Zwei Osnabrücker Doktoranden wagen sich auf den Markt der Lyrikmagazine: Limen bündelt im Jahresturnus Stimmen und Werke internationaler DichterInnen samt deutscher Erstübersetzung und versucht so das Einzugsgebiet (fremd)sprachiger Lyrik zu vergrößern. Eine Anlese von Alena Diedrich.
Von Alena Diedrich
Die Schwierigkeiten gegenwärtiger Lyrikproduktion und -rezeption sind allseits bekannt: Geringe und häufig schwer zu beziehende Auflagen, das Problem der sprachlichen Vermittlung nicht-deutschsprachiger Texte, zu denen keine Übersetzungen vorhanden sind, und andere Widrigkeiten rollen dem Lyrik-interessierten Leser häufig Steine in den Weg. Limen möchte diese Grenze, die die Rezeption über einen kleinen Kreis Lyrikinteressierter hinaus erschwert und verhindert, als eine überschreitbare Hürde – eine Schwelle eben – begreifen, die eingeebnet und überwunden werden kann.
Dazu gibt Limen dem Leser ein paar nützliche Hilfswerkzeuge an die Hand: Die mehrsprachige Zeitschrift macht zeitgenössische Lyrik für ihre Interessenten zugänglich, druckt Übersetzungen sowie erläuternde Stellungnahmen ab und erweitert das Angebot um eine Bibliographie von Primärliteratur der jeweiligen Autoren, die zur weiteren Lektüre einlädt. Als Leser registriert man: Limen ist eine mit wissenschaftlichem Anspruch vermittelte Anthologie. Ihre Herausgeber Kristin Bischof und Massimo Pizzingrilli sind Mitarbeiter des Instituts für Germanistik der Universität Osnabrück, was man der Gestaltung des Heftes anmerkt. Die fremdsprachigen Gedichte sind zum Teil in Fußnoten ankommentiert, kurze Einführungen in das Leben und Schreiben der in Limen versammelten Autoren bieten weitere Hinweise und am Ende des Heftes sind Quellen sowie die Orte der Erstveröffentlichungen verzeichnet.
Die erste Ausgabe stellt die häufig aufgeworfene und immer wieder aktuelle Frage nach dem ambivalenten Verhältnis von Dichtung und Politik. Welche gesellschaftliche Stellung nimmt Dichtung als öffentliches Medium ein, auch wenn sie sich keiner Tendenz verschreibt? Bereits im Editorial der Herausgeber – das das Thema des Heftes offenbar auch aus seinem Negativ heraus begreift und so stark öffnet – wird die Schwierigkeit offenbar, den politischen Gehalt eines Textes auffindbar zu machen:
Dichtung steht in einem öffentlichen Raum und verhält sich (un)politisch. Daraus resultieren zwei zentrale Fragen: Wie schreibt der Dichter das Politische in seine Texte (nicht) ein? Warum und unter welchen Bedingungen wird ein Dichter zum (un)politischen Autor?
So ist vielen der abgedruckten Gedichte ›das Politische‹ nicht direkt anzumerken. Sie sind dem Thema nicht zwingend unterzuordnen – auch im Inhaltsverzeichnis sind die Gedichte nur mit Dichtung überschrieben. Direkt wenden sich dann die Prosabeiträge der auf die Gedichte folgenden Rubrik Stellungnahmen dem Thema Dichtung und Politik? zu.
Aus der Mitte der Dichtung, an den Rändern gekräuselt: Uljana WolfBetrachtet man die beiden in Limen abgedruckten Gedichte, die Uljana Wolf eigens für die Zeitschrift und für das Thema des ersten Heftes verfasst hat, wird ein politischer Bezug schnell deutlich. Ihre Gedichte fragen nach dem Ort, von dem aus wir über die Welt sprechen und zeigen, dass es eine Mitte der Gesellschaft kaum noch geben kann: »immer liegt alles an den rändern, / aber wo lieg ich?« Das Individuum muss sich mit dem Hilfsmittel seiner Sprache – zwischen deren Sinn und Klang – in der Gesellschaft zwischen aufgeweichten politischen Positionen und angesichts einer starken Markt- und Konsumorientierung verorten. Es muss neue Worte finden, mit denen es die Zusammenhänge in der Welt adäquat begreifen kann:
[…] ach, käm ich weg, nach
draußen, wo die fahnen der namen wehn, ich fänd ein wort
für meine lage. aber wo nehm ich, wenn in dunklen regalen,
und wo ein säuberliches sprechen, eigen rechts und feigen
links? […]
Mit Hölderlins Weh mir aus seiner Hälfte des Lebens, beschwört Wolf in ihrem Gedicht kleine sternmullrede die Angst vor einer bevorstehenden Zukunftshärte und -kälte, die auch Hölderlin beklagt:
Weh mir, wo nehm’ ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein, und Schatten der Erde
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.
Als »Sprachbürger eines Zustands« versteht Uljana Wolf das Gedicht. Es entspringt der Gesellschaft und wirkt organisch-erneuernd in sie zurück, unstaatlich, grenzenlos und daher übersprachlich und multilingual: »am Ende wächst und steht, very stately, eine krause Minze, very erfrischend, wurzelt aus dem Gedicht, zurück in die abgefertigte Welt.«
Postmoderner Dichtungskitt, belebt: André SchinkelDie Getrennten Glieder eines in schnell wechselnde persönliche Interessen zersplitterten Staatskörpers wollen sich bei André Schinkel allein durch ›Schmiergeld‹ wieder zusammensetzen. Als ein unkontrollierbarer Finanz-Golem hat sich das ökonomische System bedrohlich verselbständigt:
Belebt wird, was sich gar nicht findet,
Mit dem güldnen Bimbes-Kitt; –
Geklebt wird, was sich biegt und windet,
Bewölkt, bedeckt – ein Feuerritt.
Die menschliche Vereinsamung in der durch die Mode der Konsumgüter vorgegebenen Gleichschaltung führt zu einer krankhaften Desillusionierung:
Ach und ach – die alt gewohnte Kacke
Erwartet uns am Neuanfang;
Wir tragen nun getrennt die gleiche Jacke
Und melden unsre Träume krank.
Doch am Ende ist es – wie im Falle des Golems die Sprache – hier die Dichtung, die die getrennten Glieder metrisch und rhetorisch wieder zusammenkittet. Als ›ewige Wiederkehr‹ plätschert die »Geschichtswind-Kakelei« auf der Suche nach einer verlässlichen Ewigkeit in trochäischem Versmaß und gekreuztem Reim daher, doch bleibt dabei immer vorläufig und Nietzscheanisch-entfremdet:
Und zwischenzeitlich schleicht das Leben
An sich selbst vorbei: O Mensch gib acht!
Angesichts dieser Warnung ist vor aller tendenziellen Parteinahme ein »distanzfähiger Blick« auf die Welt zu bewahren, so Schinkel, denn »[d]ie Reiche des Blutes kommen und gehen – und jedes versucht uns vom Nutzen und der Schönheit eben seiner Gewalt zu überzeugen. […] Ohne Nihilismus gesagt: Man muss vorsichtig sein.« Doch aus der ironischen Distanz heraus ist vor allem eines haltbar: Die Kunst als ein »erinnerndes Statement für den Stolz, die Wachheit und den möglichen Luxus der Verschrobenheit […] einer sich in geldzählenden Tagträumen ergehenden Generation.«
Laut und LyrikDie beigelegte CD, für die die Autoren ihre Gedichte in Originalsprache selbst eingelesen haben, bietet eine gute Möglichkeit, sich die Texte auch akustisch zu erschließen. Bei den in ihrer Aufnahmequalität sehr unterschiedlichen Beiträgen fehlt allerdings die Lesung der von Limen angefertigten Übersetzungen. Diesen wird auch in der gedruckten Version insgesamt ein eher geringer Raum eingeräumt: Die Übersetzungen sind dem Gedichtblock des jeweiligen Autors nach- und nicht nebengestellt und laden so nicht zur direkt vergleichenden Lektüre ein, obwohl diese natürlich möglich ist.
Mit der Vielfalt seiner ausgewählten Autoren ist Limen ein ambitioniertes Projekt, das die Lyrik-Szene kompetent erweitert, zeitgenössische fremdsprachige Texte themenorientiert zusammenführt und für ein deutschsprachiges Lese- sowie ein internationales Hör-Publikum aufbereitet. Auf die nächsten Ausgaben dürfen wir zu Recht gespannt sein.
[…] spricht der Untertitel) widmet und auf die auch schon der Deutschlandfunk und Litlog aufmerksam geworden sind. In poetologischer Hinsicht ist der Name der Zeitschrift also […]
[…] litlog, Januar 2012: […]