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Verspottet?

Ein Bestseller, der Historie mit Fiktion und Satire vermischt: Timur Vermes’ Er ist wieder da erweckt Adolf Hitler im Berlin des Jahres 2011 wieder zum Leben. Leider. Oder doch lustig? Eliza Hentschel über einen ambivalenten Leseeindruck zwischen verharmlosender Verspottung und perfider Polemik.

Von Eliza Hentschel

Er ist wieder da! In seinem Bestseller Roman lässt Autor Timur Vermes den Diktator des Deutschen Reiches, Adolf Hitler, ins Berlin des Jahres 2011 zurückkehren. Durch die Ich-Perspektive begleitet der Leser sein Leben und seine Sicht auf die heutige Zeit. Ausgangspunkt: Nach seinem Selbstmord im April 1945 erwacht Hitler plötzlich auf einer Parkbank in Berlin Mitte. Für den einstigen Diktator ein Schock. Weder seine Umgebung erscheint ihm vertraut noch kann er sich an die vergangenen 66 Jahre erinnern. Auf der Suche nach bekannten Anhaltspunkten in der Stadt kommt er an einem Kiosk vorbei. Die Zeitungen dort verraten ihm – es ist der 30. August 2011. Durch sein unverändertes Erscheinungsbild weckt er die Aufmerksamkeit des Betreibers. Er bietet ihm eine Unterkunft an. Wo sollte Hitler auch bleiben, sein einstiges Domizil ist verschwunden.

Geblieben ist ihm nur seine Uniform und der Bart. Statt Führerbunker und SS erwarten Hitler Migranten, die neuen Medien und eine Frau als Bundeskanzlerin. Der Kioskbetreiber sowie sämtliche Menschen, denen er begegnet, halten ihn für einen Angestellten der Unterhaltungsbranche. Für Hitler unerklärlich, er ist doch am Leben! An seinen Tod kann er sich selbst nicht erinnern, seinen Selbstmord hält er für eine Unterstellung.

»Ich selbst galt tatsächlich als tot. Es wurde mir unterstellt, ich hätte Selbstmord begangen. Und gewiss, ich erinnere mich, diese Möglichkeit theoretisch im Kreis der Vertrauten erörtert zu haben, und sicher fehlen mir in der Erinnerung einige Stunden einer gewiss schweren Zeit. Aber letzten Endes musste ich nur an mir herabsehen, um die Tatsachen zu erkennen.«

Als Lösung der scheinbar ausweglosen Situation fällt ihm nur eines ein: die Wiederherstellung des Deutschen Reiches mit ihm als Staatsoberhaupt. Um seinen neuen Plan in die Tat umsetzen zu können, muss Hitler einiges aufholen. Voller Abscheu entdeckt er die gestiegene Zahl von Bürgern mit Migrationshintergrund, den Wandel in der Medienlandschaft, das Fernsehen und die Gleichberechtigung der Frauen. Er hat also eine Menge zu tun.

Und genau dabei erweist sich sein altes Ego als hilfreich. Zwar haben sich die Zeiten, jedoch nicht der Führer selbst geändert. Mit seinem Aussehen und seiner unverkennbaren Ausdrucksweise werden schnell die Medien auf ihn aufmerksam. Bei einem privaten Fernsehsender erhält er einen Job als Hitler-Double.

Beim Lesen des Buches entweicht einem manchmal ein Schmunzeln. Vermes‘ Darbietung ist zu treffend, kritisch und ironisch, als dass dieses Buch nicht unterhaltsam wäre. Jedoch drängt sich zugleich die Frage auf: Darf man das? Darf man Hitler einfach wieder in die Gegenwart setzen und ihn durch Berlin wandern und im Internet surfen lassen?

Die allgegenwärtige Gefahr

Ein bedeutsamer Aspekt bei dem Thema Hitler ist der Umgang mit den Folgen, die aus dem Nationalsozialismus entstanden sind. Wichtig ist, dass bei Vermes der Nationalsozialismus nicht verharmlost, im Gegenteil, durch die Erzählzeit und -perspektive umso deutlicher die Gefahren, die vom Dritten Reich ausgegangen sind, verdeutlicht werden. Die Möglichkeit einer Diktatur ist nicht ausgeschlossen, sondern immer noch eine allgegenwärtige Gefahr. So vermischt sich Historie und die Bedrohung, die von totalitären Systemen ausgeht, mit Fiktion und Satire. Weder ist Hitler noch am Leben und noch wird Vermes seine eigenen Gedanken bezüglich Hitler so untergebracht haben, als dass der Roman sie eins zu eins wiedergibt.

Vermes ist wahrhaftig nicht der erste, der die Person ›Adolf Hitler‹ als Unterhaltungsthema aufgreift. Am Anfang der Tradition steht Charlie Chaplin. Bereits 1940 feierte sein Film Der große Diktator die Uraufführung. In der Slapstick-Satire nimmt Chaplin als Diktator Adenoid Hynkel das NS-Regime aufs Korn, obwohl der Zweite Weltkrieg erst in fünf Jahren beendet sein wird. Durch seine Rhetorik verspottet Chaplin den deutschen Diktator. Und auch heute findet man in Comedy-Sendungen wie etwa Switch Reloaded Parodien auf Adolf Hitler. Die Imitationen sind geprägt durch Detailgenauigkeit. Wie etwa Chaplin, der mit seinem Bart, der Uniform, der wilden Gestik in die aufgereihten Mikrophone schreit und sich mit einem Gruß verabschiedet.

Buch-Info


Timur Vermes
Er ist wieder da
Roman
Eichborn Verlag: Köln 2012
396 Seiten, 19,33 €

 
 
Doch Vermes geht weiter. Er ahmt den einstigen Führer nicht nach, indem er beispielsweise eine an Hitler angelehnte Figur durch Berlin schickt. Stattdessen wählt der Autor die Originalperson. Durch das Medium Buch muss Vermes Hitler denken und fühlen lassen. Eine schiere Mammutaufgabe, da der Dikator penibelst auf seine Außenwirkung bedacht war und die Propaganda ihn zu zeigen hatte wie er es anordnete. Die persönlichen Aufzeichnungen und Aussagen, die heute von ihm vorliegen wie etwa in Mein Kampf oder andere handschriftliche oder aufgenommene Bemerkungen, dienten Vermes als Vorlage für sein Buch. Der Autor äußert sich selten in den Medien, dafür umso öfter Christoph Maria Herbst, der das Hörbuch zum Buch eingesprochen hat. In Interviews bekräftigt er, dass Vermes eine ungeheure Recherchearbeit geleistet habe, um diesen Roman zu schreiben. Dies lässt sich gut nachvollziehen, wenn man sich beispielsweise Zitate Hitlers aus Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier durchliest. Die Ähnlichkeit und Authentizität ist bei Vermes also definitiv gegeben.

»Aber hier galt es dem Groll Einheit zu gebieten, streng an den gerechten Zorn von der blinden Wut zu scheiden. So wie das Volk zu seinem Führer stehen muss, so muss auch ein Führer zu seinem Volke stehen. Der einfache Landser hat unter der richtigen Führung noch stets sein Bestes gegeben, kein Vorwurf ist ihm zu machen, wenn er nicht treu ins feindliche Feuer marschieren kann, weil feiges, pflichtvergessenes Generalsgesindel ihm den ehrlichen Soldatentod unter den Stiefeln wegkapituliert.«

Trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen tritt unweigerlich die Komik des Buches zu Tage. In unserer heutigen Zeit spricht niemand mehr so altertümlich wie Hitler es tut. Wenn Hitler auf Menschen triff, die bei seinem Anblick »Ey, Alter, kiek ma! Ey, wat’n det für’n Opfa?« ausrufen, bleibt das Lachen nicht aus. Doch auch die Gedankenwelt des Fanatikers wird von Vermes treffend verspottet. Für Hitler signalisieren freizügig gekleidete Frauen ihr »Bestreben der Partnerwahl zur gemeinsamen Familiengründung« und ein Straßenarbeiter, der trotz eines Sturms Laub mit einem Laubpuster entfernt, stellt für ihn das Paradebeispiel an Befehlsausführung dar und ist »der glühende Atem des Nationalsozialismus«.

Intim, ohne Distanz

Bis hierhin wäre der Roman Er ist wieder da nur ein weiterer Ansatz einer Hitler-Persiflage. Doch mit seinem Roman schafft Vermes eine andere Art Auseinandersetzung mit Hitler als Person. Der Leser ist gezwungen, sich auf die scheinbare Gedanken- und Gefühlswelt des Führers einzulassen. Für uns ist Hitler heute eine Schreckensgestalt aus Geschichtsbüchern und Fernsehdokumentationen. Konfrontiert werden wir zwar heute immer noch mit einem Hitler. Doch genau hier liegt der Ansatz von Vermes. Obwohl der Holocaust und Hitlers Untaten noch in der Gegenwart in der Diskussion sind, bleibt Hitler doch eine Person der Vergangenheit. Ohne die Distanz, liest man nun aus der Ich-Perspektive den vermeintlich echten Adolf Hitler auf einer persönlichen und sehr intimen Ebene. Vermes gelingt durch seine intensive Recherche eine solche Authentizität, sodass man schnell vergisst, dass es nicht wirklich Hitler ist, der dort schreibt.

Darüber hinaus schafft Vermes etwas noch Perfideres. Die Person Hitler steht in einem zu Recht so negativen Bild, dass niemals in unserer Gesellschaft etwas Positives über ihn gesagt wird. Und genau solch eine Person übt Kritik an unserer Gesellschaft! Der Kritiker, der eigentlich selbst unter Kritik steht, bemängelt unsere Öffentlichkeit und hat damit auch noch recht oder trifft zumindest einen wunden Punkt. So wie Hitlers Beobachtungen über die Tageszeitung BILD. Oft steht diese samt ihrer Leserschaft in der Kritik. Die Zeitung als solche sei zu polemisch, übertreibend und sensationsgeil, ihre Leser bildungsfern. Das Kennzeichen der Zeitung, ihre großen Überschriften, die Aufmerksamkeit erregen sollen, wird von Hitler aber als bloße Sehhilfe aufgefasst.

»Die ersten Stunden am Kiosk gehörten den einfachen Arbeitern und den Rentnern. Sie redeten nicht viel, kauften Rauchwaren, die Morgenzeitung, vor allem eine Zeitung namens ›Bild‹ war sehr beliebt, gerade auch bei den Älteren, ich nahm an, weil der Verleger eine unerhört große Schrift bevorzugte, damit auch Menschen mit Sehschwäche nicht auf Informationen zu verzichten brauchten.«

Allerdings geht die Kritik nicht nur von Hitler selbst aus. Seine Erfolge, die er in der Gegenwart verbuchen kann, sind erschreckend. Durch die neuen Medien gewinnt er immer mehr an Popularität und erweckt sogar Sympathien in Politikerkreisen. Das Undenkbare, dass der Diktator auch heute wieder in die Tagespolitik einsteigen kann, wird möglich. Ein erschreckendes Lesebeispiel, das zwangsläufig einen anderen Blick auf uns und unsere Gegenwart schafft. Er ist wieder da ist mehr als nur Comedy. Man lacht nicht nur über Hitler, so wie man es sonst aus gängigen Verspottungen kennt. Auf einmal lacht man mit ihm beispielsweise über die Bild-Zeitung und über unsere Gesellschaft. Ein sehr perfides Unterfangen Vermes‘, bei dem man manchmal nicht so recht weiß, wie einem geschieht. Trotz der Komik des Buches vermittelt der Autor vehement, welchen Gefahren unsere Gesellschaft immer noch ausgesetzt sein könnte. Er ist wieder da geht weiter als eine Satire über eine einzige Person, der Roman regt zum Nachdenken an und verdeutlich die Empfänglichkeit einer für uns so unwahrscheinlichen, aber dennoch nicht ausgeschlossenen Indoktrination unserer Gesellschaft.



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 Veröffentlicht am 11. April 2013
 Kategorie: Belletristik
 Bild via pixabay.
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 Ein Kommentar
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Ein Kommentar
Kommentare
 Janosch Ponell
 24. Juni 2014, 07:07 Uhr

Ein guter Artikel, weiter so Frau Hentschel.
Gruß Janosch

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