Mit ihrem aktuellen Roman Tal der Herrlichkeiten war Anne Weber im April dieses Jahres zu Gast im Literarischen Zentrum Göttingen. Wieder widmet sich die auf deutsch und französisch schreibende Autorin dem schwierigsten Stoff der Literatur, der Liebe. Frei von Kitsch schreibt sie über die »Verschmelzung von Körper und Gemüt«. Mit ihr sprach LitLog-Autorin Verena Zimmermann.
Von Verena Zimmermann
Paris, die Wahlheimat von Anne Weber. Gerade wollen wir mit unserem Interview beginnen, als ein Kater sich mit einem geschmeidigen Satz zwischen sie und ihren Computer drängt. »Allez! Descends!«, sagt die Autorin streng und schüttelt ihre dunkelblonden Locken. Dann kann es losgehen: Wir reden über die Liebe. Und ihr neues Buch.
V.Z.: Nach Ihrem Buch Luft und Liebe haben Sie mit Tal der Herrlichkeiten wieder eine Liebesgeschichte geschrieben. Warum haben Sie sich erneut diesem Thema gewidmet?
A.W.: Na ja, immerhin habe ich schon acht Bücher geschrieben und Tal der Herrlichkeiten ist erst das zweite über die Liebe. In Luft und Liebe habe ich über eine Liebe geschrieben, die eigentlich gar keine ist. Es ist die Geschichte einer Illusion, die am Ende platzt. Da hatte ich einfach das Bedürfnis, nochmal von der Liebe zu erzählen, aber dieses Mal auf eine ganz andere Weise. Ich wollte zeigen, wie Liebe im schönsten Fall sein kann: Stark, alles umwerfend, Kräfte spendend, überwältigend.
V.Z.: Wie schreibt man denn über etwas so Überwältigendes und Undefinierbares wie die Liebe? Wie kann man einen so großen Begriff überhaupt fassen?
A.W.: Das ist genau das Paradox: Dass Liebe einerseits etwas Undefinierbares und Überwältigendes ist, und andererseits viele Bücher und Filme genau davon handeln. Das Thema ›Liebe‹ wird eigentlich ständig ausgewälzt, weshalb es natürlich stark mit Klischees, auch von sprachlichen, behaftet ist. Es gibt praktisch keinen Flecken, der noch unbeschriebenes Neuland wäre. Alles wurde schon zigtausend Mal erzählt und alle Wörter wurden schon gefunden. Und natürlich ist jeder Fußtritt mit dem Risiko verbunden, auf eine Mine zu treten.
V.Z.: Trotzdem wird über Sie gesagt, Ihnen wäre das Schwierigste überhaupt gelungen: Über Liebe zu schreiben als hätte es noch nie jemand zuvor getan. Inwiefern unterscheidet sich Ihre Darstellung der Liebe von all den anderen?
A.W.: Ob ich das wirklich geschafft habe, weiß ich nicht. Ich habe nur versucht, Klischees und abgegriffene Ausdrücke zu vermeiden. Dafür musste ich mich auf eine Gratwanderung begeben: Einerseits wollte ich Gefühle darstellen, andererseits aber Kitsch vermeiden. Das war nicht immer ganz leicht, denn ich habe den Eindruck, dass wir in einer Welt leben, in der jede Gefühlsregung sofort suspekt und kitschig scheint. Es ist einfacher, sich von Gefühlen zu distanzieren, indem man sie ironisiert und sich darüber lustig macht. Wenn man Gefühle derart ins Lächerliche zieht, sind sie als etwas Schönes nur noch zu erahnen. Das wollte ich vermeiden.
V.Z.: Haben Sie deshalb statt Ironie den neoromantischen Schreibstil gewählt?
A.W.: Na, heute ist ja alles irgendwie »neo«- oder »post«-irgendwas. Neoromantisch… ich weiß nicht. Vielleicht eher neo-mythisch? Immerhin greife ich auf die Geschichte von Orpheus und Eurydike zurück, um damit alte Bilder und tiefsitzende Konstellationen menschlichen Zusammenseins wieder aufzugreifen.
V.Z.: Was fasziniert Sie gerade an diesem antiken Mythos?
A.W.: Verschiedenes. Zum einen hat mich die Idee vom Totenreich schon lange beschäftigt und die fand ich in diesem Mythos besonders schön dargestellt. Es ist einfach ein menschliches Bedürfnis, sich den Ort der Toten auch »geographisch« vorzustellen. Unsere materialistische Vorstellung von einer Leiche, die unter der Erde verfault, ist viel zu kärglich und zu arm. Ich dachte mir, dass es auch heute noch Bilder und Geschichten dafür geben kann. Außerdem war ich von der Macht der Dichtung, der Kunst und des Gesangs fasziniert, die ihre Schönheit erst entfaltet, wenn sie von der Liebe begleitet wird. Erst die Liebe gibt dem Orpheus-Gesang die Kraft, die Herzen der Tiere, Menschen und Götter zu erreichen und ihm letztlich sogar den Einlass in die Unterwelt zu ermöglichen.
V.Z.: Sie stellen die Liebe Ihrer beiden Protagonisten Sperber und Luchs ja genau wie die Liebe von Orpheus und Eurydike als etwas Epochales, Mythisches, als die EINE wahre, alles verschlingende Liebe dar. Ist dieses Liebeskonzept in unserer modernen Welt nicht etwas unzeitgemäß?
A.W.: Ja, unbedingt. Liebe wird in zeitgenössischen Romanen in der Regel ganz anders dargestellt – häufig auf eine sehr abgeklärte Weise, als etwas, das von Attitüde, Coolness und Distanziertheit geprägt ist. Die Protagonisten halten einander zwar in den Armen, betrachten den anderen dabei aber wie aus der Ferne, wie einen Fremden. Ich habe das anders gemacht, weil ich die Liebe auch anders erlebe. Ich glaube übrigens gar nicht, dass die anderen Autoren die Liebe tatsächlich so erleben wie sie sie beschreiben. Das ist wohl mehr eine Pose. Überhöhung und Verklärung werden als unzeitgemäß empfunden. Statt Gefühle zu beschreiben, konzentrieren sich die Autoren lieber auf Sex, und zwar auf eine entweder ziemlich öde oder trashige Weise. Wer nicht über der Sache steht, macht sich lächerlich — Ich wollte lieber das Risiko eingehen, mich lächerlich zu machen.
V.Z.: In Ihrem Roman gibt es aber auch zwei ziemlich explizite Liebessszenen. Wie schreibt man über die körperliche Liebe, ohne sie ›trashig‹ oder obszön erscheinen zu lassen?
A.W.: Das war tatsächlich sehr schwierig und ich habe auch ziemlich lange daran gesessen und vieles immer wieder umgeschrieben.
V.Z.: »Die Verschmelzung von Körper und Gemüt«, das klingt nach Perfektion und Vollkommenheit. Die Liebe von Sperber und Luchs wird ja als ein absolutes, romantisches Ideal glorifiziert. Faktisch kennen sich die beiden aber gerade mal zwei Tage. Kann man da denn überhaupt schon von so etwas wie »Liebe« sprechen?
A.W.: Es gibt viele verschiedene Arten von Liebe. Es gibt die Liebe, die über Jahre wächst, aber eben auch die Liebe als ›coup de foudre‹, als blitzartiges Wiedererkennen von jemandem, den ich noch nie gesehen habe, aber aus meiner Vorstellung schon seit Ewigkeiten kenne.
V.Z.: Wie wäre diese Blitzbegegnung weitergegangen, wenn Luchs nicht gestorben wäre. Wäre dann irgendwann der Alltag eingekehrt, die beiden hätten sich über Rechnungen gestritten und Sperber hätte die Nudeln verkocht gefunden?
A.W.: Ja, wahrscheinlich! (lacht)
V.Z.: Ist das nicht Liebesskepsis?
A.W.: Nein, das macht ja gerade die Intensität und auch die Tragik dieser kurzen Liebe aus: Dass Sperber, wie auch Orpheus, die Geliebte schon so früh entrissen wird, schon in der Zeit der Begegnung, wo alles noch offen ist. Genau das löst dieses Gefühl der Revolte in Sperber, wie auch in Orpheus aus und gibt ihnen die Kraft und den Mut, sich überhaupt ins Totenreich aufzumachen.
V.Z.: Also sind die schönsten Liebesgeschichten eben doch die tragischsten? Oder warum haben Sie Ihren Protagonisten kein Happyend gegönnt?
A.W.: Das konnte ich leider nicht. Das, was ich eigentlich schreiben wollte, war nämlich eine Reise zu den Toten, aber dann ist daraus doch nur der Schlussteil meines Romans geworden. Deshalb musste die Liebesgeschichte von Luchs und Sperber nun mal unweigerlich mit dem Tod enden. Aber wie hätte ein Happyend für die beiden denn überhaupt aussehen können?
V.Z.: Dass sie zusammen alt werden?
A.W.: Okay, das versuch ich dann in meinem nächsten Buch! (lacht)