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Schillers schweres Erbe

Fremde lagen sich schluchzend in den Armen, Damen fielen in Ohnmacht. So der Mythos der Uraufführung von Schillers Räubern 1782, der seitdem über jeder Neuinszenierung des Stückes wie ein schwerer Schatten lastet. Wie es sich damals auch zugetragen haben mag: Der Nimbus der unerreichbaren Wirkungsmacht bleibt.

Von Christian Dinger

Wer sich davon nicht abschrecken lässt, dem bieten Die Räuber zahlreiche Möglichkeiten. Deshalb immer wieder die Frage: Inszeniert man sie als Sprachkunstwerk, als Gesellschaftsdrama oder holt man den Stoff in die Gegenwart und entzündet seine politische Sprengkraft?

Das Junge Theater scheint sich in seiner Inszenierung zunächst für Letzteres entschieden zu haben. Ein steriler Büroraum, Aktenordner, ein großer Schreibtisch und dahinter der alte Moor als patriarchalischer Unternehmer, der selbstgefällig über den Sozialneid der Unterprivilegierten sinniert. Und daneben Franz Moor, der an seinem Laptop sitzend scheinbar den neuen, noch skrupelloseren Kapitalismus verkörpert. Man kann sich die Politisierung des Dramas als Zuschauer bereits ausmalen. Vor seinem inneren Auge sieht man bereits den verstoßenen Sohn Karl Moor als rebellischen Kapitalismuskritiker, der mit seiner Räuberbande von Autonomen umherzieht. Doch wer nun einen Hagel von politischen Plattitüden erwartet, kann aufatmen. Und wer sich eine aktuell brisante Interpretation der Räuber erhofft, wird enttäuscht.

Denn mit dem hinzugedichteten Monolog des alten Moor ist die Politik bereits abgehakt. Der Büroraum ist für den Rest des Stückes nur noch Fassade. Sprachlich wird nur wenig verändert. Dafür fehlen die Räuber, die ja eigentlich die Namensgeber des Dramas sind. Es gibt nur Karl Moor und Spiegelberg, der fortan alle Räuber in Personalunion verkörpern muss. Seine Figur verliert sich daher im Ungefähren, leider auch die Karls. Denn durch das Fehlen der Räuber verliert auch die Nebenhandlung in den böhmischen Wäldern an Bedeutung. Karl und Spiegelberg steigen aus der Businesswelt in einen unterirdischen Raum ab, aus dem sie zum Ende des Stücks leicht verwahrlost wieder auftauchen. Dadurch, dass der Originaltext weitestgehend beibehalten wird, wirken diese Szenen zusammenhangslos und unmotiviert. Text und Geschehen auf der Bühne scheinen nicht zusammenzupassen. Durch den Bedeutungsverlust der Räuberbande geht zum einen viel dramatisches Potential verloren, zum anderen werden die Zuschauer um die Gelegenheit betrogen, etwas über Karls vielschichtigen Charakter und seine verschiedenen Motivationen zu erfahren.

Das Stück

Die Räuber
Regie: Andreas Döring
Weitere Termine
u.a. 17.09., 21.09., 24.09., 05.10., 14.10., 19.10., 28.10., 29.10., 09.11. jeweils um 20 Uhr

 

Junges Theater

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Das Junge Theater Göttingen entstand 1957 als innovatives und alternatives Zimmertheater. Der Schauspieler Bruno Ganz läutete hier seine Karriere ein, auch Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Kracht verwirklichten sich im Jungen Theater. Heute bietet das Haus rund 200 Zuschauern Platz. Unter Intendanz von Andreas Döring setzt das JT auf zeitgemäße Themen auch in klassischen Stoffen.

 
 
Auch Franz bleibt dem Zuschauer in dieser Inszenierung ein Rätsel. Er tritt als nervöser, leicht debiler Exzentriker auf, eher als eine Parodie seiner selbst, ständig am Rande des Wahnsinns. Seiner Figur wird auch dies nicht gerecht. Die aussagekräftigen Monologe versinken im Lächerlichen, Franz wird zur Witzfigur. Die Antipoden Franz und Karl verlieren so beide ihr dramatisches Gegenüber. Der eine wird überzeichnet, der andere nur schemenhaft dargestellt.

Was macht man auch mit Schillers »monströsen Figuren«, wie bereits im Ankündigungstext der Inszenierung gefragt wird? Wirklichkeitsferne Kopfgeburten sahen schon die zeitgenössischen Kritiker der Räuber um Goethe und Wieland in den Figuren und auch Schiller schrieb nachträglich in einer kritischen Reflexion seines eigenen Stücks, er habe in ihnen den Menschen »überhüpft«. Und dann auch noch das leidige Pathos, das Schiller seinen Figuren verlieh. Wer möchte es heute noch Schauspielern zumuten, so zu spielen? Und den Zuschauern erst, sich dies auch noch anzugucken? Geht das nicht auch alles eine Nummer kleiner?

Eine Nummer kleiner hat das Junge Theater die Szenen mit großem Pathos nicht gemacht. Es wurde das gemacht, was das Theater leider viel zu oft tut, wenn das ungewollt Komische vermieden werden soll – das gewollt Komische, um nicht zu sagen: das Lächerliche. Es gibt nämlich noch eine weitere Gefahr bei Schillers Räubern. Neben denjenigen, die sich nicht an das Drama herantrauen, weil es so viele Gefahren in sich birgt, gibt es noch jene, die es unterschätzen. Und das ist die eigentliche Gefahr.

Vielleicht kann es für den abgeklärten Theaterbesucher des 21. Jahrhunderts keine Aufführung mehr geben, die das Theatergebäude in ein Tollhaus verwandelt, wie es sich 1782 in Mannheim zugetragen haben soll. Aber etwas mehr als vereinzelte Lacher für eingebaute Kalauer steckt allemal in Schillers Räubern. Es fehlen nur die Regisseure, die sich trauen es herauszuholen – und es auch schaffen.



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 Veröffentlicht am 17. September 2010
 Bild mit freundlicher Genehmigung vom Jungen Theater Göttingen.
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