Sebastian Fitzek veröffentlicht mit Flugangst 7a seinen 15. Psychothriller. Erneut setzt er dabei auf funktionale Blanko-ProtagonistInnen und rasend schnelle Ereignisketten. Ein Thriller, der zeigt, dass Erfolgsrezept und Kern der Kritik manchmal nicht weit auseinander liegen.
Von Merle Tiaden
Mit Flugangst 7a wurde im Oktober 2017 der mittlerweile 15. Psychothriller von Sebastian Fitzek veröffentlicht. Schauplatz ist diesmal ein Langstreckenflieger auf dem Flug von Buenos Aires nach Berlin. An Bord befindet sich der an Flugangst leidende Psychiater und Protagonist Dr. Mats Krüger.
Fitzek-KennerInnen werden an dieser Stelle laut »Aha!« rufen: Natürlich hat Dr. Krüger Flugangst. Und natürlich befindet er sich trotzdem in einem Flieger. Warum? Weil das zu Fitzeks üblichem Konzept gehört. Tatsächlich ist es sogar ein zentraler Aspekt eines jeden seiner Thriller. Die ProtagonistInnen leiden unter einer Beeinträchtigung, die es unter den gegebenen Umständen zu händeln gilt. In Amokspiel ist es die Alkoholabhängigkeit mit den dazu gehörigen Entzugserscheinungen, in Das Paket eine Agoraphobie und in Flugangst 7a eben die Flugangst.
Doch nicht nur eine solche Beeinträchtigung gehört zum fitzekschen Idealcharakter. Wichtig ist auch immer eine traumatische Vorbelastung. In Flugangst 7a erfüllt diese Funktion der Freitod von Dr. Krügers Ehefrau Katharina. Katharina nämlich war an Krebs erkrankt und wünschte sich nach unzähligen erfolglosen Chemotherapien einen selbstbestimmten Tod. Ihr Mann allerdings hatte nicht die Kraft für diese Art des Abschieds und setzte sich nach Buenos Aires ab. Seine Tochter Nele, zweite Protagonistin des Thrillers, nimmt ihm das natürlich ziemlich übel. Selbiges gilt aber auch für Dr. Krüger selbst. Und damit erfüllt er ein weiteres Kriterium für Fitzek-ProtagonistInnen. Diese haben nämlich zumeist irgendetwas in ihrer Vergangenheit getan oder eben nicht getan, worauf sie in der Gegenwart nicht unbedingt stolz sind. Der Plot gibt ihnen aber nun die Gelegenheit, das Ruder rumzureißen und alles wieder gut zu machen.
Wichtig dafür ist erst einmal eine Katastrophe, welche über die Hauptfigur und bestenfalls auch seine Familie hereinbricht. Ideal ist es dann noch, wenn die traumatische Vorbelastung der Charaktere irgendwie mit dieser Katastrophe in Verbindung steht oder durch sie zumindest getriggert wird. In Flugangst 7a realisiert sich dieses Konstrukt insofern, als dass sich Dr. Mats Krüger das erste Mal nach dem Tod seiner Frau wieder in einem Flugzeug befindet, um bei der Geburt seines Enkelkindes dabei zu sein. Davon erhofft er sich, das Verhältnis zu seiner Tochter Nele verbessern zu können. Das Problem an der ganzen Sache ist aber, dass Nele – hochschwanger und in den Wehen liegend – auf dem Weg ins Krankenhaus entführt wird. Die Entführer fordern daraufhin von Dr. Krüger, dass er eine ehemalige Patientin seiner psychiatrischen Praxis, die sich mit an Bord des Flugzeugs befindet, dazu bewegen soll, dieses zum Absturz zu bringen. Tut er das nicht, sollen seine Tochter und ihr Kind sterben. Das moralische Dilemma ist also perfekt.
Jedes weitere Wort zur Story würde an dieser Stelle zu viel verraten, denn bei Fitzek hat bekanntlich immer alles irgendwie mit allem zu tun.
Interessant ist, wie Fitzek aus den von ihm gleich zu Beginn zahlreich aufgeworfenen Erzählsträngen letztendlich ein kohärentes Geschehen entwickelt. Am Anfang steht der Prolog: Konsequente Fitzek-LeserInnen dürfen sich an dieser Stelle freuen, denn es kommt zu einem Wiedersehen mit dem bereits aus mehreren Werken bekannten Dr. Martin Roth. Traditionell für Fitzek liegt der Prolog zeitlich nach den eigentlichen Ereignissen und liefert damit einen kryptischen Hinweis auf den Ausgang des Geschehens. Erst danach setzt die eigentliche Erzählung ein. In diesem Fall beginnt sie mit Nele, die genau wie ihr Vater (und wieder ganz Fitzeks ProtagonistInnen-Schema entsprechend) stark vorbelastet ist. Sie hat AIDS, weswegen ihr Kind per Kaiserschnitt zur Welt gebracht werden soll. Doch dann setzen die Wehen zu früh ein (Beeinträchtigung) und Nele muss sich allein auf den Weg ins Krankenhaus machen, da der Vater des Kindes auf ihre Schwangerschaft mit Tritten in den Unterleib reagierte (Trauma). Alle darauffolgenden Ereignisse erzählt Fitzek in den für ihn typischen drei bis vier Seiten langen Kapiteln, welche grundsätzlich mit einem Cliffhanger enden. Bis zur Auflösung eines solchen müssen die LeserInnen sich aber gedulden, denn jedes Kapitel ist aus der Perspektive eines/einer anderen AkteurIn erzählt. Das führt zu einem extrem hohen Erzähltempo mit dementsprechender Sogwirkung. Eine Lesepause ist so ab einem bestimmten Punkt einfach nicht mehr zumutbar.
Darunter leiden allerdings nicht nur die alltäglichen Pflichten der LeserInnen, sondern auch die Tiefe der Charaktergestaltung. Die Figuren sind – um es auf den Punkt zu bringen – platt. Bis auf das Konstrukt aus psychischer und/oder körperlicher Beeinträchtigung, traumatischer Vorbelastung und gezielt gesetzten Schuldgefühlen haben sie genau genommen keine Eigenschaften. Dass die Hauptfiguren letztendlich wie Blanko-Charaktere austauschbar sind, zeigt sich daran, dass statt Mats Krüger genauso gut Irina Samin aus Amokspiel im Flieger sitzen könnte. Die beiden Rollen unterscheiden sich zwar durch ihren Background, reagieren würden sie aber auf dieselbe Weise. Schlussendlich handelt es sich um funktionale Vorzeige-HeldInnen. Trotzdem baut der/die LeserIn eine emotionale Bindung auf. Das liegt zum einen daran, dass eine Charakter-Blaupause die perfekte Projektionsfläche für jede/n RezipientIn darstellt, und zum anderen arbeitet Fitzek mit Urängsten.
Ein bisschen differenzierter fallen da Fitzeks Bösewichte aus, wobei es diesmal nur Neles Entführer ist, der eine interessante innere Zerrissenheit in seinem Handeln offenbart. Auch hier ist Fitzek bereits Besseres gelungen. Man denke nur an das Joshua-Profil und die Figur des Cosmo.
Bei Flugangst 7a handelt es sich also definitiv um einen für Sebastian Fitzek typischen Thriller, und wer schon das ein oder andere Buch des Autors gelesen hat, ist vielleicht nicht von jeder der zahlreichen Wendungen im Plot so überrascht wie ein Fitzek-Frischling. Was spricht nun aber dafür, Flugangst 7a zu lesen? Ganz klar: Die Spannung.
Die Charakter- und Plotkonstruktion, Fitzeks Schema F, funktioniert noch immer. Und – ein herber Schlag für die erbarmungslosen Fitzek-KritikerInnen – sie macht sogar Spaß. Natürlich würden etwas weniger Tempo und mehr Charaktergestaltung dem keinen Abbruch tun. Vielleicht würde es den Effekt sogar noch verstärken. Häufig wird der fehlende Tiefgang von Fitzeks Thrillern der geringen Zeit zwischen seinen Veröffentlichungen zu Lasten gelegt. Wahrscheinlicher ist es allerdings, dass wir uns hier im Bereich des »never change a running system« befinden. Und die Befürwortung dessen sei Deutschlands erfolgreichstem Autor von Psychothrillern und auch seinen zahlreichen begeisterten LeserInnen durchaus zugestanden.