Impressum Disclaimer Über Litlog Links
Scheiß auf die ewige Ruhe

Am 10.03.2011 feierte das Junge Theater mit Werner Schwabs Die Präsidentinnen eine aggressive und laute Premiere. Gernot Grünewald inszeniert, wie die Sprache zur Falle wird. Zu einer dreckigen Enge, aus der es nur wortlos einen Ausweg gibt. Wer nicht schweigt, frotzelt, schimpft und beleidigt.

Von Martin Jurk

Die Vielstimmigkeit der medialen Welt lässt uns glauben, alles zu wissen. Alles Gerede ist unverbindlicher Selbstzweck. Im Rauschen der Stimmen ist jeder Selbstbetrug anstandslos auslebbar. Als legitimierter Frontalunterricht in den gemeinen Wohnzimmern dieser Welt rauscht nach wie vor der Fernseher und erweist sich als textproduzierende Maschine, wird zur Grundlage menschlichen Redens und liefert Kommunikationsbausteine für das tägliche Gespräch.

Gernot Grünewald inszeniert im Jungen Theater Göttingen Die Präsidentinnen von Werner Schwab und führt die Schauspielerinnen Anne Düe, Henrike Richters und Sonja-Elena Schroeder durch das »Fäkaliendrama« – von der Textmaschine hin zu den Figuren und zurück zu sich selbst.

Die drei Darstellerinnen lernen ihre Figuren erst im Lauf der ersten Szenen kennen, indem sie ihre Repliken von Fernsehgeräten ablesen. Sie werden gewissermaßen erst zu den Putzfrauen Mariedl, Grete und Erna, die sich an einem Ostersonntag in einer Wohnküche treffen, um bei unangenehm eingängiger Popmusik herumzuphilosophieren und zu streiten. Eine Grundannahme Schwabs lautet, »dass die Leute nicht sprechen, sondern gesprochen werden« (Tagesspiegel, 4.1.1994). Wenn es um die Bewertung der Figuren geht, die dem Zuschauer in Die Präsidentinnen vorgeführt werden, zeigt sich, was Schwab damit meint: Sie sind von der Sprache beherrscht, die sie von den Textmaschinen übernommen haben, bei Grünewald vorrangig Audioschnipsel von Shopping-Kanälen.

Die aufgezwungene Ordnung bedeutet für die Figuren ständige Qual, die von der determinierten sprachlichen Beschränkung herrührt. Das eigentlich Grausame stellt sich ein, wenn schemahafte Sprache auf reale Menschen losgelassen wird. Sie mutieren zu schwab‘schen »instinktmenschen«. Die Konfrontation mit Figuren solcher Art erzeugt nicht nur Abneigung bei den Zuschauern, sondern auch bei den Darstellerinnen selbst. Man merkt es ihrem Kommunikationsverhalten an: ein anstrengendes Geschrei und Gezeter über den ganzen Abend hinweg – überzeugend konsequent und dynamisch.

Denn bei Schwab sind die Menschen meist nur fressende und scheißende Typen mit genial arrangierten Verbalausbrüchen, die sie in der Regel in Form der distanzierten Selbstkommentierung äußern. Aus diesem Zustand der Not erträumen sich die Figuren in der zweiten Szene ein Dorffest, das sie zur Projektionsfläche ihrer geheimsten Wünsche machen. Im Folgenden verlieren sich Grete und Erna in ihren imaginierten Begierden zum Tubaspieler Freddy und Fleischermeister Wottila. Durch die Fiktion ihrer Leidenschaften wird die Erzählung Mariedls ständig unterbrochen. Diese reißt daraufhin Wort und Macht an sich, lässt Ernas und Gretes Geschichte grausam enden und unterminiert deren Selbstdarstellung.

Das Stück

Die Präsidentinnen
Regie: Gernot Grünewald
mit Anne Düe, Henrike Richters und Sonja-Elena Schroeder
Weitere Termine
15.03., 24.03., 08.04., 10.04., 21.04., 26.04. jeweils um 20 Uhr

 

Junges Theater

logo

Das Junge Theater Göttingen entstand 1957 als innovatives und alternatives Zimmertheater. Der Schauspieler Bruno Ganz läutete hier seine Karriere ein, auch Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Kracht verwirklichten sich im Jungen Theater. Heute bietet das Haus rund 200 Zuschauern Platz. Unter Intendanz von Andreas Döring setzt das JT auf zeitgemäße Themen auch in klassischen Stoffen.

 
 
Das wie zufällig arrangierte Bühnenbild macht auf kluge Weise die existentielle Bedrohung sichtbar, der die Figuren ausgesetzt sind, wenn ihnen das Recht zu sprechen entzogen wird. Wenn die Schauspielerinnen nicht sprechen, verschwinden sie hinter abgeschliffenem Plexiglas und verblassen. Sie müssen vor die Stellwände treten, um hörbar zu sein. Später entdecken sie eine Kamera, durch deren Aufzeichnung sie selbst zum Fernsehbild werden. Ausschnitthaft verfremdet, unheimlich vergrößert oder nebulös verwischt erscheinen sie auf den Stellwänden. Der Prozess, den die Präsidentinnen in der ersten Szene durchlaufen, nämlich das Figurwerden, wird in der zweiten Szene zum Problem des Zuschauers, der zunehmend von Bild und Text der Videokamera beeinflusst wird.

Hier sehen wir vor allem Mariedl wie sie vom Pfarrer versteckte Überraschungen aus den Aborten angelt und dazu bis zu den Achselhaaren in die verstopften Kloschüsseln greifen muss. Das alles nur für ein wenig Aufmerksamkeit außerhalb des sprachlichen Diskurses. Mariedl ist im Dreiergespann die sozial benachteiligteste Figur, die sich im Lauf des Stückes als Antagonistin gegenüber ihren Mitspielerinnen erweist. Sie ist die Kinderlose, die sich weder wie Grete mit den Vorgaben der Sprache arrangiert noch wie Erna sich kleinbürgerlich-moralisch der Lust und dem Schmerz der Sprache und des Fleisches stellt. Mariedl besinnt sich ganz auf sich selbst und verkommt zu einer unhaltbaren Sprechmaschine. Ruhe und Sprachlosigkeit müssen zwangsläufig folgen, denn jeder stirbt für sich allein. Das Stück schließt mit einer dritten und letzten Szene, in der die drei Schauspielerinnen mit dem Publikum in den Bühnenraum schauen, der einem riesigen Bildschirm gleicht: Es rauscht und flackert weiter, jetzt auch im Theater, und ein Entrinnen ist nicht möglich.

Die Präsidentinnen ist Werner Schwabs Erstlingswerk (UA 1990) und war in den 1990er Jahren in Deutschland sein meistgespieltes Stück. Es begründete zu seiner Zeit die – nach seinem Tod mittlerweile schon etwas gebrochene – Popularität des österreichischen Antikünstlers. Und dokumentiert zugleich die doch sehr geringen Spannungen zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Durch diese Nähe zu realen Außenseiterfiguren spricht man auch vom Realistischen Volksstück. Sprachliche Dekonstruktion und Sprachkritik sind hier noch nicht so ausgeprägt wie in Schwabs nachfolgenden Werken. Auch ist die intendierte Situationskomik und das Provokationspotenzial ein Grund für die immerwährende Spielplanpräsenz. So ist jeder provozierter Lacher in gleicher Weise auch eine Art Erlösung von aneinandergereihten Fäkaltiraden.

Der Unterhaltungswert kommt auch in der Inszenierung Gernot Grünwalds, seiner nunmehr dritten Produktion am Jungen Theater Göttingen, nicht zu kurz. Sie versperrt glücklicherweise nicht den Blick auf die Sehnsüchte der Figuren und deren Widerstände gegenüber den sprachlichen und theatralen Begrenzungen. Es ist eine spröde und sehenswerte Inszenierung voller dekonstruktivem Charme und mit allzeit aktueller Kommunikations- und Sprachkritik.



Metaebene
 Autor*in:
 Veröffentlicht am 14. März 2011
 Bild mit freundlicher Genehmigung vom Jungen Theater Göttingen.
 Teilen via Facebook und Twitter
 Artikel als druckbares PDF laden
 RSS oder Atom abonnieren
 Keine Kommentare
Ähnliche Artikel
Keine Kommentare
Kommentar schreiben

Worum geht es?
Über Litlog
Mitmachen?