Mit Frust Neujahr! trotzt das Theater im OP den Schwierigkeiten, die die aktuellen Sanierungsarbeiten an der Spielstätte im Kaete-Hamburger-Weg mit sich bringen. Die aus der Not geborene und in der Notaufnahme aufgeführte Eigenproduktion ist eine anspruchsvolle Mischung aus Impro- und geprobtem Theater.
Von Simon Sendler
Was braucht der perfekte Silvesterabend? Im ThOP geben sich sieben Freunde mit wenig zufrieden: Alkohol, Bleigießen, Dinner for One. Und zur musikalischen Begleitung Auld Lang Syne. Mit einer zu Tränen rührenden Darbietung dieses Liedes leitet das Alte Jahr (Sascha Vennemann) den Abend ein, bevor es sich dem Publikum vorstellt und die Spielregeln für diese ungewöhnliche Inszenierung darlegt. Das Publikum ist aktiv in den Verlauf des Abends involviert. ´Klassische´ Theaterszenen wechseln sich mit Improvisationstheater ab. Das Alte Jahr übernimmt dabei die Funktion des Moderators, der für die improvisierten Szenen Vorgaben aus dem Publikum erfragt. Dass das Publikum bestens gelaunt ist, trägt ebenfalls einiges zur Atmosphäre bei, und so macht bereits dieser kurze Einstieg Lust auf mehr.
Katastrophale VorbedingungenGastgeberin Annika (Katharina Silbersdorff) plant, diesen perfekten Silvesterabend umzusetzen. Softdrinks und Knabbersachen stehen bereit (sowie eine Dose Sprühsahne, die später noch dramatisch zur Geltung kommen wird), die Wohnung ist geschmückt. Dass dieser Plan nicht aufgehen wird, ist schnell klar. Schon nach Caros (Myrtha Dorothee Werner) Ankunft fällt auf, dass sowohl Bleigießen und auch Alkohol fehlen. Eine Katastrophe für die beiden! Das Gespräch wird sogleich auf das nächste Unglück gerichtet: Annikas Exfreund.
Myrtha Werner als Caro und Katharina Silbersdorff als Annika.
An dieser Stelle unterbricht das Alte Jahr das Geschehen und leitet die erste Improvisationsszene ein. Annika und Caro sollen das erste Treffen von Annika und ihrem einstigen Freund darstellen. Das Publikum bestimmt, dass dieses in einem Planetarium stattfand und beide sich über ihr Hobby, Büroklammern aufzubiegen, näher gekommen sind. Auf diese Grundszene folgen vier immer hektischer werdende Jahrestage, an denen die Beziehung zusehends aus den Fugen gerät und schließlich zerbricht. Am Anfang brauchen die Schauspielerinnen etwas Zeit, bis sie sich »warmimprovisiert« haben. Trotzdem ist die Szene ein starker Einstieg und das Publikum zu Recht begeistert.
Da das Bleigießen ausfallen muss, trotzdem aber niemand das neue Jahr ohne wenigstens ein Minimum an spiritueller Leitung begehen will, schlägt Beatrix vor, über ein Ouijabrett Kontakt mit einem Geist aufzunehmen. Ein solcher findet sich schnell im Publikum und beantwortet die Fragen, die Bastian, Denise und Annika zum neuen Jahr haben, indem er hinter ihnen steht und in jeweils eine Figur ´einfährt´ und durch diese spricht. Nach dieser Geisterbeschwörung, erscheint als letzter Gast Dominik (Nikolai Smith) auf der Bühne. Caro und Bastian hätten nicht gedacht, dass er sich auf die Party traut: Dominik hat Annikas Meerschweinchen gegessen, was Annika noch nicht weiß – ebenso wenig wie er selbst. Nun muss Dominik erraten, was er verbrochen hat, während Caro und Bastian ihn fragend in die richtige Richtung lotsen.
Im Anschluss verziehen sich Constantin, Bastian und Dominik vor die Haustür, um sich an Constantins Joints und zwei Flaschen Schnaps gütlich zu tun. So wird die Bühne frei für ein Problemgespräch anderer Art: nach Vorgabe des Publikums eröffnet Denise Caro und Beatrix, dass sie unter Haarausfall leidet und eine Perücke trägt. Bei so einem ernsten Thema ist es verständlich, dass niemand lachen sollte. Daher wird vom Alten Jahr verordnet, dass für jeden Lacher von einer der drei Darstellerinnen eine Weintraube in den Mund genommen werden muss. Lobend hervorgehoben werden sollte hierbei, dass die Schauspielerinnen es vermeiden, den offensichtlichen Weg zu nehmen und Krebs als Grund für den Haarausfall anzuführen, was das Stück an diesem Punkt durch einige peinliche Witze hätte entgleisen lassen können. Stattdessen ist der Haarausfall durch Stress im Studium verursacht. Die Problematik scheint den Zuschauern, auch wenn ihr Studium etwas weiter zurückliegt, durchaus vertraut.
Bis die zu gedröhnten Männer zurück kehren, widmen die Frauen ihre Aufmerksamkeit zwei versteckten Flaschen Hugo aus dem Kühlschrank. Während der drogeninduzierte Heißhunger, den sie mit den bereitstehenden Knabbereien stillen, die drei Männer überfällt, bricht unter ihnen ein Streit aus. Dominik hat Geld aus der Vereinskasse des My Little Pony-Fanclubs, den die drei nach dem Willen des Publikums gegründet haben, unterschlagen. Obwohl der Streit immer intensiver wird, will keiner auf seine Snacks verzichten, und so wird bald jede Äußerung von einem Schwall halbzerkauter Erdnussflips und Salzstangen begleitet. Was am Anfang noch etwas klamaukig wirkt, wird dem Publikum sichtlich zu viel, als die bereit stehende Sprühsahne ebenfalls zum Spuckgeschoss wird.
Glücklicherweise ist dieser Höhepunkt des Streites vorbei, als die Frauen ins Wohnzimmer zurückkehren und ähnlich entgeistert auf das ihnen gebotene Bild reagieren wie das Publikum. Zu ihrer Verteidigung bringt Dominik den Satz hervor, der den Verlauf der ganzen Feier beschreibt: »Wir sind eskaliert!«
Nikolai Smith als Dominik, Thomas Sicking als Bastian und René Anders als Constantin.
Die Frauen verkünden nun den Herren, dass sie entschieden haben, wer wen zum neuen Jahr küssen soll. Die Pärchen werden bekanntgegeben und nur Annika geht leer aus. Als schließlich das neue Jahr kommt und die Pärchen sich intensiv miteinander beschäftigen, platzt ihr der Kragen. Der Silvesterabend ist in ihren Augen eine Katastrophe.
Komödie, die unterhält, ohne große Ansprüche zu stellenHier wäre eigentlich ein hervorragender Schlusspunkt erreicht. Trotzdem wird das Publikum noch ein letztes Mal gefordert und soll sich eine Moral für das Stück überlegen. Die Wahl fällt auf »Götterspeise schmeckt am Besten in Schwerelosigkeit.« Die Spieler sind nun noch gefordert, die präsentierten Ereignisse auf diese Moral zu beziehen, was ihnen mit wechselndem Erfolg gelingt. Obwohl an dieser Stelle noch einige gute Einfälle von den Darstellern kommen, wirkt das letzte Segment etwas verloren.
Insgesamt bietet das ThOP den Zuschauern mit Frust Neujahr! ein äußerst interessantes und gelungenes Experiment an. Eine gute Mischung aus geprobten und improvisierten Szenen sorgt für eine Inszenierung, die genau das ist, was sie laut Aussage von Co-Regisseur Sascha Vennemann sein soll: eine Komödie, die unterhält, ohne große Ansprüche zu stellen. Dass die Darsteller sich im klassischen Theater wie im Improvisationstheater souverän bewegen und die Teile des Stücks mühelos ineinander überfließen lassen, trägt ebenfalls einiges dazu bei, dass das Stück so gute Unterhaltung bietet.
Somit kann wohl auch die letzte Sorge, die man aufgrund der Inszenierungart haben könnte, abgetan werden. Improvisationstheater steht und fällt zu einem großen Teil mit der Bereitschaft des Publikums, sich unterhalten zu lassen. An diesem Abend war die Bereitschaft deutlich zu spüren, aber einem Ensemble wie dem von Frust Neujahr! wird es sicher nicht schwer fallen, auch das trägste Publikum mitzureißen. Dass das ThOP momentan gezwungenerweise nicht im eigenen Saal spielen kann und die ursprünglich geplante Januar-Produktion absagen musste, ist ärgerlich – wenn dafür aber als Ersatz ein Stück wie Frust Neujahr! geboten wird, hat das Publikum Glück im Unglück und ist am Ende zu Recht begeistert.