Mit viel Gekurbel, Gekletter, Geschiebe und Gerolle stellt sich das DT der Herausforderung, einen Spionage-Thriller in zwei Stunden mit vier Schauspielern und einer Handvoll Requisiten auf die Bühne zu bringen. Magdalena Kersting beschaute Patrick Barlows Hitchcock-Adaption Die 39 Stufen und findet: Der Plan geht auf.
Von Magdalena Kersting
Hört man den Namen Hitchcock, denkt man an gruselige Thriller von nervenaufreibender Spannung. Patrick Barlow hat mit Die 39 Stufen, einer Adaption des gleichnamigen Hitchcock-Spionage-Thrillers, die jetzt im Deutschen Theater läuft, eine ganz eigene Interpretation des klassischen Filmmaterials geschaffen. In seiner 2005 in England uraufgeführten Vier-Personen-Farce übertritt er leichtfüßig den Graben vom Ernsten ins Komische und feiert seitdem mit seiner Kriminalkomödie u.a. in London und am Broadway große Erfolge.
Im Zentrum der Handlung steht Richard Hannay, ein gelangweilter Kanadier im London der 30er Jahre, dem bei einem Theaterbesuch erst Kugeln um den Kopf und in dem daraus entstehenden Tumult eine schöne Dame in die Arme fliegen. Er rettet sich mit ihr nach Hause und die Dame stellt sich als Agentin Annabella Schmidt vor. Zwei Spione seien ihr auf den Fersen, denn sie sei einer Verschwörung auf der Spur: Der nebulöse Geheimring der 39 Stufen soll ein Staatsgeheimnis gestohlen haben, das keinesfalls außer Landes gelangen dürfe. Sie vermutet den Anführer des Rings in einem Dorf in Schottland – er soll an dem fehlenden Glied seines kleinen Fingers zu erkennen sein. Aber ehe Hannay weiteres erfährt, liegt die geheimnisvolle Lady mit einem Messer im Rücken tot in seiner Wohnung. Nun beginnt eine rasante Doppeljagd: Hannay, der jetzt von Scotland Yard als vermeintlicher Mörder von Annabella gesucht wird, nimmt seinerseits die Spur ins schottische Hochmoor auf, um den Kopf der Verschwörung zu stellen, eine internationale Krise abzuwenden und seine Unschuld zu beweisen.
Absurde und atemlose Verkettung von EreignissenFür das Deutsche Theater neu interpretiert wurde das Stück von Michael Kessler, der von Intendant Mark Zurmühle im Frühjahr dieses Jahres eingeladen wurde, in Göttingen eine Komödie zu inszenieren. Kessler, den viele aus Film und Fernsehen (Switch, Schillerstraße) kennen, hat Erfahrung mit der erfolgreichen Vermittlung von Witz und Humor. Deshalb lautet sein ausgezeichnetes Ziel auch: »Die Leute sollen lachen, sich amüsieren und einfach einen lustigen Abend haben.«1
Das Vorhaben, einen Spionage-Thriller in zwei Stunden mit vier Schauspielern und einer Handvoll Requisiten und Kostümen auf die Bühne zu bringen, scheint von Anfang an zum Scheitern verurteilt und gerade deshalb geht Kesslers Plan auf: Mühelos wird der Zuschauer vom nostalgischen Swing der 30er Jahre in das England dieser Zeit versetzt. Nebelschwaden wabern über die spärlich eingerichtete Bühne und suchende Scheinwerferkegel lassen keinen Zweifel, dass wir uns in einer Kriminalgeschichte befinden. Hektisch bewegen sich die Schauspieler auf der Bühne – slapstickartig kosten sie jeden Moment genüsslich aus, wechseln von einer Sekunde zur nächsten in eine andere Rolle, in eine andere Szene.
Die schnelle und waghalsige Abfolge der Übergänge, die skurrilen Orte im schottischen Hochmoor, die urigen Personen, mit denen Hannay auf seiner Flucht konfrontiert wird, die ständige Bewegung auf der Bühne, das Gekurbel, Gekletter, Geschiebe und Gerolle beinhalten in dem offensichtlichen Missverhältnis zwischen dem gesetzten Vorhaben und den vorhandenen Mitteln bereits eine immense Situationskomik. Die Figuren wechseln selbstironisch mit einem Augenzwinkern ihre Identitäten wie Hüte, changieren fließend zwischen Charakteren und Geschlechtern, bilden gar selbst Ersatz für fehlende Requisiten – ein Dornbusch, ein Telefon, ein Zug, in atemberaubendem Tempo ist nichts unmöglich. Diese beeindruckende Leistung wird oft und gern vom Publikum mit Zwischenapplaus gewürdigt, genauso oft wird geschmunzelt, gelacht und gejohlt. Der Humor ist derb, oft überdreht, aberwitzig, aber immer auf den Punkt, auf die Sekunde genau.
Das Fenster zum HofDie absurde und atemlose Verkettung von Ereignissen hält den Blick des Zuschauers gebannt auf der Bühne, nichts ist voraus zu sehen, alles ist offen. Oft brechen die Schauspieler für einen Moment mit der Handlung, treten einen Schritt aus dem Stück heraus, fordern mehr Platz für ihren großen Auftritt oder kommentieren mokant ihr eigenes Handeln. Gekonnt wird immer wieder auf andere Hitchcock-Klassiker angespielt und so bleibt Hannay auf seiner Flucht vor der Polizei als einziger Ausweg nur noch ›das Fenster zum Hof‹.
Doch nicht nur die Schauspieler selbst nehmen sich nicht allzu ernst, auch das Publikum wird ordentlich aufs Korn genommen. So sucht Hannay eine »stumpfsinnige« Beschäftigung, bei der man »nicht nachdenken« müsse und entscheidet sich für einen Theaterbesuch und zwei vermeintliche Polizisten durchleuchten im dunklen Saal die Zuschauerreihen und stellen lapidar fest »Alles voller Schafe« hier.
Nach minutenlangem Applaus für Schauspieler und Regisseur geht man nach diesem kurzweiligen Abend mit einem beschwingten Schritt nach Hause. Kessler hat zweifellos sein Ziel erreicht. Und das Publikum hat gelernt: Hitchcock geht auch lustig!