Donald Antrim ist ein hierzulande noch wenig bekannter Autor und auch in seiner Heimat, den USA, hat er bisher nur eine geringe Anhängerschaft vorzuweisen. Nach zwei Romanen ist nun eine schon jetzt allseits gefeierte Sammlung von düsteren, aber gleichzeitig brillanten Erzählungen mit dem Titel Das smaragdene Licht in der Luft beim rowohlt Verlag erschienen, wodurch seine Popularität wachsen sollte.
Von Bastian Denker
Diese Kurzgeschichten von Donald Antrim ähneln einem Schlag ins Gesicht, einem Schlag allerdings, für den man irgendwie dankbar ist. Seine Protagonisten, so unterschiedlich sie auch sind, vereinen stets zwei Dinge: einen desolaten Gemütszustand und eine Vorliebe für Alkohol. Alle Erzählungen sind von einer düsteren Grundstimmung durchzogen und es scheint, als ob wir es hier mit einem Autor zu tun haben, der zwar dem Licht entgegen schreibt, dabei jedoch Dunkelheit hinterlassen will. In dieser Dunkelheit erschafft er kaleidoskopartige Ausschnitte aus Welten, in denen die immer gleichen und dann doch völlig verschiedenen zwischenmenschlichen Grausamkeiten verhandelt werden, zumal die Charaktere mitunter nur noch zu überleben, statt zu leben scheinen.
Antrim ist ein Meister des ersten Satzes. Einer, der den Leser unmittelbar ins Geschehen schleudert, der einen nicht mehr loslassen will, ist auch jener, der in Noch ein Manhattan einführt: »Sie hatten einander im Laufe so vieler Jahre so oft belogen, dass Täuschungen zwischen ihnen zu etwas Alltäglichem, praktisch zum festen Bestandteil ihres Repertoires geworden waren«.
In der Geschichte sind die beiden befreundeten Pärchen Jim und Kate sowie Elliot und Susan zum Essen verabredet. Abwechselnd werden die Geschehnisse aus Jims und Kates Perspektive geschildert.
Antrim beherrscht sein Handwerk, das wird nicht nur durch maßgeschneiderte Anfangssätze klar, die den Leser sofort in eine neue Welt eintauchen lassen, sondern auch durch die wunderbar offenen Enden. Noch ein Manhattan ist eine der wenigen Geschichten, die Antrim dezidiert hoffnungslos ausgehen lässt. Auch in den anderen Erzählungen kann nicht von klassischen Happy Ends die Rede sein, jedoch erweisen sie sich immer als kleine Lichtblicke in der kunterbunten Trostlosigkeit des Lebens. So geht es in Von dem Tag an ebenfalls um eine Beziehung und auch hier ist der Protagonist verzweifelt, konfus, geradezu sprunghaft – was sich in der Satzkonstruktion widerspiegelt:
Von dem Tag, an dem seine Frau ihn verlassen hatte – aber eigentlich war sie gar nicht seine Frau, oder?
Seit diesem Tag spricht Jonathan jedenfalls bei jeder Gelegenheit von Rachel und nennt sie seine Ex-Frau, nur um es dann gleich wieder zu revidieren und zu erklären, dass sie im Grunde gar nicht seine Frau gewesen sei. Das geschieht auch noch, während Jonathan mit Sahra, seiner aktuellen Freundin, auf einer Cocktailparty unterwegs ist und sich einen Drink nach dem nächsten genehmigt, wobei es zu folgendem Dialog kommt:
Sie sagte: »Die Welt ist zu dieser Tageszeit einfach unglaublich, findest du nicht?« »Ja, stimmt«, pflichtete er ihr bei und trat einen Schritt vom Fenster zurück. Er sagte: »Viel von der Farbe in der Luft geht auf Schadstoffe in der Atmosphäre zurück«.
Mit dieser zärtlichen Grausamkeit trifft das gesamte Buch den Leser, schlägt ihm die Beine weg und lässt ihn allein damit zurück.
Auf der Suche nach ein bisschen LebenEigentlich passiert nie richtig viel und dennoch geht es in den Kurzgeschichten um alles: Existenz, Liebe, Glauben und natürlich Tod. Antrim erzeugt mit glasklarer Sprache einen schonungslosen Sound, der oft an die düsteren Welten eines Michel Houellebecq erinnert – nur mit nicht ganz so viel Sex. Dem Leser drängt sich bald das Gefühl auf: Zehn Minuten mit einem dieser Typen und er zerredet dir dein ganzes Leben.
Antrim konstruiert mit seinen Sätzen die schönsten Trümmerstädte, durch die er seine Protagonisten stapfen, manchmal auch kriechen lässt, wobei sie alle eigentlich immer nur zwischen Elektroschocktherapien, Antidepressiva und Alkohol auf der Suche nach ein bisschen Leben sind. Für den Leser verhält es sich dabei ein wenig so, wie mit der Kerze und dem Insekt, das sich einfach nicht davon losreißen kann: So schmerzhaft ist Licht.
Mitunter skurril wirkt die Erzählung Teich mit Schlamm, in der Protagonist Patrick mit dem Sohn seiner Geliebten einen Zoobesuch machen möchte, allerdings auf dem Weg dorthin den Vater des Kindes trifft, der als arbeitsloser Geiger in einer U-Bahn-Station für Kleingeld spielt. Währenddessen ist Patrick unaufhörlich damit beschäftigt, merkwürdige Gedankenfetzen in sein »Lebenswerk«, ein sogenanntes »Journal«, mit dem obskuren Titel Teich mit Schlamm zu notieren. Am Ende landen die drei in einer Bar, in der weder der Sohn noch der Vater des Kindes ein einziges Wort sagen und sie sich, mit Ausnahme des Sohnes, zusammen betrinken. Es entsteht dort eine Komik, wo wir sie am wenigsten erwarten, dort wo alles schon verloren scheint, wo einem jedes Lachen im Halse stecken bleiben würde. Aber nicht bei Antrim!
Das eigentliche GenieDer Autor selbst ist Jahrgang 1958, lebt in New York, unterrichtet Literatur an der Columbia Universität und wurde unter anderem mit dem Mac Arthur Genius Grant, ein Preis, der Hoffnungsträger aus den unterschiedlichsten Bereichen von Kunst, Kultur und Wissenschaft, auszeichnet. Jonathan Franzen hält ihn für das eigentliche Genie und zusammen mit Jeffrey Eugenides sowie dem verstorbenen David Foster Wallace bilden die vier ein literarisches Pionierteam, in dem jeder auf seine Weise am Ende des 20. Jahrhunderts ein neues literarisches Formenspiel auf den Weg brachte. Wallace hat dies mit seinem Über-Tausend-Seiten-Roman Unendlicher Spaß getan, bei dem der Fußnotenapparat den Primärtext nahezu übertrumpft und damit tatsächlich eine neue, beinahe postpostmoderne Form des Romans geschaffen wurde. Franzen schrieb mit seinem Werk Freiheit einen Familienroman, der in den USA oft als modernes Buddenbrooks
tituliert wurde. Eugenides lieferte mit Middlesex ein Buch, das sich an den historischen Meilensteinen der amerikanischen Geschichte abarbeitet und das zurecht mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde.
Keiner dieser vier aber schreibt wie Antrim. Jeffrey Eugenides bringt es in einem Interview mit The New Yorker auf den Punkt.
»Viele Autoren können traurig, lustig, erschreckend oder lächerlich sein. Antrim kann alles zugleich«.
Wahrscheinlich will Antrim mit seinen obskur realistischen Geschichten einen Durchbruch gegen die Spaßgesellschaftswand erreichen und somit eine Brücke zur Wirklichkeit aufstellen. Das 21. Jahrhundert liegt eingebettet in einem Mantel von Halbwahrheiten und unverdauten Informationen der lauten Mediengesellschaft, die jeden Tag eine neue Sensation auftischt und zum Apetitt nach Medienkonsum anregt. Doch all das, was man liest, hört und sieht sättigt nicht. Es ist zu fade geworden, zu alltäglich und geschmacklos, sodass gar nicht mehr begriffen werden kann, was da eigentlich serviert wird. Und in dem man das Alltägliche auf obskure und absurde Art und Weise in seiner nackten Realität darstellt, mit der sich heute nur noch am Rande beschäftigt wird, bekommt man plötzlich wieder einen Blick für die Dinge, weil man zum Denken angeregt wird. Bethold Brecht hat diesen Inszenierungstrick damals mit seinem Stück “Der gute Mensch von Sezuan” versucht aufzuzeigen, wie absurd die Begebenheiten der Zeit sein können und es auch sind und wie wenig die Leuten verstehen, die eigentlichen Missstände und Probleme der Zeit zu erkennen. Man muss zum Positivbild ein Negativbild aufstellen, um die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche der Thematik zu fokussieren. Und dabei muss man in die tiefsten Tiefen der Thematik vordringen und sie so roh und nackt als möglich die Dinge aufzeigen, um einen Eindruck im Bewusstsein zu hinterlassen. Dieser Eindruck dann wird dazu führen, dass die gegenwärtige Welt aus einem anderen Blickwinkel betrachtet und als solche erkannt wird. Wenn der Blick hinter die Kulissen erstmal eröffnet ist, dann wird der schönste Schein nicht mehr blenden können. Dann wird der größte Phantast die Welt nicht mehr leugenen können.