Harte Rocker, zarte Virtuosen und eine atemberaubende Diva zum Abschluss: Das Göttinger Jazzfestival fand dieses Jahr zum 37. Mal statt. Der musikalische Höhepunkt 2014 trieb uns die Schamesröte ins Gesicht – China Moses, wir sind verfallen, wir sind verliebt!
Von Christian Dinger und Florian Pahlke
Das Göttinger Jazzfestival fand dieses Jahr zum 37. Mal statt – ganze 30 Mal konnte dabei auf die Räumlichkeiten des DT zurückgegriffen werden, wo mittlerweile schon traditionell der Abschluss und Höhepunkt des Festivals stattfindet. Wie traditionsbehaftet das Festival sich dabei gibt, fällt schon dadurch auf, dass im Flyer zum diesjährigen Programm die Räumlichkeiten noch immer als Großes Haus, DT-Keller sowie Studio bezeichnet werden, anstatt die manchmal schon fast bemüht jugendliche Neuerung des DT aufzugreifen und von DT-1, -2 und -X zu reden. So gar nicht traditionell hingegen zeigt sich zu Beginn der Veranstaltung das Trio um den schwedischen Jazz-Pianisten Jacob Karlzon. Viel mehr bietet es einen Anfang, der gleichsam komplex wie auch voller Energie ist und das Publikum von der ersten Minute an in seinen Bann zieht: Die archaischen Laute, die Drummer Robert Mehmet Ikiz am Schlagzeug und an den Percussions erzeugt, verbinden sich mit dem lyrischen Spiel von Karlzon und Hans Andersson am Kontrabass und der von Zeit zu Zeit einsetzenden elektronischen Hintergrundmusik.
Ein Zusammenspiel, das Aufmerksamkeit verlangt, aber auch Aufmerksamkeit erzeugt, weil es lebendig ist und voller Überraschungen. Immer wieder wechseln sich Schlagzeug und Klavier dabei ab, den Rhythmus vorzugeben, zu verändern und die Musik immer weiter voranzutreiben. Antrieb ist tatsächlich auch das Wort, was die Performance am besten beschreibt. Das – im Gegensatz zu den CD-Aufnahmen – nahezu omnipräsente Schlagzeug verleiht der Musik im Zusammenspiel mit Karlzons filigranem, fast schon tänzelndem Klavierspiel zu jeder Zeit so viel Lebendigkeit, dass die Zuhörer mehr als einmal enthusiastisch Beifall spenden, wenn überraschende Soli sich Bahn brechen und Karlzon und Band zeigen, dass Jazz auch performativ sehenswert ist.
Zaghafte TanzbewegungenWeniger ausufernd und kraftvoll und dennoch nicht minder spannend zeigt sich im Gegensatz dazu die Band Rahalla, welche im DT-Keller die leisen Klänge der Jazzmusik präsentiert. Viele kleinteilige Arrangements, die durch die sehr präsente Geige, gespielt von Justin Ciuche, geprägt werden, schaffen in Verbindung mit der durch Hossam Shakers Zither nahezu osteuropäische Klänge, die zum Tanzen einladen. Hier zeigt sich nun auch der größte Nachteil an den ansonsten sehr schönen Räumlichkeiten des DT: Selbst in Situationen, wo das Publikum mitgehen will, erweisen sie sich nicht gerade als wirklich praktikabel. Waren es im Großen Haus die roten Stoffsitze, in die das Publikum tief einsank und sich somit meist nicht viel mehr als zu Beifall oder rhythmischen Kopfbewegungen durchrang, ist es im DT-Keller der beengte Platz, der selbst zaghafte Tanzbewegungen schnell wieder im Keim erstickt. So bleibt es nur die Kellnerin hinter der Bar, die in ruhigeren Minuten zur Musik tanzt.
Wesentlich lebendiger geht es derweil im DT-Studio zu. Dort heizt die Band Tres Sapos Clandestinos mit rockigen Klängen dem Publikum ordentlich ein. Ein Kompliment muss man den Veranstaltern an dieser Stelle definitiv zur guten akustischen Nutzung der einzelnen Räumlichkeiten aussprechen, die somit ein wenig über ihre Unbetanzbarkeit hinwegtrösten können. Vor allem die Aufteilung der kleineren Gruppen auf den Keller und das Studio erscheinen äußerst gelungen und kommen der jeweiligen Akustik durchaus zugute. So gut Rahalla zuvor in den DT-Keller passte und die dortige Bar-Atmosphäre musikalisch gekonnt aufgriff, zeigen die E-Gitarren von Tres Sapos Clandestinos im wesentlich schlichteren DT-Studio die härteren Seiten des Jazz auf, die sich in der doch etwas kargen Umgebung gut entfalten können.
Dann ist es endlich soweit: China Moses ist da! Die Tochter der legendären Jazz-Diva Dee Dee Bridgewater tänzelt mit ihren Stöckelschuhen über die Bühne, in der Hand schwenkt sie lasziv ein Rotweinglas und sagt »Guten Abend« − schon liegen ihr die Zuschauer zu Füßen. Auch wenn das Publikum in norddeutsch-protestantischer Manier weiterhin in seinen roten Theatersesseln klebt und sich kaum traut mit dem Kopf zu nicken, geschweige denn die Hand zu heben, wenn China Fragen ans Publikum richtet, so verzaubert die Sängerin alle dermaßen, dass mindestens die Hälfte des Saals sich binnen weniger Minuten in die Diva verliebt. Das ist natürlich nicht zuletzt auch ihrer Stimme geschuldet, die kräftig ist und zart zugleich und den Vergleich mit ihren großen Idolen wie Dinah Washington nicht zu scheuen braucht. Doch auch ihre Cover-Versionen von Hot Stuff, Move Over oder I just wanna make love to you sind mehr als nur Hommages an die Originale, sie sind eigenständig und modern, was nicht zuletzt der Verdienst der Band, bestehend aus Pierre Bauzerand (Klavier), Alexander Davis (Bass), Shaney Forbes (Schlagzeug) und Luigi Grasso (Saxophon), ist, die mit gekonnten Soli die Songs verfeinern.
Wie erprobt die Musiker sind, zeigt sich darin, dass sie sich auch dadurch nicht aus der Ruhe bringen ließen, dass zu Beginn einige Tonprobleme vorkamen, sodass mehrmals nachgeregelt werden musste. Gekonnt überspielten sie diese, und wenn auch das nicht half, hatte China Moses immer eine kurze Geschichte aus ihrem Leben parat, die sie spontan vorzutragen wusste. Ganz der Musik entsprechend ging es auch in diesen Geschichten, mit allerlei Zweideutigkeiten gespickt, um (zumeist körperliche) Liebe. China Moses, die Musik, einfach der gesamte Auftritt sind letztlich ein gelungener Abschluss für das Jazzfestival 2014 – was auch vom Publikum mit begeisterten Ovationen honoriert wird.