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Sprach- und Liebesakt

Paul liebt Brigitta, Brigitta liebt Paul – In Celans Kreidestern berichtet Brigitta Eisenreich über die bisher unbekannte außereheliche Liebesbeziehung zwischen ihr und Paul Celan. Als Beobachter einer sachlichen Romanze fühlte sich Rahel Rami beim Lesen dieses Zettelkastens der Erinnerung.

Von Rahel Rami

Brigitta und Paul lernen sich kennen. Paul liebt Brigitta. Brigitta liebt Paul. Paul ist verheiratet, aber nicht mit Brigitta. Paul ist ein berühmter Dichter, Brigitta neun Jahre lang eine seiner Geliebten. Vierzig Jahre nach seinem Tod veröffentlicht sie ihre Erinnerungen an Paul Celan.

»Sprach- und Liebesakt«, so steht es im Klappentext, würden in ihrer Beziehung »eins«, die Grundkonstellation lässt Herzschmerz, Tränen und jede Menge Gefühlswirren erahnen. Wenn – ja, wenn da nicht der Untertitel wäre: »Celans Kreidestern. Ein Bericht.« Ein Bericht über die bisher unbekannte außereheliche Liebesbeziehung zwischen der Anthropologin Brigitta Eisenreich und dem Dichter Paul Celan. Man fragt sich nach Lektüre des Klappentexts, wie Brigitta Eisenreich den Inhalt, ein emotionales, erotisches Thema, mit der Form, einem sich seinem Wesen nach, an Fakten orientierenden Bericht, zusammenbringen möchte. Zwei Dinge, wie sie eigentlich unterschiedlicher nicht sein könnten.

Die Antwort auf die Frage findet sich bereits auf den ersten Seiten des Berichts: Form und Inhalt bleiben weitgehend unverbunden nebeneinander stehen, was dazu führt, dass der Leser an manchen Stellen den Eindruck hat, er sei Beobachter einer sachlichen Romanze. Die Erinnerungen kommen daher wie eine wissenschaftliche Arbeit, bestehend aus 152 Seiten Haupttext, ca. 350 Fußnoten und einigen zum Teil unveröffentlichten Dokumenten im Anhang. Erinnerungen einer alten Dame an ihre lang zurückliegende Jugend, immer mit dem Verweis auf die Grenzen ihrer Zuverlässigkeit, und, daher, wenn vorhanden, immer mit der Angabe ihrer Quelle. Tagebücher oder Kalender, Briefe, Notizbücher und Bilder aus dem Nachlass von Paul Celan, seiner Frau Gisèle Celan-Lestrange und dem österreichischen Schriftsteller Herbert Eisenreich, dem Bruder von Brigitta Eisenreich.

Eisenreich setzt die erinnerten Episoden und Erlebnisse in den Kontext der Gedichte, die in der von 1952 bis 1961 dauernden Beziehung entstanden und zu einem größeren Teil in Celans Gedichtband Niemandsrose veröffentlich sind. Die Entstehungsgeschichte einiger Motive wird nachgezeichnet, wie z.B. der Schuttkahn aus dem gleichnamigen Gedicht, der seinen Ursprung in Eisenreichs Bezeichnung für die mit schuttbeladenen Schiffe vor ihrem Zimmerfenster hat.

Buch


Brigitta Eisenreich
Celans Kreidestern
Frankfurt: Suhrkamp 2010
266 Seiten, 22,80 €

 
 
Brigitta Eisenreich arbeitet mit ihren Ausführungen zu den Entstehungsprozessen der Motive und Wortschöpfungen dem Zweig der Celan-Forschung zu, der Celans Gedichte unter Berücksichtigung seiner Biographie zu verstehen sucht, wenn auch, wie Eisenreich bemerkt, seine Gedichte nie eine direkte Abbildung seiner Realität sind, vielmehr dienen Begegnungen und Lektüren als Inspiration für diese. Eisenreichs Erläuterungen sind – zumindest für die Gedichte, die in der gemeinsamen Zeit entstanden sind – erhellend, auch wenn sie selbst bei einigen Motiven nur die Vermutung anstellen kann, dass es sich um verdichtete Elemente ihrer gemeinsamen Erlebnisse handelt. Neben der akribischen Nachlassrecherche, die Eisenreich im Text sowie im Anhang durch die genaue Angabe ihrer Quellen nachvollziehbar macht, berücksichtigt sie auch die Goll-Affäre.

Claire Goll hatte Paul Celan 1960 vorgeworfen, Gedichte ihres verstorbenen Mannes Yvan Goll plagiiert zu haben. Die Vorwürfe erwiesen sich als vollkommen haltlos. Die losgetretene Feuilleton-Diskussion mit zum Teil antisemitischen Zügen allerdings schadete Celans psychischer Gesundheit enorm. Zwar handelt dieses Kapitel eher am Rande von den Auswüchsen der Verleumdungen und bringt auch keine nennenswerten neuen Details ans Licht, aber Eisenreichs Schilderungen lassen deutlich werden, dass hier ein beträchtlicher Teil des Grundsteins für Celans späteres, paranoid anmutendes Verhalten gelegt wurde. Die Bedrängnis seiner Psyche, die sich zeitweise in scheinbar unmotiviertem verwirrtem, manchmal aggressivem Auftreten zeigte, schildert Eisenreich in den nachfolgenden Kapiteln in kleinen Episoden, ohne dies auf ein Krankheitsbild zu reduzieren, ja ohne überhaupt eine »pathologische Determinierung« in Betracht zu ziehen: »[l]ange hindurch war ich […] außerstande zuzugeben, daß nicht nur Verzweiflung, sondern auch Krankheit sein Verhalten bestimmte.« Was nun Verzweiflung und was Krankheit war, bleibt dem Leser überlassen herauszufinden.

Der unaufgeregte, sich nicht in Spekulationen versteigende Erzählstil, ist eine der positiven Eigenschaften dieses Buches. Manchmal ist der Ton allerdings gar zu unaufgeregt, sodass hier Form und Inhalt am stärksten auseinander driften und auch der Ton des Erzählten eine merkwürdige Belanglosigkeit annimmt, wie zum Beispiel, wenn Eisenreich von den Auswirkungen der psychischen Bedrängnis auf ihr Intimleben berichtet:

Auch wenn er abends zu mir kam, war er nicht mehr derselbe[;] […] seine Art zu begehren war mir ungewöhnlich, so daß ich den Eindruck gewann, er habe im Verkehr mit anderen Frauen auch andere, mir unliebsame Gewohnheiten angenommen.

Womit sich wieder die Frage nach dem Wesen der »längsten und verborgensten Liebesbeziehung« (Klappentext) stellt. Die Liebesbeziehung findet, wie die Goll-Affäre, nur am Rande statt, in reduzierten Worten. Von Gefühlen ist im Haupttext wenig die Rede, nur in kleinen Sätzen wird deutlich, welche Wirkung Celan auf Eisenreich hatte, zum Beispiel dann, wenn sie schreibt, dass sie den Aschenbecher nach seinem ersten Besuch »einer fetischistischen Regung folgend, nicht entleert« hat.

Ein eindrucksvolles Beispiel für die Abwesenheit von Gefühlen ist die Schilderung eines zufälligen Aufeinandertreffens von Celan und seiner Verlobten mit Brigitta Eisenreich: »Er stellte sie uns als seine Verlobte vor, nach einigen Worten trennten wir uns.« Danach fügt Eisenreich lakonisch an: »Es muss kurz vor seiner Eheschließung […] gewesen sein. In der Folge stellte ich natürlich meine sporadischen Besuche ein.«

Celan war in Sachen amouröser Abenteuer und Nebenbeziehungen kein Kind von Traurigkeit, doch auch von naheliegender Eifersucht beispielsweise auf Ingeborg Bachmann, mit der Celan eine in unregelmäßigen Abständen wieder aufflammende Beziehung verband, oder auf seine Ehefrau, ist bei Eisenreich im Haupttext nichts zu lesen. Es wird allerdings deutlich, dass sie die von Celan angestrebte »Verschwisterung« mit seiner Frau ablehnte. Allein in den Dokumenten im Anhang, speziell in Brigitta Eisenreichs Briefen, wird die Verzweiflung über das nahende Ende der Beziehung deutlich, welches in den Zeitraum ein Jahr nach Beginn der Goll-Affäre fällt. Es ist ein Lebensabschnitt, in dem Celan mit vielen seiner Freunde brach, da er sich von ihnen Unterstützung gegen den in seiner Wahrnehmung wieder aufwallenden Antisemitismus gewünscht und sie seines Erachtens nur unzureichend erhalten hatte. Brigitta Eisenreich bezieht hier kritisch Stellung. Zwar erinnert sie sich an rüde Absagen von Schriftstellerkollegen, aber auch an ein überspanntes Verhalten Celans sowie an Gegendarstellungen u.a. von Eisenreich selbst, von denen er nicht Gebrauch machte.

Was bleibt? Der zunächst unter Verschluss gehaltene Nachlass Celans wird seit einigen Jahren sukzessive der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Frage, ob das in jedem Fall angemessen erhellend ist, stellt sich insbesondere bei diesem Buch. Für den literaturwissenschaftlich orientierten Leser sind die interpretatorisch nutzbaren Hinweise, die Brigitta Eisenreich gibt, zum Teil zu vage. Dem Freizeitleser fehlt wiederum Kontextwissen um das Werk und Leben Celans. Ohne eine umfangreichere Kenntnis seiner Gedichte, ist die Lektüre nur wenig Erkenntnis bringend und mühsam.

Auch kann der Text nicht darüber hinweg täuschen, dass er zum Teil aus Erinnerungen besteht, die von Notizen vergilbter Tagebücher und Kalendern gestützt werden. Notizen, die nur noch auf dem Papier existieren und nicht in den Gedanken der Erinnernden lebendig sind. Der Leser erfährt zwar, dass der titelgebende Kreidestern ein Symbol war, mit dem Celan seinen vergeblichen Besuch bei Brigitta Eisenreich auf einer Schiefertafel neben ihrer Zimmertür vermerkt hat und sich auf diese Weise auch in seine Buchgeschenke an sie inskribierte. Es fehlen jedoch die Gefühle und Gedanken, die, wie es zwischen den Zeilen und in den Dokumenten deutlich wird, gegeben haben muss. Durch die fehlende Verbindung zwischen dem Erlebten und Gefühlten wird der Text zu einem drögen Zettelkasten der Erinnerung, zu dem man nur als Literaturwissenschaftler und passionierter Hobbyinterpreteur celanscher Gedichte Zugang bekommt.

Vermutlich liegt der Grund für die eingeschränkte Zugänglichkeit darin, dass es Spekulation und Mutmaßung bedürfte, um in das lang zurückliegende Emotionsleben einer 82-jährigen Dame und das eines verstorbenen Dichters zu dringen. Die wiederum gehören nicht in einen Bericht – um den handelte es schließlich hier.

Und hier ist man wieder bei der Antwort auf die Frage vom Anfang: Form und Inhalt finden nicht nur nicht zueinander, sie gehören auch nicht zueinander und das zeigt dieses Buch sehr deutlich. Wohin das führt, stellt Brigitta Eisenreich im letzten Kapitel fest: „[A]uf immer wird das Wesentliche unserer so lang geheimgehaltenen Beziehung verborgen bleiben.“



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 Veröffentlicht am 17. November 2010
 Kategorie: Belletristik
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