Max Goldt hat viele Fans. Sie verehren ihn für seine Texte, die sie entweder regelmäßig im Satiremagazin Titanic lesen oder aber, wenn wieder genügend Material beisammen ist, im Buchformat feiern können. Goldt füllt auf seinen Reisen regelmäßig große Säle, eine Lesung von ihm hat Event-Charakter.
Von Christoph Heymel
Nun liegt die neue Textsammlung Ein Buch namens Zimbo vor, der Titel ist gewiss ein Insider, durchaus typisch für die Goldt-Prosa, es kümmert den Autor nicht, wenn nicht jeder alles versteht. Goldts Texte, man mag sie als satirische Essays sehen, widmen sich wieder einmal den Themen, die die Gesellschaft bewegen, oder aber zu Unrecht sonst nirgendwo aufs Tableau kommen: Das Tragen von Umhängetaschen, die lästige Flut an »Schmöker-Enzyklopädien« und Ratgebern, Thomas Mann, Gloria von Thurn und Taxis oder die Excellenzinitiative. Goldt moniert alles und jeden, sei es nun die »Neue Deutsche Dunkelheit« in Cafés oder Hotelzimmern, oder der Boom an sogenannten Irrtums-Aufklärungs-Büchern, worauf er sogleich einen entsprechenden Gegenentwurf vorstellt, diesen aber wieder verwirft.
Goldts Texte machen Spaß und könnten einfach als leichte Schmunzel-Literatur abgetan werden, doch nicht erst seit der Kleist-Preis-Würdigung 2008 kann man erahnen, dass vielleicht mehr dahinter steckt. Im Buch namens Zimbo tritt das deutlich zu Tage, mehr noch als in den vorherigen Büchern: Max Goldt treibt postmoderne Spielchen mit seinen Lesern, indem er Metaebenen schafft, die, wieder einmal, nichts anderes als pure Satire sind. So lässt er Theaterschauspieler auftreten, denen er Gesellschaftskritik in den Mund legt oder erzählt »auf Drängen der Leser« einen Text nach, den er mangels Qualität eigentlich nicht veröffentlichen wollte und der dann auch tatsächlich mies ist. Ist das anmaßend oder raffiniert? Was er wirklich kann, zeigt Goldt dann beispielsweise, wenn er (natürlich nicht unreflektiert) den Versuch wagt, einen literarischen Text über das Glück zu verfassen.
»Macht Liebe glücklich? Wer weiß das schon? […] Der Mensch hat drei Möglichkeiten. Er kann seine Sexualität promisk ausleben und sich wilde Abwechslung gönnen. Er kann auch in monogamer Partnerschaft leben. Ebenso kann er auf eine Ausübung der Sexualität verzichten. Alle drei Möglichkeiten sind richtig und gut. Und, ganz wichtig zu wissen: Allen drei Möglichkeiten wohnt das gleiche Potential inne, entweder glücklich oder unglücklich zu sein.«
Bei diesem Schluss könnte man sich tatsächlich fragen, ob er ernst gemeint ist. Goldts Kritik, die oft so abwegig gestaltet ist, dass man nie sicher sein kann, ob sie todernst oder doch ironisch zu verstehen ist, regt durchaus zum Nachdenken an. Warum das Rauchverbot gut, ein Alkoholverbot aber schlimm wäre, oder warum ein Migrationshintergrund in der Presse im Zusammenhang mit Gewalttaten bloß nicht genannt werden darf, wohl aber Geschlecht oder Alter. Man staunt, wenn mit wenigen Sätzen logisch erklärt wird, wie eine öffentliche Debatte funktioniert.
In der mitabgedruckten Rede zum Kleist-Preis, »dem feinsten aller Preise«, appelliert Goldt an die literarisch gebildete Welt, keine Scheuklappen gegenüber den einfachen Dingen im Leben zu tragen und geht der Frage nach, was er eigentlich ist. Kolumnist oder Alltagsbeobachter jedenfalls nicht. Uff. Mit Bezug auf seine Angaben beim Finanzamt weiß Goldt aber: »Schriftsteller bin ich also«. Seine Fans wussten das schon lange, sie brauchten dafür keine Kleist-Auszeichnung. Seine Kritiker aber mögen die neue Sammlung zur Hand nehmen und genau hinsehen, dann werden sie erkennen, dass da mehr ist als bloß Schmunzelprosa.
Na, wie schön, dass nun verstanden wird, dass Max Goldt kein billiger Schmunzelschreiberling ist. Dass Ihnen das erst klar wurde, als er den Kleistpreis bekam, wundert allerdings kaum, wenn Sie seine Sprache mit der von Axel Hacke und Harald Martenstein vergleichen und ihr charmant ihre Außergewöhnlichkeit absprechen. Der Vergleich zeugt nämlich von geringer Sensibilität für die Feinheiten des literarischen Stils. Max Goldt gehört, nicht erst seit “Zimbo”, sondern schon seit mehr als 10 Jahren, zu den größten deutschsprachigen Stilisten. Einige kluge Leser und Literaturwissenschaftler sehen in den Texten Goldts schon seit Langem Parallelen zu der zarten, musikalischen Prosa Alfred Polgars und den ungewöhnlichen, virtuosen Finessen eines Robert Walsers, dem der gute Herr Goldt stilistisch wirklich sehr nah ist. Er liegt da also auf einer Linie mit einigen großen deutschsprachigen Literaten des letzten Jahrhunderts, großartigen Stilisten, hochgeschätzt für ihre Kunst. Ihr Vergleich mit den beiden anderen Kolumnisten ist also absurd und unangemessen (nichts gegen Hacke und Martenstein, aber diesen Ansprüchen halten sie wirklich nicht stand).
Goldt zeigt mitnichten erst dann, was er kann, wenn er “versucht” einen Text über das Glück zu schreiben oder postmoderne Metaebenen zu etablieren (also: ernsten und intellektuellen Kram behandelt, der den angeblichen Ansprüchen der hohen Literatur genügt), genausowenig wie Robert Walser nur in seinen realistischen Romanen hochliterarisch ist. Nein, Max Goldt zeigt auch in scheinbaren Unsinnstexten oder -passagen, dass er es verdient in den Kanon der Hochliteratur aufgenommen zu werden, denn, und das ist ja der große Irrtum, dem die meisten ernsten und um intellektuellen Kram bemühten Literaturbewerter aufgesessen sind, auch der Humor gehört zur Literatur und zwar in besonderem Maße. Was wäre Arno Schmidt ohne Humor? Was der Don Quijotte? Moliere? Wer meint, Literatur müsse in jedem Fall und immer ernst sein und komische Literatur in jedem Fall schlechter und anspruchsloser, hat die Literatur schlecht verstanden. Und dass Max Goldt im Moment der größte deutsche Humorist ist, wird ja wohl kaum jemand bestreiten wollen. Oder?