Weder ein neues Buch noch eine neue Platte hat PeterLicht in letzter Zeit auf den Markt gebracht. Das DT Göttingen lud ihn diesen Herbst trotzdem ein; und zu erzählen hatte er, auch ohne kommerzielles Produkt im Gepäck, genug. Von Zahnpasta und der großen Sonne, vom Zuckerberg und dem Unterdruck.
Von Leonie Krutzinna
PeterLicht ist Romantiker. Nicht im landläufig schwülstigen, sondern im revolutionären Sinn. So wie es Friedrich Schlegel in seiner »progressiven Universalpoesie« fordert: radikalisiert und grenzüberschreitend. In PeterLichts Kunst verschwimmen die Gattungsgrenzen, sie bewegt sich zwischen Popmusik, Literatur, Zeichnung und Theater. Romantisch ist ebenso die Doppelbödigkeit, das Ineinanderfließen von Ich und Welt, von Künstler und Kunst und dessen Selbstreflexion durch das Kunstwerk.
Mehr als ein »Trennungslied«PeterLicht ist – auch das ein romantisches Symptom – ein Freund des Ironischen und Grotesken. Wenn er singt, singt er manchmal nur um des Reimes Willen. So im »Trennungslied«, das textlich nicht mehr als plumpe Rhetorik durch die Akkumulation von Namen ist, die, verbunden mit einem Lokaladverbial, einen schönen Gleichklang ergeben. Zum Beispiel reimt er etwa »Pelle« auf »Stelle«, »Wiese auf Luise« und »Michi trennt sich von Gitte, denn er sucht seine Mitte«.
Denn was PeterLicht macht, hat Methode: Kunst ist künstlich, also konstruiert – und lässt sich gerade deshalb auch gut wieder dekonstruieren, um dem Publikum zu zeigen, dass alles nur eine Farce ist. Die Ironisierung der eigenen Künstlerpersönlichkeit kennt man von PeterLicht längst durch seine Pressescheue, durch das Verwischen medialer Fußspuren, die Rückschlüsse vom Ich aufs Künstler-Ich und umgekehrt erlauben könnten. Sein Gesicht kann man nur auf Konzerten sehen; eine Bildersuche im Netz zeigt PeterLicht mit einer Teetasse, einem Geldschein oder einem grünen Kreis, wo bei anderen Augen, Mund und Nase sitzen. Die Selbstabschaffung proklamiert er auch explizit, z.B. in »Neue Ideen«, wo es heißt:
Mit jedem Satz, den ich hier verlier, werd ich weniger wahr
Mit jedem Wort, das mich verlässt, werd ich weniger
Es ist durchaus ein abstrakt-philosophischer Diskurs, in den PeterLicht einsteigt, und durch den er sich z.B. von der gerne mal assoziativ-lyrischen Hamburger Schule abhebt. Es ist das Kreisen um Wahrheit und Wirklichkeit, die Aufhebung einer klaren Grenze zwischen Subjekt und Objekt. »Die Möglichkeit ist schöner als die Wirklichkeit«, liest er an dem Abend im DT aus einem Text, in dem er wie schon im »Trennungslied« sein eigenes Verfahren dekonstruiert. Die Manuskriptseiten fallen zu Boden, Absätze werden ausgelassen, um dann doch wieder von vorne zu lesen. Kein logischer Abschluss, sondern flexible Gedankenentwicklung – auch hier verfährt klar der Romantiker. Erzählerisch ist alles möglich, weil die Situation ohnehin eine aporetische ist, weil das ganze Leben keinen Ausweg bietet: Aus der neu gekauften Zahnpasta-Tube kommt immer zu viel Zahnpasta raus, die sich nur mithilfe des Unterdrucks wieder in die Tube zurück saugen lässt. Der Unterdruck ist ein Trick, damit die Zahnpasta möglichst lange vorhält. Doch am Ende schlägt eben doch die gewaltigere Druckwelle der Realität zu: Die Zahnpasta-Tube ist leer und der Mensch muss sich der größten Herausforderung des Lebens stellen, dem Selbsterhalt – und neue Zahnpasta kaufen.
»an der unteren Grenze von mittel«Es ist ein Konzept zwischen Absurdität auf wörtlicher und totaler Konsequenz auf grammatischer Ebene. Dass es Erfolg hat, ist spätestens seit 2007 klar, als PeterLicht bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt las und mit der Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends den Publikumspreis gewann:
Es ging mir gut. Ich war gesund, und ich hatte Geld. Nicht gerade unglaublich viel Geld, aber ich hatte. Ich konnte mir leisten, was ich mir leisten können wollte, und ich konnte auch mal einen Schlag drauf legen. Zwar war der Schlag so groß jetzt nicht. Aber immerhin. Ein mittelgroßer Schlag. OK sagen wir eher mal an der unteren Grenze von mittel, oder vielleicht am oberen Rand von unten, also auch nicht ganz oben am oberen Rand. Sagen wir, in einem gemessenen Abstand zu diesem oberen Rand. Oder vielleicht mit der leichten Tendenz zu ›mittel‹.
PeterLicht arbeitet sich an der Oberflächenstruktur seiner Texte ab, bis sie glatt und faltenfrei daliegt. Er ist ein Meister der kohäsiven Mittel; jeder Satz ist auf diese Weise mit dem vorhergehenden fest verankert. Zugleich konterkariert die sprachlich spiegelglatte Oberfläche die topologischen und topographischen Dimensionen, die PeterLicht in seinen Texten inhaltlich immer wieder bemisst. »Ich war im Begriff, im freien Fall aufzusteigen / Und bin dabei, nach unten zu starten« heißt es in »Steigen, fallen« und in »Meine alten Schuhe« erklärt er:
Der Zuckerberg ist Fleisch gewordenHier, wo die Träume enden, seh ich die Adler fliegen,
Hier, wo die Adler fliegen, seh ich die große Sonne.
Und die große Sonne verbrennt das ganze Geld.
Der PeterLicht-Kosmos – und jetzt wird es doch unromantisch – ist raum-zeitlich verankert. Er ist keine Traum-, keine Märchenwelt, sondern liegt im Hier und Jetzt und bezieht Stellung. Der Zuckerberg ist Fleisch geworden, wie es in »Begrabt mein iPhone an der Biegung des Flusses« heißt:
Begrabt, begrabt mein iPhone an der Biegung des Flusses
und tragt meine Kundenprofile zur Freibank und häuft euch einen Zuckerberg
weint mit euren Steuerberatern, mit euren Finanzdienstleistern
bestattet eure Altersvorsorgeaufwendungen in der Luft
und singt vom Dispo der totalen Liebe
und singt vom Dispo der totalen Liebe
Die Macht der »großen Sonne« (an anderer Stelle heißt es auch synonym »die gelbe Sau«) und der »Kapitalismus, der alte Schlawiner« sind Größen, mit denen PeterLicht immer wieder operiert, um das Individuum in den Abgrund der Gesellschaft blicken zu lassen. PeterLicht hat eben nicht einfach kein Gesicht. Es ist ein Geldschein, der ihm wie ein Brett vor den Kopf genagelt ist. »Ich wüsste niemanden, der sich selbst gehörte / hat noch niemand jemals von gehört«, besingt er die Entindividualisierung des Individuums in »Begrabt mein iPhone an der Biegung des Flusses«. Oder wie PeterLicht im Interview mit der FAZ über seine Methode sagt:
Ist der Ameisenhaufen eine Ansammlung von Individuen, oder ist er selbst das Individuum, ein einziger Organismus mit freilaufenden Zellen? Der Traum des Einzelnen ist ja einigermaßen deckungsgleich mit dem kollektiven Bewusstsein. […] Doch, ich glaube total an Subjektivität. Und totaler noch an das Kollektiv. […] Ich mache eigentlich seit der ersten Platte immer nur dasselbe. Es singt sich immer das gleiche Lied. Nur in verschiedenen Schichtungen und Ausprägungen.
Auch wenn es immer dasselbe Lied sein sollte, ein Abend mit PeterLicht ist weder redundant noch langweilig noch bierernst; vielmehr schwankt man beständig zwischen Lachen und Staunen, wenn man vom »Al-Qaida Ortsverein« oder »der alten Tante Wohlfahrtsstaat« erfährt. Es ist gut, dass mal jemand mit romantischen Klischees aufräumt. Und Popmusik als das repräsentiert, was Romantik eigentlich ist: radikalisierte Aufklärung.