Es riecht nach Turnhalle und Second Hand-Laden. Hier trifft Gregor Samsa auf Pippi Langstrumpf und Shakespeare auf New Yorker Hippies. Das DT Göttingen ließ LitLog einen Blick in die Kostümabteilung des Theaters werfen, den wohl größten begehbaren Kleiderschrank Göttingens. Eine Reportage darüber, wie Kleider zu Leuten gemacht werden.
Von Lena Reiff und Swaantje Wilcken
An den Wänden Regale bis unter die Decke, vollgestellt mit kleinen Kartons mit Aufschriften wie »Bänder«, »Trägertops«, »Polster«, »Knöpfe«, »Strumpfhosen«. An den Seiten stehen Kleiderstangen mit Schildern, auf denen Titel von Theaterstücken stehen: Am schwarzen See oder Arsen und Spitzenhäubchen. Pinnwände mit Zeichnungen, alten und neuen Fotos, Bildern aus Zeitschriften und dann die Schneiderpuppen mit den wunderschönen Kostümen. Die Damenschneiderei des Deutschen Theaters in Göttingen ist ein Ort der Inspiration und Kreativität und wenn man mit Christel Schellhas, Gewandmeisterin und Leiterin der Damenschneiderei und des Fundus, spricht, dann merkt man ihr die Begeisterung und die Leidenschaft für ihren Beruf an.
Von der Idee zur ersten ZeichnungAber wie entsteht so ein Kostüm, das man am Ende als Zuschauer nur fertig auf der Bühne sieht? Zuallererst müssen sich der Regisseur und der Kostümbildner zusammensetzen und das Konzept des Stücks besprechen, so werden zum Beispiel viele Klassiker modern inszeniert und das muss der Kostümbildner bei seiner Arbeit dementsprechend umsetzen. Er ist es dann, der sich die Kostüme ausdenkt und erste Zeichnungen, sogenannte Figurien anfertigt. Diese können ganz unterschiedlich aussehen: einfach gezeichnet, wie eine Collage zusammengeklebt oder auch mit dem Computer bearbeitet hängen sie mit Stecknadeln an Kleiderpuppen oder Pinnwänden, die Ränder voller Notizen zu den verschiedenen Stoffen und Materialien.
Über die Skizze zum SchnittmusterAls nächstes setzt sich dann der Kostümbildner mit der Gewandmeisterin, die nach den Zeichnungen der Kostümbildner Schnittmuster erstellen kann und spezielle Kenntnisse über die Umsetzung historischer Kostüme besitzt, zusammen. Sie ist es auch, die mit dem Kostümbildner bespricht, welche seiner Ideen umsetzbar sind und welche vielleicht nicht, denn die Schauspieler dürfen in ihren Bewegungen nicht eingeschränkt werden und wenn die Bühne wie in Was ihr wollt unter Wasser steht oder Feuer zum Einsatz kommt, müssen die Kostüme das aushalten können.
Herzstück KostümfundusDann beginnt die Suche nach Stoffen. Allerdings wird gar nicht jedes Kostüm neu genäht. Der erste Gang führt in den Kostümfundus, der von unten bis oben vollgestopft ist mit Schuhen, Handtaschen, Hüten, Krawatten, Kleidern, Hemden, Sakkos, Bademänteln, Pelzen und vielem mehr. Nach Farben und Zeitalter geordnet hängen hier sogar Kleider aus den 20er Jahren – an solche Originalkostüme kommt das Deutsche Theater nur Dank Kleiderspenden. Manche Kostüme werden an die Maße der jeweiligen Schauspieler angepasst oder geändert, aber Christel Schellhas zeigt uns auch Kleider, die aus lauter gespendeten Herrenhemden genäht wurden, mit einem Wust aus Ärmeln als Schleppe oder einer Korsage aus Manschetten.
Werden Kostüme neu genäht, kommen alle Arten von Stoffen und Materialien zum Einsatz wie Leder, Pailletten und Perlen für aufwändige Stickereien – in außergewöhnlichen Fällen sogar Luftpolsterfolie oder Plastiktüten aus dem Supermarkt für einen Mantel und für den künstlichen Schwangerschaftsbauch unter dem Hippie-Kleid von Elke aus Alle sechzehn Jahre im Sommer, an dem wir vorbeikommen, jede Menge Schaumstoff.
Metall, Stahl, Farbe und DreckZu den rund 20 Leuten, die im Deutschen Theater an den Kostümen arbeiten, zählen Kostümbildner, Schneider, Gewandmeister und Ankleider. Die Aufgabe der Ankleider ist es, den Schauspielern bei den Vorführungen beim Ankleiden zu helfen. Deshalb müssen die Ankleider im Gegensatz zu den Schneidern auch oft abends arbeiten. Zusätzlich dazu sind sie auch dafür verantwortlich die Kostüme zu reinigen und in Stand zu halten. Jedes Kostüm erfordert einen unterschiedlich großen Aufwand. Einige Kostüme, vor allem für moderne Stücke, können einfach eingekauft werden und müssen dann geändert werden. Aber es entstehen auch völlig neue Kostüme. Dafür entwickeln die Gewandmeisterin und der jeweilige Schneider dann ein Schnittmuster.
Beim Fertigstellen des Kostüms müssen die Kostümschneider auch viel mit anderen Bereichen des Theaters zusammen arbeiten. Dass sich die Schneiderei mit der Maske beim Kreieren des Gesamtbilds der einzelnen Figuren abstimmen muss, ist naheliegend. Viel überraschender: Auch die Zusammenarbeit mit der Schlosserei spielt eine große Rolle. Die ist gefragt, wenn zum Beispiel Krinolinen, also Reifröcke für klassische Kleider wie man sie aus dem 18. Jahrhundert kennt, konstruiert werden müssen. Und wenn die Kostüme älter aussehen sollen als sie eigentlich sind, ist die Malerei gefordert: »Die haben ganz andere Möglichkeiten als wir hier mit unseren kleinen Sprühdosen«, erzählt Christel Schellhas. Doch manchmal wird auch zu unkonventionellen Methoden gegriffen: Dann werden Kostüme auch schon mal über den Wall geschleift oder neu gekaufte Maureranzüge auf einer Baustelle gegen die gebrauchten der Arbeiter getauscht.
Probenkostüme, Ersatzkostüme und Änderungen bis zuletztWenn die erste Version des Kostüms fertig ist, muss der Schauspieler zur Anprobe erscheinen. Auch der Regisseur kann bis zum Schluss Änderungsvorschläge äußern oder sich sogar für ein ganz anderes Kostüm entscheiden. Die verworfenen Kostüme finden dann einen Platz im Kostümfundus und schaffen es vielleicht in kommenden Stücken auf die Bühne. So ist die Arbeit nie umsonst, denn »alles wird weiterverwendet«, erzählt uns eine Schneiderin, während sie an einer Polsterung für ein Kostüm aus Faserland näht, und so ist niemand enttäuscht, wenn ein Kostüm nicht sofort zum Einsatz kommt, im Gegenteil, gerade bei historischen Kleidern ist es toll, sie überhaupt nähen zu dürfen, denn das ist außerhalb des Theaters kaum noch möglich.
Insgesamt finden drei Anproben statt, bei denen das Kostüm weiter verbessert und einiges an Feinarbeit geleistet wird. Nach und nach werden passende Accessoires ausgesucht, die sowohl zum Schauspieler als auch zum Kostüm passen. Allerdings dürfen die Schauspieler die Kostüme nicht von Anfang an bei den Proben tragen – an ihnen wird noch gearbeitet. Bis eineinhalb Wochen vor der Premiere des Stückes müssen die Schauspieler in sogenannten Probenkostümen arbeiten. Die Probenkostüme sind fertige Kostüme aus dem Fundus, die dem endgültigen Kostüm ähneln, damit die Schauspieler bereits die Beweglichkeit auf der Bühne austesten können.
Obwohl die Mitarbeiter der Schneiderei sich große Mühe geben, die Kostüme so robust herzustellen, dass sie die circa 20 Vorstellungen unbeschadet überstehen, fallen teilweise Reparaturen an den Kostümen zwischen den Aufführungen an. Für besonders leicht zerreißbare Kostüme gibt es sogar noch ein Ersatzkostüm. Wird ein Stück nicht mehr aufgeführt, kommen die Kostüme in den Fundus. Dort warten hunderte von Kleidern auf ihren nächsten Einsatz und wer weiß, was Christel Schellhas und ihr Team aus den Pelzen, Hemden und Röcken als nächstes zaubern.
Hallo Frau Schellhas, wir bräuchten für unsere Auff. im Febr. noch einen Tipp “wie präpariert – oder näht – man am Besten ein O-Hemd für die Bühne, das möglichst gut und schnell zerreisst ?” Wenn Sie Zeit haben, wäre ich Ihnen über eine Antwort der Idee oder Tipp dankbar.
Mit freundlichen Grüßen
Ursula Seib, Messel