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Durch Göttingen geJazzt!
Take two – Betrieblichkeiten

Durch Göttingen geJazzt! die Zweite – Sukie Brinkmann berichtet über Betrieb und Veränderungen des Jazzfestivals und befindet: Damals war nicht heute. Im Kurzinterview bekennen sich Kulturreferent Hilmar Beck und Festivalorganisator Ove Volquartz zur Schönheit von Widrigkeit und Leidenschaft.

Von Sukie Brinkmann

Das Göttinger Jazzfestival läutet in diesem Jahr die 35. Runde ein. Es hat seit seinen Anfängen einen enormen Entwicklungsschritt gemacht: Was 1978 als erstes Big-Band-Festival begann, von der Göttinger Gruppe Blue Roseland Orchestra initiiert, ist heute zu einem bekannten und immer ausverkauften Kulturereignis geworden. Erster Veranstaltungsort war der Mensabereich am Wilhelmsplatz – damals wurde die Veranstaltung von nur wenigen Musikern in reinster Handarbeit ausgerichtet. Heute erstreckt sich das Festival hauptsächlich über die Etagen des Deutschen Theaters, aber auch andere Institutionen sind involviert. Möglich ist das nur durch die Arbeit vieler, meist ehrenamtlicher Helfer. Das ursprüngliche Big-Band-Festival lief an zwei Tagen ab und war mit sechs Auftritten eher klein, im Vergleich zu nunmehr über 30 Auftritten beim Jazzfestival. Gleich geblieben ist, dass eine breite stilistische Vielfalt präsentiert wird und internationale sowie regionale Jazzgruppen mit einbezogen werden. Die Präsenz zahlreicher Göttinger Bands macht das Ereignis besonders, da dieser lokale Schwerpunkt eher eine Ausnahme unter den Jazzfestivals darstellt.

Mit Spaß zum Ernst

Verändert hat sich unter anderem auch der Festivalverein. Hilmar Beck, der nicht nur Leiter des Fachbereichs Kultur ist, sondern darüber hinaus dem Beirat der Göttinger Kulturstiftung angehört, zweiter stellvertretender Vorsitzender des Literarischen Zentrums ist und in der Jury für den Göttinger Elch sitzt, ist als zweiter Vorsitzender des Festivalvereins im Zusammenhang mit den Querelen um Gilad Atzmon im letzten Jahr zurückgetreten. Ove Volquartz, der selbst leidenschaftlicher Jazzkünstler ist und schon seit der ersten Veranstaltung dem Organisationsteam beiwohnt, übernahm als erster Vorsitzender. Das bedeutet allerdings nicht, dass Hilmar Beck nun nicht mehr an der Ausrichtung des Festivals beteiligt ist. Er ist nach wie vor an entscheidenden Stellen tätig. Sein Entschluss, zurück zu treten, hängt damit zusammen, dass das Festival immer sehr stark über seine Person definiert und als städtische Veranstaltung wahrgenommen wurde. Er betont, dass das Göttinger Jazzfestival gerade keine städtisch organisierte Veranstaltung, sondern ein Vereinsfestival ist und dies schon immer war. Demzufolge hat es keine großen Veränderungen aufgrund der Umstellung im Verein gegeben. Der Organisationsbedarf ist größer geworden, ebenso der bürokratische Aufwand und die damit einhergehenden Finanzierungskosten. Aus diesem Grund muss über eine Professionalisierung der Strukturen nachgedacht werden.

Das nimmt viel Zeit in Anspruch – die Vorbereitungen starten schon fast ein Jahr im Voraus. Bei rund 1.200 Leuten pro Abend und Kosten von 100.000 Euro ist dieser Einsatz auch nötig. Allein 50 Prozent werden über Eintrittspreise und der Rest über Sponsoring zum Beispiel von der Musikförderung Niedersachsen und Zuschüssen der Stadt finanziert. 50.000 Euro werden für Gagen und die Erstellung des Programmes ausgegeben.

Dieser kleine Etat verleiht der Veranstaltungsreihe eine Sonderstellung. Während andere Festivals weitaus mehr Geld zur Verfügung haben und sich quasi jeden Künstler leisten können, ist das Göttinger Jazzfestival auf die Tourplanung der Künstler, deren Agenturen und parallel laufende Feste angewiesen. Das erfordert gute Kontakte, beispielsweise zu Agenten, und ein gewisses Gespür für die Musik, welches der Verein mit den Jahren aufgebaut hat. Außerdem hat der Verein im Laufe der Zeit ein besonderes Geschick entwickelt, Musiker einzuladen, die kurz vor dem großen Durchbruch stehen und die man sich im Nachhinein nicht mehr hätte leisten können.

Zum Projekt

Jazz-Käse-Wein-Abende sind eigentlich nicht Sukie Brinkmanns Sache. Trotzdem fühlt sie sich angezogen von dieser Musik, die gerade den Göttinger Konzertgänger immer wieder umtreibt. Deshalb wird sie sich – aus der Nullperspektive heraus – der virtuosen Tonkunst widmen und eine Annäherung wagen. In drei Artikeln berichtet sie über Management, Milieu und musikalische Finesse der Göttinger Jazz-Szene.

 
 
Ove Volquartz, Hilmar Beck und noch sechs weitere Mitglieder des Vereins sind die Hauptverantwortlichen des Festivals. Sie übernehmen unter anderem Marketing und Öffentlichkeitsarbeit der Gesamtveranstaltung. Es wird auch schon seit langem mit der Musa zusammen gearbeitet. Diese verfolgt aufgrund ihrer Örtlichkeit und ihrer Wirkungsstruktur einen anderen Programmschwerpunkt, der ins Tanzbare geht. Seit einigen Jahren ist neben dem rein musikalischen Aspekt auch noch ein weiterer Schwerpunkt zum Festivalprogramm, das Einbeziehen der Produktivkräfte der Jazzmusik, hinzugekommen. So hat letztes Jahr ein Film über den Musikproduzenten Manfred Eicher, Begründer des Schallplattenlabels ECM, den Auftakt gemacht. Darüber hinaus hat im Literarischen Zentrum eine Gesprächsrunde mit dem Begründer des Jazzlabels ACT Siggi Loch stattgefunden. Diese Richtung wird auch in den nächsten Jahren, wenn möglich, fortgeführt, wobei der Verein für Anregungen und neue Ideen offen ist.

Anspruch nicht nur ans Musikalische

Neben den neuen Dimensionen des Festivals hat sich noch etwas verändert – das Musikbusiness. Die Anforderung an PA- und Musikanlagen sind völlig andere als vor 20 Jahren. Die um einiges bessere Tonqualität bringt natürlich auch erhöhte Kosten mit sich. Obendrein ist vieles, wie zum Beispiel Instrumente, nicht im Deutschen Theater vorhanden und muss von außerhalb angeliefert werden. So wird der Flügel extra aus Hannover gebracht. Allein das Aufstellen der Technik ist unglaublich aufwendig und kostspielig. Dann erst kommen die Musiker ins Spiel, die ebenfalls anspruchsvoller geworden sind. Bei den ersten Veranstaltungsreihen konnten die Künstler teilweise noch privat untergebracht werden. Heute bräuchten manche Gäste ein nobles Hotel, das noch mehr zu bieten hat als das ehemalige 5-Sterne-Romantikhotel Gebhards. So war das Festival früher, als die Umstände noch andere waren, um einiges familiärer und die Kontakte zu den Musikern intensiver. Dennoch ist dieser Aspekt nicht vollkommen, wie bei manch anderen Festivals, verloren gegangen, da das Göttinger ein rein ehrenamtliches und somit der Musikleidenschaft wegen organisiertes Festival ist. Die enge Verbindung zu den Künstlern ist gerade zu der Zeit entstanden, als Göttingen im Zonenrandgebiet lag. Qualifizierte Musiker aus dem Ostblock konnte man um einiges günstiger bekommen als heute. Daraus entwickelte sich ein Länderschwerpunkt, der heute nicht mehr vorhanden ist und dennoch, wenn es sich ergibt, in einem ähnlichen Maß wieder auftreten kann; der Vorteil an solch einer kleinen Stadt ist, dass miteinander gesprochen wird und es so zu allen möglichen Querverbindungen und Kooperationen kommt. Diese würden aber nicht zustande kommen, wenn nicht eine solch engagierte und vor allem jazzliebende Vereinsgemeinschaft hinter der Organisation stehen würde. Gerade dieses langjährig zusammengeschweißte Team macht das Göttinger Jazzfestival zu etwas Außergewöhnlichem!

Acht Fragen an Hilmar Beck und Ove Volquartz

Welches Instrument würden Sie mit auf eine einsame Insel nehmen?
Ove Volquartz: Eins wird nicht reichen! Vorzugsweise ist es die Bassklarinette. Ich würde aber alles mitnehmen. Die Insel wäre voll!

Was ist Ihr Lieblingsort in Göttingen?
Ove Volquartz: Die Übezelle.
Hilmar Beck: Zu Hause auf dem Sofa mit einem Buch in der Hand.

Welche waren die stressigsten Konzerte auf dem Jazzfestival?
Ove Volquartz: Die Geschichte mit Gilad Atzmon war sehr anstrengend.
Hilmar Beck: Archie Shepp war das nicht weniger. Er kam 3 Stunden zu spät, hat dann erst einmal einen Vertrag gelesen, den er nicht verstanden hat, wollte dann Drogen und Whiskey…

Was waren die musikalisch interessantesten Konzerte?
Hilmar Beck: Kann man schwer sagen. Sehr interessant waren zum Beispiel Lars Danielsson und Dave Holland
Ove Volquartz: So viele! Steve Lacy, Iva Bittová, Art Ensemble of Chicago, Louis Sclavis mit Henry Texier

Welchen Jazzkünstler würden Sie gerne mal persönlich treffen?
Ove Volquartz: Ja ich treffe doch andauernd welche (lacht) – Coleman vielleicht.
Hilmar Beck: Herbie Hancock und Wayne Shorter zum Beispiel.

In welchem Raum des Deutschen Theaters hören Sie am Liebsten Musik beim Festival?
Ove Volquartz: Die Frage stellt sich für uns kaum, weil wir immer hinter der Bühne sind und dauernd irgend etwas anliegt.
Hilmar Beck: Aber akustisch und von der Bühnenpräsentation her ist die Hauptbühne optimal. Da komme ich meistens gar nicht von weg.

Welcher Klang ist Ihnen am liebsten?

Ove Volquartz: Der Sound einer Bassklarinette kann einen besoffen machen!
Hilmar Beck: Ich brauche einen Rhythmus dahinter. Bass oder Schlagzeug als Rhythmusgespann.

Bei welcher Musik machen Sie das Radio lauter?
Hilmar Beck: Ich bin da recht offen. Präferenzen liegen im sogenannten U-Musikbereich.
Ove Volquartz: Gestern habe ich das Radio bei Terry Riley lauter gedreht.



Metaebene
 Autor*in:
 Veröffentlicht am 8. März 2012
 Kategorie: Misc.
 Foto Jazz On Bourbon Street von Stu Seeger via Flickr.
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