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Durch Göttingen geJazzt!
Take one – Theatersession

Durch Göttingen geJazzt! Sukie Brinkmann durchstreift in drei Artikeln die Göttinger Jazz-Szene und sammelt Stimmen zu einem Phänomen, das die einen zur zwölftonartigen Königsklasse erheben, die anderen als musikalische Randsportart abtun. Los geht es mit einem Bericht über das Göttinger Jazzfestival 2011 – ein Ereignis, das sich Musik und Mensch gleichermaßen verpflichtet.

Von Sukie Brinkmann

Der Einlass hatte bereits begonnen, als ich vor dem großen, historischen Gebäude des Deutschen Theaters Göttingen stand. Es war Samstag, der 12. November und schon von draußen hörte ich Musik und Menschengetuschel. Mit der Annahme, es wäre noch nicht sehr voll und ich könnte mich zunächst in Ruhe umschauen, lag ich falsch: Das Deutsche Theater war schon nahezu überfüllt und ich mitten drin im Getümmel des Göttinger Jazzfestivals. Nach längerem Suchen der Garderobe hatte ich den Schauplatz überblickt. Das Spektakel spielte sich über das ganze Theater verteilt ab: Im Studio, dem Keller, auf der pompösen Hauptbühne und nicht zu vergessen an den Bars, an welchen die meisten Gäste Sekt tranken und sich angeregt unterhielten. Im Saal der großen Bühne waren schon jetzt alle Plätze vergeben. Aber nicht nur diese, auch die inoffiziellen Stehplätze am Rand schienen nahezu alle belegt. Irgendwo zwischen den vielen Menschen konnte ich dennoch eine kleine Stehfläche ergattern. Bis zum Beginn der Vorstellung um 20 Uhr war noch ein wenig Zeit, das Publikum genauer unter die Lupe zu nehmen.

Zum Projekt

Jazz-Käse-Wein-Abende sind eigentlich nicht Sukie Brinkmanns Sache. Trotzdem fühlt sie sich angezogen von dieser Musik, die gerade den Göttinger Konzertgänger immer wieder umtreibt. Deshalb wird sie sich – aus der Nullperspektive heraus – der virtuosen Tonkunst widmen und eine Annäherung wagen. In drei Artikeln berichtet sie über Management, Milieu und musikalische Finesse der Göttinger Jazz-Szene.

 
 
Mein Erstaunen war groß – gerechnet hatte ich eher damit, dass man als Mittfünfziger den Altersdurchschnitt bereits senken würde. Mit diesem Vorurteil lag ich gänzlich daneben. Rentner waren kaum anwesend, dafür viele junge Leute, Studenten und Schüler. Bis auf einen provokant schnarchenden älteren Herren, dessen unterhaltsame Darbietung sich wider Erwarten nicht als Teil der Show herausstellte, amüsierten sich alle anderen Besucher scheinbar blendend und blickten voller Vorfreude dem Beginn des Konzerts entgegen. Und das in meinen Augen vollkommen zurecht: Das Céline Bonacina Trio empfand ich, als Jazzlaie, als mitreißend und einfach toll. Zu sehen war eine zierliche, bunt, aber adrett gekleidete junge Französin. Sie brachte mit ihrem Instrument, dem Baritonsaxophon, das ihrer Statur in keinster Weise glich, sondern eher monströs wirkte, das Publikum zum Staunen. Zusammen mit Bassist und Schlagzeuger führte sie klassische Jazzelemente mit Funk, Dub, Reggae und Afrobeats zusammen. Mit Worten eines Besuchers, Jazzliebhabers und Künstlers:

Céline Bonacina hat mir sehr gut gefallen! Ich habe mir auch ein Autogramm von ihr geholt. Das war das absolute Highlight. Selten habe ich so guten Jazz gesehen. Es war nur leider sehr voll.

Das war es wirklich! Um noch mehr vom Festival mitzubekommen, drängelte ich mich leise aus dem großen Saal und holte mir etwas zu trinken. Während ich mich umschaute, entdeckte ich zwei junge, wie sich herausstellte, gerade 12-jährige Mädchen und fragte mich, wie es um die Beziehung der jüngsten Generation zur Jazzmusik bestellt ist.
Charlotte: »Unsere Eltern haben uns mitgenommen. Aber wir waren auch schon letztes und vorletztes Jahr hier. Da hat es uns so gut gefallen, dass wir wieder mitgekommen sind.«
Franziska verriet, dass ihr Vater als Künstler beim Jazzfestival auftrete und bei XY JazZ mitspiele. Ich war also auf zwei junge alte Hasen gestoßen. Die Mädchen spielen sogar selbst schon Instrumente, Charlotte Klarinette und Franziska Trompete und Klavier. Und wieso gefiel es ihnen gerade hier so gut?
Franziska: »Ich finde es cool, dass hier nicht nur ganz alte Leute sind, sondern auch Jugendliche.«
Charlotte: »Ja und wir mögen natürlich auch die Musik.«
Ein solch bekennendes Statement könnte denjenigen, die mit Jazz gediegene Alt-Herren-Musik oder Käse-Wein-Abende assoziieren, einigen Wind aus den Segeln nehmen.

Mit Ruhe zum Genuss

An der Bar gesellte ich mich zu zwei Herren mittleren Alters, die eher meinem Stereotyp des Jazzliebhabers entsprachen. Dabei stellte sich heraus, dass sie nicht ausschließlich der Musik, sondern auch des gesellschaftlichen Flairs wegen gekommen waren:

Man trifft hier Leute, die man sonst nicht sieht und gleichzeitig freue ich mich auch, was vom Jazz mitzubekommen.

Besonders findet Jörg Bachmann am Göttinger Jazzfestival, dass sehr viele lokale Gruppen Auftrittsmöglichkeiten haben, die sie sonst das Jahr über nicht haben. So lerne er auch immer wieder neue Gruppen kennen.

Im Deutschen Theater ist es ein gesellschaftliches Ereignis, zu dem auch Leute kommen, die mit Jazz nichts zu tun haben. Das kann auch manchmal ein bisschen nerven. Zum Beispiel gestern bei Django Bates war es ein ständiges Kommen und Gehen, weil manche die Musik nicht verkraftet haben.

Günter Schäfer erläuterte, dass es viel Ruhe und Konzentration erfordere, um die Musik verstehen und genießen zu können. Deshalb würden viele raus gehen, da ihnen die Ruhe fehle. Um Jazzmusik zu mögen, müsse man sich darauf einlassen können.

Der Eindruck, dass viele Besucher gekommen waren, um Freunde und Bekannte zu treffen, bestätigte sich im Laufe des Abends.
Jörg Bachmann: »Auch wenn es manchmal anstrengend sein kann, finde ich es gut, dass die Leute hier von der Musik überzeugt werden können, die sonst gar keinen Zugang dazu haben.«
Günter Schäfer: »Das Tolle ist ja auch, dass Leute, die durch internationale Gruppen angezogen werden, somit auch Göttinger Bands kennen lernen.«
Das Gespräch ging noch über das Interview hinaus, so dass es auf einmal schon zehn Uhr war. Um noch ein paar weitere Eindrücke zu gewinnen, ließ ich mich weiter treiben und landete im Untergeschoss des Deutschen Theaters.

Beginnend im vollsten Raum, dem Bistro: Hier versammelte sich ein wild gemischtes Publikum, welches sich bei der Einnahme von Wein und Suppe prächtig amüsierte. Unter ihnen traf ich auf Jaqui Döpfer, eine Besucherin, die ohne Begleitung hier war und mir erzählte, dass sie jedes Jahr das Jazzfestival besuche. Sie habe sogar schon Bands kennengelernt, die ihr so gut gefallen hätten, dass sie andere ihrer Konzerte besucht habe. Ein weiteres Getränk später befand ich mich im Keller, in dem die Stimmung eine andere, wenn auch nicht schlechtere war. Das Publikum war älter, der Raum klein, dunkel, gemütlich und es herrschte eine hohe Fluktuation. Hier traten vorwiegend Jazzgruppen aus Göttingen auf: Carnegie Hall Projekt, New Orleans Syncopators, JazzXpress, die Göttinger Uniband Uniroyal, eine der wenigen Small-Big Bands Deutschlands: German Vintage Jazz Orchestra und als Letztes die Schweizer Old-Jazzband: Oldtime Session. Es war also eine Fülle unterschiedlicher Musiker vertreten, die sich nicht zierten, sich unters Publikum zu mischen und für Fragen zur Verfügung zu stehen. Von einer Besucherin habe ich erfahren, dass im Kellerraum immer wieder die gleichen Bands spielen und daher viele Gäste diesen jedes Jahr besuchen, um bekannte Bands wieder zu treffen und deren Musik lauschen zu können.

Den Abschluss meines Abends bildete das Gilad Atzmon & Orient House Ensemble, welches mit melancholischen Klängen den Besuch des Festivals wunderbar abschloss und Zeit ließ, meine Eindrücke Revue passieren zu lassen: Auf dem Göttinger Jazzfestival herrscht eine einnehmende Atmosphäre, die durch das breite und tolle Angebot an Jazzmusik und ein durchmischtes, aufgeschlossenes Publikum entsteht, welches mir, als nicht gerade Jazzkenner- und Liebhaberin so gut gefallen hat, dass mein Fazit ist: nächstes Jahr auf jeden Fall wieder!



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 Autor*in:
 Veröffentlicht am 30. Januar 2012
 Kategorie: Misc.
 Foto Jazz On Bourbon Street von Stu Seeger via Flickr.
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 Ein Kommentar
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Ein Kommentar
Kommentare
 Heimann iris
 31. Januar 2012, 18:41 Uhr

Der Artikel war spritzig zu lesen und Lust darauf ein Jazzfestival “live”
zu erleben.

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