Tino Hanekamp, Anfang 30, Mitbetreiber des sehr existierenden Hamburger Clubs Uebel und Gefährlich, hat seinen ersten Roman geschrieben und es ist ein schöner Roman, einer, bei dem man sich während des Lesens den imaginären Teer aus den Lungen hustet und am Morgen nach der durchlesenen Nacht leichte Katergefühle verspürt.
Von Rahel Rami
Hamburg, St. Pauli. Es ist der Silverstermorgen, der Morgen vor der letzen Nacht der »Notaufnahme«, wo heute Nacht eine den Umständen angemessene Party stattfinden wird, denn Oskars Club soll im nächsten Jahr geschlossen und abgerissen werden, um im Zuge des hanseatischen Gentrifizierungswahns teuren neuen Bauten mit Wohnungen für tolle reiche Menschen Platz zu machen.
Und stünde Kiezkalle nicht an diesem Morgen mit drei gewaltbereiten Begleitern vor Oskars Wohnungstür, um aus alter Verbundenheit 10 000 Euro von ihm zu fordern, wäre alles nur halb so schlimm, dann ließe sich Oskars »inneres Stalingrad« viel leichter ertragen: die ständigen Gedanken an Mathilda, die Erste-Große-Liebe-Ex-Freundin.
»Steht auf, Trottel, Krieg ist schlimmer«Frau weg, Job weg und eine veritable Erpressung. Wie bewältigt man als Kind der Popkultur solche Krisen? Mit Marc Aurel und Steve McQueen! Des Letzteren Motto: »Steht auf, Trottel, Krieg ist schlimmer« folgend, wird er auch diesen heutigen Weltuntergang überleben. Irgendwie. Und Marc Aurel hilft in manch schwacher Stunde, wenn man z.B. wie später des Abends, mit dem Arm in einem vollgekotzten Klo hängt, um ein darin versenktes Handy zu suchen: »Bald klopft der Tod bei dir an und noch immer bist du nicht schlicht und natürlich, nicht seelenruhig, nicht frei von Angst durch äußere Dinge geschädigt zu werden.«
Aber dann ist sie da: die letzte Party, auf der nicht nur Wände eingerissen, sondern auch Straßen gebaut und Linien gezogen werden, wo Blut, Schweiß, Tränen und Alkohol fließen, geliebt, gehasst und der eigenen Sterblichkeit erinnert wird. Es ist die große Welt in einer Nussschale mitten auf der Reeperbahn.
Eigenartig, ein Buch zu lesen, in dem der Soundtrack des Protagonisten-Lebens eine große Schnittmenge mit dem eigenen bildet. Wenn Oskar und Mathilda in einer Rückblende zu Franz Ferdinands »Take me out« zarte Freundschaftbande knüpfen oder wenn Nils Frevert, Egoexpress und Bernd Begemann durch das Party Line-up geistern, dann setzt bei mir unwillkürlich ein selbstreflexives Moment ein, in dem ich mich frage: »Ist die erste Phase meiner popkulturellen Sozialisierung schon Teil der literarisierungswürdigen Geschichte?« Es scheint so und ich befinde, ihr wurde ein würdiges Denkmal geschrieben.
Zugegeben, in manchen Sätzen rumpelt es ganz schön und auf den einen oder anderen Leser wirken die formalen Spielereien wie drogenberauschte Anarchie, was sie bestimmt auch darstellen sollen. Aber die durch Kapitel abgesetzten Telefon-Dialoge, die eingeschobene Rückschau in goldene Mathilda-Zeiten und die formalen Ausfälle, die stark in Richtung Formgedicht gehen und den Haupttext durch Herzen und Tsunami-Wellen unterbrechen, bilden nicht den narrativen und formalen Flickenteppich nach dem der Roman zunächst aussieht: «all das ist in guten Momenten / für eine Weile / mehr als die Summe der einzelnen Teile«, würden Kante sagen. In So was von da wimmelt es vor guten Momenten.
Der Trailer zum Buch