ebenso großen Erfolg, wie in Paris oder Moskau, wohin sie von der Sowjetregierung als »einzige europäische Tänzerin« eingeladen wurde. Gert schreibt solche Sätze jedoch nicht nur mit Stolz, sondern auch mit der Verzweiflung einer Person, deren Weltruhm schon zur Zeit der Niederschrift im Jahr 1948 der Vergangenheit angehörte. Die Flüchtigkeit ihrer Kunstform, die vor allem auf dem Liveerlebnis, der Kopräsenz von Künstler und Publikum beruht, zeigte sich im amerikanischen Exil, in das die Nazis sie als Jüdin und Vertreterin »entarteter« Avantgardekunst getrieben hatten.

Hier, genauer im Ostküstenstädtchen Provincetown, steigt das Buch auch ein. Die Berliner Geschichten aus Kindheit, Jugend und der Zeit ihrer großen Erfolge werden in einzelnen, teilweise recht kurzen Kapiteln eingestreut. Genau das meint Gert, wenn sie davon spricht, dass Schreiben wie Tanzen sei. Die Chronologie wird permanent gebrochen, ihre Kapitel bewegen sich in kleinen Schrittchen oder größeren Sprüngen hin und zurück, preschen mal schwungvoll nach vorne, um dann wieder auf der Stelle zu verharren und sich Zeit zu nehmen für genauere Beschreibungen. Die Erzählerin von Die Bettlerbar von New York wird so hochgradig unzuverlässig, Vertiefungen oder oberflächliches Abhandeln von Geschehnissen folgen keinem strengen Prinzip, sondern der wilden Wahrnehmung der Erinnernden.

Buch-Info


Valeska Gert
Die Bettlerbar von New York
Steidl: Göttingen 2012
222 Seiten, 16,00 €

 
 
Nachdem sie in der amerikanischen Provinz zunächst als Tellerwäscherin (»der klassische Anfang für jeden in Amerika«) und Aktmodell gearbeitet hat, findet sie dort auch wieder ein Engagement als Tänzerin und folgt letztendlich der Anregung eines Verehrers, einen eigenen Nachtklub in New York zu eröffnen. Die Beschreibungen des Kampfes um die Eröffnung ihres Kabaretts, der »Beggerbar«, konterkarieren allerdings jegliche Verklärung des amerikanischen Aufstiegsnarrativs. Denn statt unternehmerischer Freiheit begegnen ihr in New York vor allem Verordnungen, Lizenzen, Skepsis.

Aber nicht nur das Verwaltungswirrwarr verhindert den reibungslosen Betrieb ihrer »Beggerbar«, auch Gangster und vor allem die eigenen Angestellten, Künstler, sowie Küchen- und Garderobenpersonal, sofern man da Unterschiede machen konnte. Beispielhaft hierfür die Anekdote um den jungen Tennessee Williams, dessen Engagement nach Abrechnungsstreitigkeiten unter Einsatz einer Feueraxt endete. Es ist ein wahres Wunder, dass Gert es geschafft hat, in diesem Chaos aus Eitelkeiten, Diebstahl und staatlicher Schikane ein künstlerisch hochwertiges Programm aufrechtzuerhalten. Und so erzählt Die Bettlerbar von New York eben auch von einem Leben, das gegen alle Widerstände in den umwurfstarken Jahrzenten des 20. Jahrhunderts nur der Kunst gewidmet war. Zunächst in Europa, dann in Provincetown und zuletzt in New York.

Geschrieben hat Valeska Gert dieses Buch ausdrücklich, um ihre Verdienste für den Tanz vor dem Vergessen zu bewahren. Hierin zeigt sich sehr ehrlich und direkt, was ein sicher nicht selten vorkommendes Motiv autobiographischen Schreibens im Allgemeinen ist. Glücklicherweise wirkt diese Eigenwerbung bei ihr jedoch weder penetrant noch peinlich, sondern charmant und auch eben ein wenig verzweifelt, wenn sie am Ende dieses sehr lesenswerten Buches schreibt: »Vielleicht liest es einer, wenn ich schon Staub geworden bin, und vielleicht versteht er mich, und vielleicht liebt er mich?«



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 Veröffentlicht am 18. April 2013
 Kategorie: Belletristik
 clarita via morguefile
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