Recht Gute Bücher
Wir haben viele schöne Bücher rezensiert in diesem Jahr, aber natürlich noch viel mehr schöne Bücher nicht. Deshalb hat die Litlog-Redaktion eine ganz kleine Liste mit Buchempfehlungen zusammengestellt, die ihr anderen oder euch selbst unter den Jahresendzeitlichtschmuckbaum legen könnt und die wir bisher nicht auf Litlog besprochen haben.
Von Dorothee Emsel und Adrian Bruhns
1. Alexandra Kleeman, You Too Can Have a Body Like Mine
Alexandra Kleemans Debutroman folgt der Protagonistin A bei ihrem Versuch, sich »rein« zu ernähren, indem sie ihre Nahrungsaufnahme immer weiter reduziert und möglichst nur noch von einer bestimmten Marke industriell gefertigter Kuchen lebt, die hauptsächlich aus Plastik hergestellt werden. Dabei tut es ihr ihre Mitbewohnerin B gleich, deren einziges Bestreben im Leben zu sein scheint, möglichst ununterscheidbar von A zu werden. Dieser surreale Roman über Konsum und Identität startet in der WG der beiden Frauen, in der sie stetig absurde Gameshows und Werbeprogramme schauen, und endet in einer Sekte/Firma, die sich dem Ernährungskult um die Plastikkuchen verschrieben hat. Ein ambitioniertes Debut, mit dem Alexandra Kleeman sich so nachdrücklich empfohlen hat, dass sie seitdem eine Kurzgeschichte in jedem übernächsten
New Yorker platziert. (Auf Deutsch unter dem Titel
A wie B und C erschienen.)(AB)
2. Michel Faber, The Book of Strange New Things
Ein englischer Pastor wird im Auftrag eines undurchsichtigen Großkonzerns zu einem seiner Außenposten auf dem Planeten Oasis gebracht, um dort die einheimische außerirdische Bevölkerung zu missionieren. Für diese aufregendste Mission seines Lebens lässt er seine Frau zurück und zieht mitten hinein in das bescheidene und fremde Dorf der Oaseaner. Hier sieht er sich der Schwierigkeit ausgesetzt, einer Spezies Werte und Begriffe zu vermitteln, die in ihrer Sprache und Lebenswelt nicht existieren. Während seine Frau ihm eskalierend schlechtere Nachrichten über den Zustand der zurückgelassenen Erde sendet, zweifelt er zunehmend an seiner Mission und daran, ob die Oaseaner ihn richtig verstehen. Dieses so schöne wie belastende Buch von Michel Faber, der in Deutschland am bekanntesten für die Buchvorlage für den Film
Under the Skin (2013) ist, erschien schon 2014 und ist noch immer nicht ins Deutsche übersetzt worden. Doch kein anderes Buch hat mich in den letzten zwei Jahren gleichermaßen beschäftigt.(AB)
3. Paul Beatty, The Sellout
Paul Beatty
The Sellout
Farrar, Straus and Giroux 2015
304 Seiten, 26,00$
Paul Beattys essayistischer Roman beginnt mit einer Verhandlung vor dem amerikanischen Verfassungsgericht. Der nur mit dem Nachnamen »Me« versehene afroamerikanische Protagonist muss sich hier für seinen Versuch verteidigen, in einem Vorort von LA die Segregation wieder einzuführen. Und dafür, selbst einen Sklaven auf seiner Farm gehalten zu haben. Eine offen rassistische Gesellschaft funktioniere wenigstens besser als eine mit verstecktem, systemischem Rassismus, so seine provokative Rechtfertigung. Paul Beattys satirisches Amerikaportrait ist nicht nur klug und witzig, schon seine schwindelerregende sprachliche Überlegenheit allein hat ihm den diesjährigen Man Booker-Preis gesichert, der damit erstmalig an einen Amerikaner ging.(AB)
4. Nino Haratischwili, Das achte Leben (Für Brilka)
Es ist sicherlich nicht einfach, die Schrecken eines Bürgerkrieges in ein Page-Turner-Konzept einzubetten. Die vielfach für ihre Romane und Theaterstücke ausgezeichnete Nino Haratischwili kann. Wir beschreiten mit den Protagonisten Stasia, Kostja, Kitty, Andro und anderen unvorhersehbare Wege, die durch das zerrüttete Georgien und von dort aus in den Rest der Welt führen, sehen uns konfrontiert mit Verlust und Trauer, gleichzeitig aber auch mit der Kraft, selbst aus dem Horror eines Krieges mit eigenen kleinen Siegen hervorzugehen. Es ist eine rebellisch-düstere Familienchronik, die Haratischwili da in epischer Breite entworfen hat, und die übertragbare Aktualität des »achten Lebens« erinnert daran, dass sie uns alle etwas angeht.(DE)
5. Christoph Hein, Frau Paula Trousseau
Frau Paula ist keine Protagonistin, der man sofort in die Arme fallen möchte. Sie fremdelt mit dem Leben selbst, lässt sich unterjochen, erpressen, zwingen. Verheiratet nur, um dem familiären Patriarchat zu entkommen. Ziemlich häufig nackt. Eifersuchtsauslösend schön. Verwirrung stiftend. Wie soll man sie nun zu nehmen wissen, diese ewige Distanz wahrende Malerin, die sich vornehmlich durch Beischlaf ihre ernstzunehmende Position im künstlerischen Umfeld zu verdienen weiß? Christop Hein nutzt rettende Rückschauen galant, um die Beweggründe der erwachsenen Paula Trousseau über das misshandelte Kind Paula transparent zu machen. Und dann, ja dann, versteht der Leser, verzeiht der Leser, fiebert der Leser mit mit Paula, die sich in einer men´s world behaupten muss, von Anfang an, die aufzeigt, dass selbst die Freiheit im künstlerischen Schaffen, in der Malerei, nicht immer aus dem eigenen Talent resultiert, sondern oft auch eine Frage des Protegierens ist. Erschreckend und schön.(DE)
6. Erich Kästner, Der Gang vor die Hunde
Erich Kästner wirft in der 1931 erschienenen und inhaltlich beschnittenen Version des Originalmanuskripts mit dem Titel
Fabian. Geschichte eines Moralisten einen jungen Menschen in das Berlin der Vorkriegszeit, der durch seine innere Unruhe und sein Suchen nach dem Seelenheil verschmilzt mit der in politischer Wirrnis versinkenden Metropole. Jakob Fabian irrt durch das nächtliche Stadtgewitter, voll mit erotischen Eskapaden und aufkommenden öffentlichen Auseinandersetzungen zwischen nationalsozialistischer und kommunistischer Weltanschauung. Kästner beweist in der Schilderung eines Menschenlebens im Chaos einmal mehr die Fähigkeit, moralische Grundsätze mittels pointiert eingesetzter Ironie sichtbar zu machen. Im ATRIUM Verlag Zürich erschien die originale Fassung unter dem von Kästner bevorzugten Titel
Der Gang vor die Hunde.(DE)