Kleiner Raum, kleine Besetzung, aber großes Spiel: Mit seiner diesjährigen Produktion zeigt der English Drama Workshop in der Notaufnahme des ThOP unter Leitung von Tim Howell ein Stück, das vordergründig zum Lachen, jedoch auch zum Nachsinnen über Gut und Böse in der Welt einlädt, ein Stück, dem es an Aktualität nicht mangelt.
Von Antje Dreyer
Zwei Männer – Man One (Luke Slager) und Man Two (Karin Reilly) – leben in der träumerisch-idealen, gar paradiesischen Welt einer Orange, einer Welt voller Glück, Freude und Liebe. Ihre gemeinsam verlebten täglichen Abenteuer, ihre Spielereien und Neckereien werden jedoch von dem Eindringen des Bösen in diese Harmonie gestört: Ein Albtraum, von einem Eindringling in die Welt getragen, versetzt Man One in Angst und stellt die beiden vor die Aufgabe, die Quelle dieser Angst zu finden…
Daniel Hamiltons Jugendwerk Love Stories During the Armageddon of a Citrus Fruit (Uraufführung 2002, Albuquerque, New Mexico, U.S.) ist eine detailreiche Parabel über das menschliche Handeln unter dem Einfluss von Furcht und Angst. Fast strukturalistisch wirkt die schematische Gegenüberstellung von Dualismen, die sich nach und nach als zentrales Moment der Handlung etabliert. Im Theater im OP entführt Tim Howell mit seiner Inszenierung das Publikum geschickt aus der unsrigen in die fiktive Orangen-Welt, die zuvor in Außenansicht auf einem kleinen Tisch im Zentrum der Bühne dargestellt wird.
»A nightmare. – A vision.«
Das gesamte Stück ist von »word associations«, einem der Lieblingsspiele von Man One und Man Two, durchzogen, mit deren Hilfe sie dem spartanisch ausgestatteten Bühnenraum ein bestimmtes Ambiente implementieren: Willkürliche Verbindungen etwa zwischen
Man Two (Karin Reilly) verwirklicht sich in der Orangen-Welt
Immer wieder wird die Harmonie der scheinbar begrenzten Welt betont, »peace and quiet it is«, bis schließlich eines Nachts Man One von dem Bösen auf der Bühne heimgesucht wird. Der Wissenschaftler J. Robert Oppenheimer (Richard Varela) und seine unheil- und zunächst auch für den Zuschauer geheimnisvolle Errungenschaft Cthulhu (Annika Langner) lösen in Man One etwas aus, was es 4325 Jahre so nicht mehr in der Welt der Orange gab: einen Albtraum. Fast schon stereotyp scheint das Unheil durch das schwarze Monster mit seinen drei grünen Augen personalisiert. In inszenierungstypischem Gegensatz die Kleidung des vermeintlich bösartigen Oppenheimers: beiger Mantel, beige Hose – kurz: hell. Weitere Oppositionen etablieren sich, werfen Fragen in dem sich aufschaukelnden Gespräch zwischen Man One und Man Two auf und zuletzt stehen sich beide in einem »word association« – Duell, in einem »dualism« von Gut und Böse gegenüber.
»We knew paradise once, but you were too afraid to stay there.«Die »Love Stories« – Liebe zu seinen Freunden, zu seiner Welt – lockern die Problematik um das schwer deutbare Armageddon zwar auf, jedoch wird dem Publikum aufgrund der zahlreichen Anspielungen auf Momente der Versuchung, selbst gottgleich zu werden (angefangen im Paradies bei Adam und Eva über die Pyramiden und den Turmbau zu Babel bis zu Erzählungen von Prometheus) eine scharfe Beobachtungsgabe abverlangt. Durch die herausragende schauspielerische Leistung besonders von Karin Reilly und Luke Slager werden dem Zuschauer glücklicherweise Anhaltspunkte gegeben, wird man doch in einigen Momenten durch die vierte Wand hindurch direkt angesprochen, auf zentrale Beobachtungen wie etwa die Form des Baumes in der mysteriösen Nachricht Oppenheimers hingewiesen sowie zum Nachdenken über Richtig und Falsch angeregt. Ein herausragender Diskurs von Man One etwa darüber, wie das Böse in die Welt gelangt, zeichnet den verirrten Selbst(v)erkenntnisprozess desselben nach, der vom Probieren der verbotenen Frucht aus dem Paradies gestoßen und trotz seiner Angst – oder gerade aufgrund derselben – das Böse zu seinem Schutz erwählt.
Man One (Luke Slager) im Bann des Bösen
Kurze, rasche Szenen, in denen immer wieder neue Themen mit unbestimmter Offenheit aufgegriffen werden, sind durch musikalische Einspielungen von Jazz-Melodien bis zu starkem Beat des auf der Bühne stets präsenten Plattenspielers, der als konstantes Objekt zwischen den Szenen die Leere auffüllt und im Spot des Scheinwerfers steht, komplementiert. Dadurch bleibt dem Zuschauer trotz der fast atemberaubenden Geschwindigkeit des Spiels Zeit, das Wahrgenommene zu verarbeiten und das Puzzle zusammenzufügen. Hilfreich dabei ist auch die fast schon simpel wirkende, jedoch effektive Verwendung des Bühnenlichts: Als das Böse, auf dessen Seite auch Man One gezogen wird, die Oberhand gewinnt, ist der Orangen-Welt ihr farblicher Glanz genommen, ist die Harmonie gestört, konnte das Unvermeidliche nicht verhindert werden: Die Welt des Vaters der Atombombe, Oppenheimers, bricht in das Paradies ein und zerstört dessen schützende Atmosphäre, bis die Welt selbst in kaltes, weißes Licht getaucht wird.
»What are we all?«Angst verleitet Man One schließlich dazu, das Machtpotenzial im Unheilvollen zu erkennen, die Harmonie in Disharmonie umzukehren. Er unterliegt einer Blindheit, durch die er das »Wasteland« nicht zu sehen vermag, das durch das Böse erschaffen wurde. Dem gegenüber steht eine andere Blindheit von Man Two, die jedoch positiv gemünzt ist: Naivität. Der stille Glaube an das Gute lässt ihn nicht der Täuschung erliegen, die die drei Bildschirme am Ende des Stücks mit ihren wechselnden Bildern von einer strahlenden Sonne und dem von Menschhand geschaffenen Feuer vermitteln. Zwei einfache Wanderer in noch einfacherer Kleidung stehen einem Element unserer digitalisierten Welt, einem Stück Aktualität gegenüber, das uns fragen lässt, wozu uns noch heute das Wissen fehlt. Wer sind wir eigentlich? Und in die Arme welches Bösen sind wir versucht zu laufen? Be aware: »Die Geschichte lehrt die Menschen, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt« (Mahatma Ghandi).
Nach der verzweifelten Offenbarung Oppenheimers, nach der Erkenntnis über den Baum des Lebens, nach der Explosion der Atombombe bleibt nur noch das Wasteland zurück, die Verdammung, eine verschrumpelte Orangenwelt. Eine letzte »word association«: »Friend. – Never again.« Grandios.