Clown, Käfer und gleichförmig grau kostümierte Beamte: Die Laienspielgruppe Mittwoch:Theater aus Hannover inszeniert eine Kafka-Collage, in der sich Literarisches und Biographisches vermischt. Franz Kafka. Kein Schlaf Nur Träume bebildert das subjektive Welterleben des Dichters, ohne erklären zu müssen.
Von Astrid Schwaner
Keineswegs tot ist der Autor ein halbes Jahrhundert nach Roland Barthes Aufsehen erregendem Aufsatz: Franz Kafka wird im Mittwoch:Theater in Hannover sogar quicklebendig. Franz Kafka. Kein Schlaf Nur Träume ist ein fesselndes Theaterstück über die Biografie des schwer greifbaren Autors. Das renommierte Laientheater hat das Stück selbst geschrieben und mit phantasievollen und grotesken Einfällen inszeniert.
Von der Pawlatsche zum KäferZwei Clowns reißen das spielende Kind Franz an den Armen fort von seinen Bauklötzen, krachend reißt der bunte Bauklotzturm ein. Kaum errichtet Kafka den nächsten Turm, wird er wieder weggeschleift. Von Umzug zu Umzug weicht die Farbe aus den Bauklotztürmen, bis Franz zitternd und schluchzend die schwarzen Bauklötze kaum mehr stapeln kann. Das ist nur eine der grausamen Kindheitserinnerungen Kafkas, die das Kind traumatisieren und ihm buchstäblich Farbe und Seelenruhe entziehen. Die Clowns treten im Laufe des Stücks immer wieder als mysteriöse Gehilfen auf. Sie sind aus Kafkas Roman Das Schloss entlehnt und brechen die Tragik des allzu traurigen Schriftstellerlebens.
Im Zeitraffer durchlebt Kafka auch den Tod seiner Brüder, die seine Mutter als Babypuppen auf ihren Schuhen über die Bühne trägt, leidend unter der grausigen Last und ohne Aufmerksamkeit für den kleinen Franz. Vom garstigen Vater wird er gar ausgesperrt und verwandelt sich auf der Pawlatsche in einen Käfer, als der er immer wieder hilflos auf dem Rücken liegt. In der Schule tragen alle Mitschüler Kafkas Maske, verhöhnen ihn und begraben ihn unter metergroßen Büchern.
Ein groteskes ErwachsenenlebenAls Erwachsener wird Kafkas Leben nicht einfacher und schon gar nicht verständlicher. Im Gegenteil: Bei seinem ersten Besuch im Rotlichtmilieu, beim Entscheidungskampf mit Justitia und der Muse, unter dem Druck des Vaters und bei den Begegnungen mit Max Brod, Felice, Milena und Dora verschwimmen Realität, Phantastik und Literatur. Der Theatertext mischt selbst Geschriebenes von Regisseur Oliver Gruenke und seinem Team mit Versatzstücken aus Kafkas literarischen Texten, die Kafka-Fans genussvoll herausfiltern können.
Die Absurdität des Arbeitslebens in der Versicherung zeigen gleichförmig grau kostümierte Beamte an imaginierten Schreibmaschinen und ein Chef mit riesigem Cognacglas, das größer als sein Kopf ist. Die zwei Clowns aus der Eröffnungsszene greifen leitmotivisch in viele Szenen ein. In der durchwachten Nacht, in der Kafka Das Urteil schreibt, beginnt er sogar, mit ihnen zu sprechen. Die Grenze zwischen Traum und Wachen verwischt.
Raffinierte Requisiten und BühnengestaltungGroßartig eingesetzt werden auch Stimmaufzeichnungen aus dem Off, wenn Max Brod und Franz Kafka von zwei Seiten an einer riesigen Papierbahn schreiben und sich zum Stimmgewirr ihrer Briefzitate in die Briefmasse einrollen, bis sie scheinbar in zerwühlten Bettlaken beieinander sitzen. Filmausschnitte projiziert auf einen Tüllvorhang zeigen Kafka und seine Geliebte Milena in der Natur, während das Paar auf der Bühne im Gras liegt. Sphärische Klänge einer Glasharfe mischen sich mit live gespielter Klaviermusik.
Die Bühne aus großen, schwarzen Stufen und die Lichttechnik sind schlicht, aber wirkungsvoll, ebenso die realistisch gewählten Kostüme. Das lässt Platz für die kreativen Einfälle wie übergroße Kaffeetassen und Zeitungen, fliegende Briefe und halsbrecherische Verfolgungsjagden, die die wirre Subjektivität von Kafkas Welterleben abbilden. Versteht der Zuschauer Kafkas Leben und Werk durch das Sehen dieses Stückes besser? Nein, das ist unmöglich. Wie die beiden Clowns scheitern die Zuschauer daran, die riesige Kiste mit Kafkas Geheimnissen zu ergründen: Dazu sind wir »zu gesund«, befindet ein Clown.
Begeisterung beim PublikumDie Inszenierung unter Regie von Oliver Gruenke geht weit über den Standard einer Laienspielgruppe hinaus. Das zeigen die Zuschauerzahlen: Auch nach der Hälfte der Vorstellungen ist die Veranstaltung noch ausgebucht. In der Pause schwärmt ein prototypisches Zuschauerpaar (Bildungsbürger jenseits der 50) von der schauspielerischen Leistung: Seit 1970 existiere das Mittwoch:Theater und sei »oft besser als das Staatstheater«. Spaß macht auch der liebevolle Rahmen: Die Getränke aus der äußerst günstigen und gut ausgestatteten Theaterbar können an die kleinen runden Tischchen im Publikum mitgenommen werden. Das alte Theatergebäude wird von der Stadt zur Verfügung gestellt und ist technisch hoch ausgestattet und selbst die Programmhefte und Eintrittskarten sind graphisch aufwändig und hochwertig gestaltet.