August Strindberg gilt als einer der produktivsten skandinavischen Schriftsteller. 60 Dramen, zehn Romane, zehn Novellensammlungen und mindestens 8.000 Briefe gehören zu seinen Hinterlassenschaften. Man mag denken, sein Leben könnte besser nicht dokumentiert sein. Aber so einig man sich über sein literarisches Können ist, so uneinig ist man sich über die Person Strindberg. Den Versuch einer Fassbarmachung startete eine Expertenrunde im Literarischen Zentrum.
Von Johanna Karch
Am 14. Mai jährte sich zum 100. Mal der Todestag von August Strindberg, dem ebenso zynischen wie genialen schwedischen Schriftsteller, der mit brutaler Ehrlichkeit seine Figuren in glaubwürdige Gewänder der Menschlichkeit kleidete. Sein Genius wird heute meist mehr mit der Kunst zu Lieben als der zu Fabulieren in Zusammenhang gebracht, so kennt in Schweden jeder Strindbergs drei Ehefrauen. Drei Werke des Literaten aufzuzählen, fiele den meisten aber schwer. Dennoch bewegt sich die Strindbergforschung auf höchsten Höhen und adelt den Misanthropen mit zahlreichen Publikationen, wobei sie auch das Bild des frauenfeindlichen Hetzschreibers hinterfragt. Das viel zitierte Vorwort zu Fröken Julie hat nicht wenig damit zu tun, dass der alte Schwede immer noch in die misogyne Ecke gestellt wird:
Fräulein Julie ist ein moderner Charakter, nicht weil es Halbfrauen, Männerhasserinnen nicht zu allen Zeiten gegeben hätte, sondern weil sie inzwischen entdeckt wurde, hervortritt und Lärm macht. Die Opfer des Irrglaubens (der selbst stärkere Gehirne befällt), dass die Frau, diese verkrüppelte Form des Menschen, die neben dem Mann, dem Herrscher der Schöpfung, dem Schöpfer der Kultur, steht, dem Manne ebenbürtig sein könnte, verwickelt sich in ein unnützes Streben, das sie scheitern lässt.
Da zittern einem beim Abtippen des Zitats die Finger und man muss seine Antipathie gegen dieses Kulturschöpferle schon fast mit Gewalt niederzwingen – um des objektiven Forscherblicks willen. Diesen wollte das Literarische Zentrum in Kooperation mit dem Skandinavischen Seminar mittels Expertenrunde schärfen und versuchte eine Annäherung über »seine Frauen«. Der österreichische Literaturwissenschaftler Friedrich Buchmayr, jüngst als Biograph Frida Uhls, der zweiten Ehefrau Strindbergs, in Erscheinung getreten, erörterte zusammen mit Lena Einhorn und Björn Meidal Fakt und Fiktion um Strindberg und seine Herzensdamen.
Uhls Schaffen, so Buchmayr, war vor allem im Bereich des Feuilletons und der literarischen Übersetzung beachtlich, dennoch stünde sie bis heute – vor allem im deutschsprachigen Raum – als historisch bedeutsame Literatin im Schatten ihres berühmten Ehegatten. Strindberg selbst habe Uhls Arbeiten gar nicht lesen wollen, obwohl er wusste, dass sie seine schriftstellerische Leidenschaft teilte. Mitunter im selben Raum sollen sie, Schreibtisch an Schreibtisch, nebeneinander gearbeitet haben. Durch Zufall las er dann doch einen Artikel Uhls – den er gar für gut befand. Dies revidierte er literarisch, indem er seine Bewunderung für ihre Arbeit in Inferno – das Ergebnis einer düster-depressiven Lebensphase – in Verachtung umkehrte. So nachzulesen im Briefwechsel, den Buchmayr durch Expeditionen ins Marbacher Literaturarchiv zusammen tragen konnte. Ein Nachweis mehr zu Strindbergs Wankelcharakter.
Nun lässt sich Strindberg schwerlich als Opfer des Zeitgeists verorten, dafür war er zu sehr Schöpfer, Macher, gar Täter. »Ohne zu sehr psychologisieren zu wollen«, attestierte die Autorin und Filmbiographin Lena Einhorn Strindberg einen notorischen Zwang, sich selbst wie seine Mitmenschen in sprunghafter Abfolge zu glorifizieren und zu destruieren. Das Leben zwischen cholerischem Ausbruch und winselnder Liebesbedürftigkeit gleiche einer unredlichen Mischung aus Größenwahn und dem, was Einhorn als ein Schuldigsein-Gefühl übersetzt. Das verwirre und fasziniere gleichermaßen, stolpere man doch immer wieder über die Frage, welchen Menschen, welche Wahrheit man denn nun suchen solle. Hier gebietet der schwedische Experte Meidal Einhalt: Was die Wahrheitssuche denn bringen würde, außer mehr Fragen als Antworten aufzuwerfen. Einen Ausweg aus der biographistischen Aporie böte ohnehin nur die Annäherung an den Literaten, dessen Anschauungen sich am besten über die schriftstellerischen Produktionen ablesen ließen. Aussagen zu Strindberg also bitte nur in Bezug auf seine Kunst. Aber kann man Kunst von Künstler trennen? Kann man Strindbergs Leben anhand seiner Werke nachzeichnen oder umgekehrt, gestatten neue Erkenntnisse über einen Autor neue Zugänge zu seinen Texten? Qu`est-ce qu`un auteur?
Man kann es angehen, wie der Germanist Friedrich Buchmayr, der gleich vier verschiedene Strindbergbilder in seinem Buch Madame Strindberg oder die Faszination der Bohème anbietet. Oder man schlägt versöhnlich Licht ins Dunkel autortheoretischer Diskurse, wie Lena Einhorn, die nahezu das perfekte Schlusswort in die Runde wirft: »The novel is the only way to get close to a person. Maybe you never get the truth, but you get as close as you can get.«