Wer erinnert sich noch an kino(x).to? Dessen Zeit ist abgelaufen, heute abonniert man Netflix oder Prime. Wer nicht mitstreamt, kann auch nicht mitreden. Schade, denn Konzernkultur macht aus selbstständigen Rezipient*innen abhängige Konsument*innen.
Von Laurenz Pothast
Früher war alles besser. Zum Beispiel illegales Streaming. Heute schaut man brav legal, hauptsächlich Netflix und Amazon Prime, vielleicht noch Joyn, Sky, Youtube Premium, Disney+ oder ähnliches. Es ist nicht so, dass illegales Streaming ausgestorben ist. Wer suchet, der findet. Doch aus Gründen, die es zu eruieren gilt, benutzt man heute legale Alternativen zu illegalen Seiten. Ein Anlass zu schimpfen, denn die Leute wissen nicht, was sie tun.
Ich bin zuerst über die Videothek, dann über die damals noch weit verbreiteten illegalen Streamingseiten filmisch sozialisiert worden. Anfang der Zweitausender steckte das Internet zwar lange nicht mehr in seinen Kinderschuhen, aber es waren noch subversive Ideen im Umlauf, die die aufkommenden, wie nie zuvor vernetzenden Plattformen nutzten, um Filme,
Wer Streamingangebote nutzte, erfreute sich freier Auswahl und vielfältigem Angebot. Plattformen teilten Medien nicht ihrer Verwertbarkeit wegen, sondern um vollständig zu sein: das enzyklopädische Projekt der anonymen Internetuser, die keine größeren Profitinteressen verfolgten. Ich musste lernen, mir einen Weg durch die Masse der angebotenen Medien zu bahnen, und wurde so zum Rezipienten. Filme und Serien schaute ich an, weil ich an mir selbst erfuhr, dass es ein Vorher und ein Nachher der Rezeption gibt. Von Arthouse über Hollywood bis Trash partizipierte die Vielfalt an meiner Subjektwerdung.
Den User*innen von Netflix und Co. wird das verwehrt. Das Internet ahmt jetzt das Leben nach: Konzernkultur dominiert. Statt enzyklopädischer Sorgfalt entscheidet Profit darüber, wie lange Filme verfügbar sind. Perlen des Achtziger-Trashs oder Klassiker der Neunziger sind im konventionellen Streaming nicht zu finden. Man denke bitte an die Millenials, die jetzt ohne Pink Flamingos, The Fly oder Braindead aufwachsen. Das schlägt sich im Gespräch über Filme nieder. Interessierte vorher noch, wie man etwas fand, steht jetzt im Vordergrund, ob man es kennt. So scheiden sich die Stream-Marginalisierten von den Serienjunkies, die sich bereits im hirnlosen Konsumnirwana befinden und mir erzählen: »Wie, du kennst nicht Breaking Bad, Stranger Things, Game of Thrones, Harry Potter?«
Zum guten Ton der Netzgiganten gehört es, Nutzer*innendaten in noch größerem Eifer als nur mit enzyklopädischem Willen aufzuzeichnen. Streamingseiten sammeln nicht nur triviale Daten wie Screentime, nein: Jeder einzelne Pausenklick wird gezählt, jede Unterbrechung gestoppt und alle angeschauten Produkte ausgewertet. Damit leisten sie ihren Beitrag zur Zukunft des gläsernen Menschen. Die erste Konsequenz: Statt breites, vielfältiges Angebot zu erfahren, werden User*innen in ihrer Blase gehalten, zu Konsument*innen degradiert und ihrer Autonomie beraubt. Die zweite Konsequenz: Welche Auswirkungen der parareligiöse Glaube an die Daten für global players hat, zu deren Geschäft nicht nur Vertrieb, sondern auch Produktion selbst gehört, kann man sich ausmalen: Aus Daten gesammelte ›Erkenntnisse‹ werden genutzt, um neue Produktionen darauf abzustimmen. Der Initialgedanke des Filmemachens besteht nicht mehr in der Idee, sondern in der Zielgruppe. So wird der künstlerische Prozess Verwertungsinteressen unterworfen. Wer will sich das Resultat eigentlich so genau anschauen?
Ich für meinen Teil habe mein Netflixabo gekündigt und schaue fortan vorzugsweise in die Röhre, den Himmel und die Luft.