Katharina Köller, Alexandra Riedel und Hengameh Yaghoobifarah erzählen in ihren thematisch unterschiedlichen Debütromanen von Verlust, Identität und Familie. Beim Debütant*innenball im Literarischen Zentrum Göttingen stellen die Autor:innen ihre Bücher vor.
Von Jana Schaefer
Triggerwarnung: Krankheit, Suizid, Verlust
Was haben eine einsame, vom Meer umspülte Insel, eine Beerdigung im Familienkreis und der Verlust der eigenen Schwester gemeinsam? Den Protagonist:innen der drei vorgestellten Debüts wird jeweils buchstäblich der Sand unter den Füßen weggespült. Am Freitagabend, 28. Mai 2021, wurden über einen Livestream die Erstlings-Romane der Autor:innen Katharina Köller, Alexandra Riedel und Hengameh Yaghoobifarah beim Debütant*innenball des Literarischen Zentrums Göttingen vorgestellt. Das etablierte Format moderierte an diesem Abend Tanita Kraaz.
Konstellationen
Die Sprache in dem vorgetragenen Abschnitt ist reduziert, die sprachlichen Bilder muten dagegen opulent an, eine gutbürgerliche Familie an einem reichgedeckten Tisch, überhangen von »verwurmten Kirschen«. Maden fallen aus den Ästen auf den Tisch, in die Suppe, sie werden ignoriert, so wie der Hintergrund um Gustav. Ein Buch über Familienkonstellationen, Liebe oder eben auch das Fehlen von Liebe.
I crossed the ocean / For a heart of gold / I’ve been in my mind / It’s such a fine line / That keeps me searching / For a heart of gold
Kraaz spielt den Song Heart of Gold des Sängers Neil Young und leitet damit über zu Köllers Roman Was ich im Wasser sah. Ihr erster Roman handelt von Klarissa, die nach ihrer Brustkrebserkrankung aus der Stadt zu ihrer Familie auf ihre Heimatinsel Ei zurückkehrt. Ihr Vater besitzt dort ein Gasthaus, das früher einmal Zur schwankenden Weltkugel hieß, in dem Klarissa nun wieder zusammen mit ihrer Schwester Irina arbeitet. Und Klarissas Welt schwankt, seitdem sie wieder auf die Insel zurückgekehrt ist. Sie muss sich in ihr altes Leben neu einfügen, in die neue Realität, sich von ihrem teils selbstzerstörerischen Lebensstil erholen, aber auch von ihrer Krankheit. Sie hat sich einer Mastektomie unterzogen, auf ihrem Brustkorb prangt jetzt das Tattoo eines Oktopus. Dieses Motiv findet sich auch auf dem Bucheinband wieder.
Sie war kein Mädchen und kein Mensch. Aber jeder Fisch kann gefangen werden.
Köller liest voller Emotionen, sie wird lauter und leiser, singt fast, spricht schneller und dann wieder ganz langsam. Sie wiegt sich in ihrem Text, die Worte dabei hart und klar. Kraaz ist erfreut über die Wahl der Textstelle, da genau hier der ausgewählte Song von Bob gesungen wird. Sie diskutiert das Gefühl der Bedrohlichkeit, die von dieser Szene ausgeht, die Eifersucht, die aus Klarissa spricht. Autorin und Moderatorin mögen beide das Lied, sehen es gleichzeitig als Metapher. Köller antwortet auf die Frage, ob sie sich das bildstarke Lied bewusst rausgesucht habe, dass es ihr »zugeflogen« sei.
Der Text beschäftigt sich neben Klarissas Suche nach ihrer veränderten Identität auch mit Themen wie Umwelt oder der Verlust der Heimat. Das fiktive Unternehmen Starfish möchte die Insel zu einem Windpark umfunktionieren, Grüne Energie für alle, doch die Inselbewohner:innen müssen ihre Heimat deshalb verlassen. »Verpflichtung zur Selbstlosigkeit«, sagt Kraaz dazu. Der gesamte Text lebt von einer unterschwelligen Gefahr, die der:die Leser:in anfangs nicht bestimmen kann. Klarissa fühlt sich nicht sicher in ihrem Leben und ihrem Körper, nimmt Bob als eine Bedrohung wahr. Neben den persönlichen Gefährdungen schwebt das undurchsichtige Unternehmen Starfish, das Klarissa erneut zu einer Heimatlosen machen könnte.
Ankommen in der FremdeAuch zur letzten Lesung wird mit einem Song hingeleitet, Not Gonna Get Us von T.A.T.U. Ministerium der Träume handelt von der aus Teheran stammenden queeren Nas, deren Schwester Nushin angeblich bei einem Autounfall verunglückt ist. Sie ist überzeugt, dass es sich um Suizid handelt. Sie nimmt daraufhin ihre Nichte bei sich auf und fängt an, den Tod ihrer Schwester zu untersuchen. Der Roman wird auf zwei Zeitebenen erzählt, Nas und Nushins Jugend in der Stadt Lübeck der 90er Jahre und Nas‘ Leben in der Gegenwart. Die Handlung wird immer wieder von Songtexten unterbrochen, die Playlist ist bei Spotify unter demselben Titel wie der Roman zu finden.
Kraaz beschreibt das Erstlingswerk als »queeren Berlinroman und Coming-of-Age-Geschichte«, die nahtlos ins Berliner Nachtleben übergeht. Dennoch zeichne sich der Roman durch eine Spannung aus, die sonst nur in Kriminalromanen zu finden ist. Die Themen Trauer, Heimat oder vielmehr Heimatlosigkeit und Migration werden hier verwoben, bilden ein Geflecht, dessen Entwirrung dem:der Leser:in viel Vergnügen bereitet.
Durch das Streaming-Format kann sich jede:r drei Lesungen ins Wohnzimmer holen, allerdings kommen die Autorinnen so leider nicht untereinander ins Gespräch, so wird Yaghoobifarah per Webcam zugeschaltet. Einzige Gesprächspartnerin ist somit Kraaz, die durch geschicktes Nachfragen den Verfasser:innen Details zum Schreibprozess und der jeweiligen Handlung entlockt. Die gemeinsamen Themen der drei Romane sind hierbei der Verlust, die Suche nach der eigenen Identität und die Anpassung an Familienkonzepte. Auch wenn die Zuhörenden nicht beieinander in einem Raum sitzen, ist der Debütant*innenball trotzdem eine schöne Erfahrung. Die Veranstaltung lädt zum Diskutieren und Nachdenken ein – auch vom heimischen Wohnzimmer aus.
Tanita Kraaz ist ehemalige Redaktionsleiterin von Litlog.