Er ist weder Schimanski noch Hercule Poirot. Privatdetektiv Böther ermittelt allein und auf eher unkonventionelle Art in den Straßen Göttingens. Im Frauennachttaxi des Jungen Theaters hat der Zuschauer trotzdem Gelegenheit, ihm dicht auf den Fersen zu bleiben.
Von Marie Schmidt
»Hast du ein Taxi bestellt? Du? Du?« Gemeinsam sitzen wir Theaterbesucher in der Kantine des JTs und warten auf unseren Chauffeur für heute, der uns mit seinem Taxi durch Göttingen fahren soll. Udo trägt einen langen Pelzmantel und sieht eher aus wie ein Nachtclubbesitzer, denn wie ein Taxifahrer. Trotzdem klettern wir gehorsam in den VW- Bus und los geht’s.
Das Frauennachttaxi, in dem auch Männer mitfahren dürfen, verspricht seinen Gästen eine Audio-Krimi-Tour durch Göttingen. Das gesamte Stück ist in vier Teile aufgeteilt, die jeweils an vier Terminen vom JT gezeigt werden. Wir sehen bzw. hören heute den zweiten Teil der Krimistory rund um Detektiv Böther, der am Anfang ziemlich verkatert in seiner Wohnung aufwacht und von einer geheimnisvollen Fremden mit einem lukrativen Auftrag geködert wird. Während wir uns noch nach der Vorgeschichte dieses Auftrags fragen, stoppt das Taxi schon und Didi, ein munterer Rosenverkäufer und Freund unseres Fahrers, lässt sich auf dem Vordersitz nieder. Lange bleibt er uns aber nicht erhalten, schon beim nächsten Halt, einer unheimlichen Fabrikhalle, wird er von einer Gruppe Maskierter mit Fackeln entführt. Klingt konfus, und das ist es am Anfang auch. Auf der Suche nach Didi fahren wir also durch Göttingen, während parallel dazu Böther langsam ahnt, was seine mysteriöse Auftraggeberin im Schilde führt.
KopfkinoBöther selbst bekommen wir jedoch nie zu Gesicht: das gesamte Szenario wird suggestiv aufgebaut und spielt sich weitestgehend in unserem Kopf ab – was merkwürdig, aber gleichzeitig faszinierend ist. Unsere Augen werden geschärft. Ist der Passant, den wir gerade nach dem Weg fragen, wirklich nur ein Passant? Oder ein Teil des Puzzles, das wir versuchen zusammenzusetzen? Uns ist jedoch keine Ruhe vergönnt, das Geschehene zu überdenken. Schon beim nächsten Halt taucht Didi wieder auf und fleht uns an, ihm zum Kiessee zu folgen. Schade, dabei hatten wir es uns gerade mit einem Glas Sekt im Friseursalon gemütlich gemacht, wo sich Udo zwischendurch die Haare schneiden lässt. Aber es hilft alles nichts, wir greifen unsere Taschen und machen uns auf den Weg, um Didi aus der Klemme zu helfen. In welcher er eigentlich steckt, ist rätselhaft, denn er verliert kein Wort darüber. »Trauen Sie niemals allgemeinen Eindrücken, sondern konzentrieren Sie sich auf Einzelheiten«, sagte schon Sherlock Holmes. Wir halten also die Augen offen, aber können uns nicht entscheiden: ist das an der Straßenlaterne tanzende Pärchen nun Teil der Inszenierung oder Ausdruck unserer neu wahrgenommenen Realität?
The Show must go onDas Besondere an dieser Krimitour ist aber nicht nur unsere eigene »Detektivarbeit«, sondern auch die schauspielerische Leistung. Rasant wechseln die Akteure von einer Station zur nächsten und kommen doch nie aus der Puste. Es sind größtenteils Laien, die der Bürgerbühne »Club Göttingen« angehören, genauso wie auch die Sprecher der begleitenden Audio-CD. Letzteren wurde das Privileg zuteil, im Gegenzug für ihre Spende an das Crowdfunding-Projekt über die Plattform Startnext kleinere Sprecherrollen übernehmen zu dürfen.
Wir halten nach einer längeren Irrfahrt schließlich am See. Zu diesem Zeitpunkt sind wir jedoch alle etwas überfordert von den Details der Ermittlungen und dem enormen Figurenaufgebot. Wir werden von Didi, der sich jetzt am Kiessee herumtreibt, auf die Suche nach einem grünen Licht geschickt. Grün für die Hoffnung? Das wäre nicht schlecht, denn mittlerweile können wir nur hoffen, aus der recht verworrenen Story schlau zu werden, bevor wieder etwas Neues geschieht.
Schließlich halten wir vor einem Hochhaus, in einem Fenster rotiert ein grünes Licht. Endlich am Ziel? Zunächst nehmen wir den Fahrstuhl und stoßen prompt auf einen mit Blut besudelten Stoffbären. Allmählich beschleicht uns das Gefühl, in einer wirren Stephen-King-Inszenierung gelandet zu sein. Dieser Eindruck verstärkt sich, als wir, in ein kleines Zimmer gezwängt, einer älteren Frau gegenüberstehen. Im flackernden Schein des grünlichen Lichts werden ihr von einer wie erstarrt wirkenden Frau die Haare gekämmt: mechanisch, beklemmend, surreal. Mit heiserer Stimme warnt sie uns: »Öffnet die Augen, sonst geschieht etwas Schlimmes.« Die Augen zu öffnen scheint jedoch nicht mehr auszureichen, um die Geschichte zu verstehen. Verwirrt fahren wir mit dem Fahrstuhl nach unten, nicht ohne noch durch ein Fenster die maskierten Fackelträger zu sehen. Gespannt setzen wir uns also wieder ins Auto, fahren los… und werden vor dem JT abgesetzt. Das war’s, Ende der Detektivarbeit. Was bleibt, sind etwas ratlose Gesichter und die Frage, was denn nun eigentlich passiert ist und was diese Inszenierung uns sagen soll.
Nichts für JedermannWer sich zu einer Fahrt im Frauennachttaxi entschließt, sollte wissen, worauf er sich einlässt. Die Grundidee ist durchaus originell, jedoch lässt die Inszenierung viele Fragen offen, die nur durch das Anschauen der nächsten Episoden geklärt werden könnten.
So temporeich unser Taxi auch ist, so sehr verliert die Geschichte an Fahrt. Zu viele Handlungsstränge, die noch nicht zusammenlaufen und die Suche nach Didi verwirren uns als Zuschauer eher, als dass sie uns weiterhelfen. Die Schauspieler geben sich redlich Mühe, die kleineren Schwächen der Geschichte aufzufangen, doch gelingt es ihnen nicht immer. Wer allerdings nichts gegen einen – vielleicht etwas zu – wirksam eingesetzten Cliffhanger hat und auch bei verworrenen Geschichten nie den Faden verliert, dem sei die Produktion des Jungen Theaters empfohlen. Es ist jedoch Eile geboten, da das Frauennachttaxi für die nächsten Vorstellungen schon besetzt ist.