Auf die Shortlist des diesjährigen Buchpreises ist Marlene Streeruwitz mit ihrem Roman Nachkommen. nicht gekommen – anders als ihre Protagonistin Nelia Fehn. Diese sieht sich auf der Frankfurter Buchmesse dem Theater des Literaturbetriebs inklusive alkoholisiertem, altväterlichem Kritikergeschwätz ausgesetzt.
Von Annika Klanke
Lächeln. Immerzu lächeln. Dankbar sein, sich zeigen, mitmachen. Und vor allem: sich nicht so anstellen, es sei ja alles nicht so gemeint, nicht gegen sie persönlich gerichtet. Diese Ratschläge bekommt die Jungautorin Nelia Fehn, die Marlene Streeruwitz in ihrem neuen Roman Nachkommen. auf das mitunter schmierige Parkett des Literaturbetriebs schickt, altväterlich-vertraulich zugesteckt, ins Ohr geraunt, ins Gesicht gekeucht. Aber Nelia Fehn lächelt nicht. Am Morgen ist sie auf der Beerdigung ihres Großvaters dem provinz-österreichischen, katholischen Familienterror ausgesetzt, nur wenige Stunden später muss sich die 21-Jährige im Herzstück des deutschsprachigen Literaturbetriebs, der Frankfurter Buchmesse und der Verleihung des Deutschen Buchpreises beweisen, für dessen Shortlist sie nominiert ist. Sie bekommt ihn nicht, den Preis. Eine »Kindergartenüberraschungserniedrigung«, wie sie es selbst nennt.
Da kann einem das Lächeln vergehen – oder besser gesagt: einer. Auf die weibliche Form beharrt Nelia Fehn, auch wenn alte Literaturkritiker das ärgerlich oder unästhetisch finden. Sie ist eine Autorin, kein Autor, und sie hat kein Buch geschrieben, sondern einen Roman. Damit ist sie eine typische Tochter von Marlene Streeruwitz, sie passt sich in die Reihe ihrer anderen Protagonistinnen ein, die an der Welt leiden, die aber dennoch aufbegehren, und sei es nur nach innen, ins Körperliche, ins Reflexive. Der gewohnte Streeruwitz-Sound kurzer, abgehackter Sätze, die einen geradezu penetrativen Einblick in Nelia Fehns Körperempfinden erlauben, und der Bewusstseinsstrom schneller Assoziationen, der ein hohes Lesetempo vorgibt, wirkt in Nachkommen. keinesfalls manieriert oder aufgesetzt, sondern zeugt von der poetischen Konsequenz einer Autorin, die mit feministischem Rüstzeug gnadenlos den brüderle-haften Sexismus alter Verleger, Kritiker und Literaturagenten offenlegt: Da faselt Nelia Fehns Verleger von der »intimen und delikaten Angelegenheit«, die eine Beziehung zwischen Autorin und Verleger doch letztlich sei. Kritiker werfen sich in die Brust bei dem Versuch herauszufinden, ob das auch alles so passiert sei, was in ihrer »hübschen, kleinen Odyssee« geschrieben stehe. Der Feuilletonchef eines überregionalen Blattes ist erbost, weil sie seinen Vorstellungen einer netten, hübschen und lächelnden Debütantin nicht entspricht und bekommt deswegen einen (buchmessetypisch) alkoholbenebelten Tobsuchtsanfall:
»Ich mag euch nicht.«, sagte der Mann. Er zischte ihr die Worte ins Gesicht. Dann musste er Luft holen und richtete sich auf. Er stand vor dem Tisch. Die Hände zu Fäusten geballt. »Ich mag euch junge Frauen nicht. Ihr glaubt wirklich, für euch gibt es keine Regeln. Nichts. Ihr glaubt wirklich, ihr könnt in der Welt machen, was ihr wollt. Ihr glaubt allen Ernstes, ihr könnt mit eurem Geschreibsel einen Eindruck machen.«
Nelia Fehns langer, dünner Körper wird zum Austragungsort offener Feindseligkeit, Abwertung und sexueller Objektifizierung – zum Austragungsort des alltäglichen Sexismus im Literaturbetrieb, der immer noch von männlichen Recht- und Machthabern bestimmt wird. Doch ist Streeruwitz‘ neuer Roman nicht einfach eine im Grunde beliebige Variation des ewiggleichen Themas der Autorin: die schwache Frau als Opfer gegen den übermächtigen Mann. Denn Streeruwitz gelingt es, strukturelle Diskriminierung sichtbar zu machen, aber dennoch der jungen Protagonistin eine reflektierte (Sprech-)Position zu geben, die zum Ende des Romans mehr und mehr Kontur gewinnt:
»Ich kritisiere nicht. Ich lehne ab. Ich lehne jede Verantwortung für alle diese Erbschaften ab, mit denen ich belastet werde. Jede Verantwortung.«
Solche Sätze lassen die mitunter durchsichtig scheinende, unsichere, von Übelkeit-, Kälte- und Schwindelanfällen geplagte Heldin fester, sicherer werden, sie geben ihr die notwendigen Konturen, ohne die die Protagonistin langweilig gewesen wäre.
»Nein. Ich bin keine Feministin. Dafür müsste ich heute sechzig Jahre alt sein.«
Auch das Erbe des Feminismus lässt sich nicht mehr einfach so antreten, nach einer Alice Schwarzer, Elfriede Jelinek und ja, auch Marlene Streeruwitz, auch wenn Nelia Fehn widerständig ihren Verleger und ihren Vater auf deren Sexismus hinweist. Vielleicht verabschiedet sich auch Marlene Streeruwitz gerade von diesem Erbe und beginnt mit ihrer Heldin Nelia Fehn etwas Neues, freilich in ironischem Gestus, anders lassen sich heute wohl in Untergangszeiten des Literaturbetriebs keine Romane mehr schreiben. Dieses »Neue« ist für den diesjährigen Literaturherbst bereits im Fischerverlag angekündigt: Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland. Roman von Nelia Fehn. Geschrieben von Marlene Streeruwitz.