Man erwartet Unerwartetes bei einer neuen Inszenierung von einem Kleist-Klassiker, insbesondere, wenn sie sich herausnimmt, nicht im sondern unmittelbar nach dem Kleistjahr Premiere zu feiern. Sophia Karimi war bei der Premiere von Der zerbrochne Krug im DT. Ihr Fazit: Eine Inszenierung nicht ernsthaft und verkopft, sondern mit Schwung und Knalleffekt.
Von Sophia Karimi
Mit welchen Erwartungen tritt man am Samstagabend im DT an eine Inszenierung von Kleists Klassiker aus dem Jahr 1806 heran? Möglicherweise wird ja der Sprache viel Raum gelassen und das Ganze minimalistisch verstörend inszeniert? Ein völlig neuer Ansatz vielleicht? Nacktheit? Rollentausch? Nachdenklichkeit?
Nein, Antje Thoms‘ Inszenierung macht in erster Linie Spaß und hat einen Schwung und Knalleffekt, dass es Freude macht. Anfangs ist man noch skeptisch. Das Bühnenbild voller Getränkekisten, Unordnung und dann auch noch eine Radiostation mit sich stetig für die Gebühren bedankenden Moderatoren. Droht das Ganze nicht viel zu albern zu werden? Denn einfach nur bunte Unordentlichkeit reicht nicht aus, um zu überzeugen.
Spätestens aber wenn der korrupte Dorfrichter Adam (großartig gespielt von Paul Wenning) leidend aus seiner Kiste krabbelt, beginnt der Theaterschabernack so richtig und man ahnt schon, das hier überzeugt gekonnt.
Da leidet Dorfrichter Adam zunächst sehr viel und unterhaltsam, hat eine heimliche nächtliche Begegnung mit dem unschuldigen Evchen doch schwere Verletzungen und, besonders schlimm, den Verlust der Würde verleihenden Perücke zur Folge. Und dann kündigt sich mitten im Leiden auch noch unerwartet Gerichtsrat Walter an, um einen Kontrollbesuch durchzuführen, gleichzeitig ist Gerichtstag in Hiusum. Und so muss Dorfrichter Adam perückenlos, unter den Augen seines Vorgesetzten und der Dorfbewohner, den Prozess um den zerbrochenen Krug der Frau Marthe, Eves Mutter, führen. Dieser ist gestern Abend bei einem nächtlichen Besuch in Eves Zimmer zu Bruch gekommen. Wer war da denn nun nachts bei ihr? Die ganze Geschichte um den zerbrochenen Krug wird immer konfuser, war es nun ihr Verlobter Ruprecht, ein unerwünschter Nebenbuhler oder gar der Teufel, wie Tante Brigitte behauptet, der Eve nachts besucht hat?
Der Dorfklamauk beginnt, da wird ohrwurmträchtig gesungen, getanzt und musiziert. Die Live-Musik erhöht den Schunkelfaktor ungemein und man merkt schnell, diese Inszenierung soll nicht verkopft und ernsthaft sein. Mitunter fast slapstickartig werden Hühner dargestellt, Mätzchen gemacht. Und das Publikum erfreut sich an der so offensichtlichen Spielfreude und dem Spielkönnen der Darsteller. Diese Spielfreude hält auch in der Pause an, in der die Schauspieler bühnenpräsent sind und nochmal unglaublich aufdrehen. Das kann nur noch übertroffen werden von der zweiten Hälfte, die mit Discokugel, Buntheit und noch mehr Verve aufwartet, fast möchte man mitfeiern, so lebhaft geht es da auf der Bühne zu.
Mitreißend ist auch diese sehr starke Eve. Um diese Figur spannen sich sehr intensive Momente des Stücks, beispielsweise, wenn Eve gegen Ende alle fast erschießt. Für Brüche innerhalb der Inszenierung sorgt diese Figur aber nicht. Viel Freude hat man an der herrlich dümmlichen »Tante Briggy« mit ihren großen, runden, dummen Augen und dem Hang zur übertriebenen Selbstdarstellung – diese etwas andere Frau Brigitte fügt sich wunderbar in den dörflichen Figurenkosmos von Hiusum ein. So will sie doch tatsächlich den Teufel nachts vor Eves Zimmer getroffen haben und schildert den Übeltäter so genau, dass klar wird, einige Dorfbewohner wollen hier gar nicht begreifen, dass nicht der Beelzebub, sondern Dorfrichter Adam höchstpersönlich Eve nachts einen Besuch abgestattet hat. Dieser nutzt seine Macht, um Eve zunächst zum Schweigen zu bringen. Auch der Gerichtsrat, der für Recht und Ordnung sorgen soll und auch dazu gewillt scheint, ist plötzlich gar nicht mehr an einem ordnungsgemäßen, fairen Prozess interessiert. Doch wird der Dorfrichter am Ende noch enttarnt und da fließt das Blut Adams dann aber so reichlich aus den Wunden, die ihm Ruprecht zufügt, dass man auch hier merkt, Ernsthaftigkeit soll nicht erreicht werden. Solche Blutströme sind nicht ernst gemeint oder erschütternd, sondern in erster Linie witzig.
Diese aufgedrehte Inszenierungsform passt zu dem Verwirrspiel um Recht und Unrecht, welches der korrupte Staatsdiener Adam, der doch ein so ehren- und würdevolles Amt innehat, da veranstaltet. Die Aktualität um korrupte Machtinhaber, die an Aufklärung von Missetaten nicht interessiert sind und ihr Amt zum eigenen Vorteil nutzen, ist augenscheinlich ein Glücksfall und lässt diesen kurzweiligen Theaterabend umso witziger werden, das Lachen bleibt einem glücklicherweise nicht in der Kehle stecken, sondern darf frei heraus. Und so verlässt man beschwingt summend das Deutsche Theater und kann sich auch im Nachhinein nochmal über so viel gekonnte Respektlosigkeit freuen.