Pünktlich zur dunklen Jahreszeit bringt der Rowohlt Verlag Licht und Wärme. In seinem Winterjournal zeichnet Paul Auster sein rastloses Leben nach und stimmt dabei nachdenklich und versöhnlich. Zu erfahren gibt es Großes und Kleines, Grundsätzliches und Privates von einem, der ausging, um Geschichten zu schreiben.
Von Christoph Bendfeldt
Es heißt, wenn man stirbt, zieht das eigene Leben wie ein Film noch ein letztes Mal an einem vorüber. Aus allem, was wir erlebt haben, den unzähligen Bildern vieler Jahre, schafft unsere Erinnerung eine Auswahl aus den verschiedenen Jahreszeiten unseres Lebens. Für Paul Auster hat die letzte Jahreszeit begonnen, was er zum Anlass nimmt, seinem Publikum diesen, seinen persönlichen Film zugänglich zu machen. Dass es für ihn keine Aussicht gibt, noch einmal frisch zu erblühen, klingt zuerst einmal deprimierend. Doch nach rastlosen Jahren des Sich-Behauptens und der ewigen Suche nach Liebe und Zufriedenheit blickt Auster nun zurück und erzählt in episodenhaften Fragmenten Geschichten seines Lebens. Diese führen den Leser ein in eine Vergangenheit, die immer auch Gegenwart ist, denn schließlich betrachten wir das Jetzt immer als Konsequenz individueller Entwicklungen früherer Tage, die ebenso stark vom Zufall geprägt wurden. Dass Auster im Kindesalter mit ansah wie einer seiner Freunde durch einen Blitzschlag getötet wurde, zählt zu solch erinnerungswürdigen Begegnungen mit dem Zufall, die sein Verständnis vom Leben nachhaltig beeinflussten.
Wenn die Erinnerungen auch in der Vergangenheit verwurzelt sind, so zirkulieren sie trotzdem weiterhin im Körper jedes einzelnen. Narben werden zu handfesten Erinnerungsstützen und die Menschen in unserer Umgebung Ausdruck von Beständigkeit und Wandel. Das Leben haftet ihnen an und doch entziehen sich selbst die Personen, die mit uns in engem Kontakt stehen, dem eingehenden Verständnis. Aus solchen individuellen Eindrücken leitet Auster ab, dass auch das Leben als Ganzes dem Menschen zu einem bestimmten Grad immer fremd bleibt. In diesem Bewusstsein vermischt er Eindrücke aus Jahrzehnten, seien es die noch unabgestumpften Sinne beim Entdecken der Welt als Kind oder die aufkeimende Sexualität, mit Anekdoten, deren Schauplatz häufig eine von seinen vielen Wohnungen ist. In einem Leben, das von Unbeständigkeit geprägt ist, sind es die zahlreichen Adressen, die einem im wahrsten Sinn des Wortes bewegten Leben Struktur verleihen. Dieser Struktur geht auch das Journal über weite Strecken nach und nimmt so den Ton eines Reisetagesbuches an, in dem das Äußere immer auch als prägender Einfluss auf das Innere erscheint. Diese Episoden ergeben das Reisetagebuch eines Lebens und sind Ausdruck einer Reise zum eigenen Ich, von dem Auster überzeugt ist, es zu Lebzeiten nicht mehr zu erreichen.
Licht und Schatten der ExistenzPaul Auster wurde 1947 in Newark, New Jersey, geboren. Seitdem gab es viele Stationen in seinem Leben, die ihn in verschiedenste Ecken der Erde verschlugen. Jedoch kommt lediglich New York einem Ort am nächsten, der so etwas wie Heimat bedeuten könnte. Bis er die Metropole nicht nur als pulsierenden Lebensraum, sondern auch als Ruhepunkt erkannte, führte Austers Weg zur Schriftstellerei über viele Umwege, mit der Leidenschaft für Literatur als eine von wenigen Konstanten. Bezeichnenderweise war es der aus dem Jahr 1985 stammende Roman Stadt aus Glas, als Teil der New York-Trilogie, mit dem Auster einen ersten Erfolg vorweisen konnte. Folgt man allerdings der Einladung Austers, in direkter Unmittelbarkeit an seinen Erinnerungen teilzuhaben, wird vor allem deutlich, dass es die Menschen sind, die einen großen Einfluss auf sein Leben ausüben und den Autor wie auch die Persönlichkeit Paul Auster bestimmen. Neben allen flüchtigen Kontakten wie Vermietern, Mitbewohnern, Freundinnen und Prostituierten, sticht immer wieder seine Familie heraus, insbesondere seine zweite Ehefrau und seine Mutter, die den Leser wie Lichtgestalten aus den Bildern und Eindrücken heraus anstrahlen. Wann immer die Gedanken zurückkehren an Orte und Momente des Schmerzes und der Not, sind es die beiden wichtigsten Frauen seines Lebens, die an anderer Stelle die Erinnerungen aufhellen und das Gleichgewicht zwischen Glück und Unglück aufrecht erhalten. Sie sind es, die ein Gefühl von Sicherheit in seinem Bewusstsein verankern können, was der Erfolg als Schriftsteller in ihm nicht auszulösen vermag.
Rastlos, ruhelos prescht Auster durch die Stationen seines Lebens und lässt auch seinen Lesern nur kurz Zeit, um Luft zu holen und sich seinen Sinneseindrücken hinzugeben.
Deine nackten Füße auf dem kalten Boden, wenn du aus dem Bett steigst und zum Fenster gehst
oder
Tag für Tag und bis in die Abende, in die langen, langsam verlöschenden Sommerdämmerungen hinein rennst du bis zur Erschöpfung draußen im Gras herum, der hämmernde Puls in deinen Ohren, der Wind in deinem Gesicht.
Darauf folgen Passagen über Krebs, Herzinfarkt und Tripper. Nein, man wird ihm kaum Nostalgie vorwerfen können, diesem ehrlichen Lebenszeugnis. Die Vielfältigkeit von Eindrücken und die Verbindung aus Poesie und unverblümter Realität, die der Autor ohne Scheu vor Brüchen eingeht, lassen dieses Journal als etwas Besonderes erscheinen. Es wirkt selten sentimental doch immer aufrichtig.
Mit seinem Winterjournal bringt Paul Auster nicht nur sein eigenes Leben zur Reflexion. Es motiviert gleichermaßen dazu, über das eigene nachzudenken. Über das, was einem am Herzen liegt und wonach man noch auf der Suche ist, bevor der Winter einbricht und man hoffentlich mit Wohlwollen auf das zurückblickt, was bisher gemeistert wurde. Denn was bleibt schließlich, wenn es Winter geworden ist? Die Liebe der Nächsten, der unerschöpfliche Reichtum der Kunst und das sich Wärmen an den eigenen Erinnerungen. Es ist schön und es ist tröstlich, wenn doch alles andere unsicher bleibt.