Bezahlt wird nicht! ist ein Stück des Literaturnobelpreisträgers und Satirikers Dario Fo. Darin spielt er mit Verwechslungen, Übertreibungen, Slapstick und Spontaneität und lehrt das Publikum eine Menge, vor allem aber, wie wichtig das Lachen ist. Das Junge Theater lacht mit.
Von Katharina Lukoschek
Als Dario Fo am 3. Oktober 1974 seine Komödie Bezahlt wird nicht! auf der Bühne des Palazzina Liberty di Milano uraufgeführt sah, ahnten er, das Publikum, aber auch der italienische Politapparat nicht, dass die Ereignisse des Stücks sich kurz darauf erschreckend ähnlich in der Realität wiederholen würden: Menschen stürmen und plündern Geschäfte, die Strompreise werden in einem kollektiven Akt sogenannter »autoriduzione« selbstbestimmt herabgesetzt und die Polizei, Hüter der Ordnung, mischt beim Protest ganz vorne mit. Auch die Regierung, die Fos Stück als »Politphantasie« abtat und seiner Brisanz keinen Glauben schenkte, erfuhr nur einen Monat später in einer fundamentalen Krise einen gehörigen Dämpfer. Die Art des »proletarischen Einkaufs«, Nehmen ohne zu zahlen, war im inflationsbedrohten Italien der 1970er Jahre Wirklichkeit geworden.
Die Bühne ist beflaggt mit einem großen Banner, darauf prangt in goldenen Lettern der Schriftzug »Capitalism must win«. Im Hintergrund verdeckt von der kapitalistischen Schrift liegt ein bescheidenes Wohnklo, Raum für das italienische Paar Antonia und Giovanni (Linda Elsner und Gerrit Neuhaus), der später zum Hauptschauplatz der Handlung wird. Während geradezu anti-programmatisch die Stimme Rio Reisers die linksalternativen Zeilen »Wir haben nichts zu verlieren außer unserer Angst, es ist unsere Zukunft, unser Land« schnarrt, füllt sich das Parkett mit schmalen Damen. Sie sind vollgepackt mit gewaltigen Tüten, nervös, aber bestimmt. Im Hintergrund ertönt eine warnende Trillerpfeife, Poliziotti, die harmlose Variante des Polizeiwesens, laufen wie aufgescheuchte Hühner umher. Ein Kaufhaus in der Nähe ist überrannt worden von einem Mob, der die überhöhten Preise für Lebensmittel einfach nicht mehr einsehen wollte. Der skandierte Wahlspruch bei der Plünderung: »Bezahlt wird nicht!«
Die Frauen zerstreuen sich, die Polizei rennt hinterher. Übrig auf der Bühne bleibt Antonia, die ihrer Freundin und Nachbarin Margherita lautstark von dem Überfall berichtet und zugleich die gestohlenen Lebensmittel im Wandschrank des Wohnklos verstaut. Das Adrenalin pumpt noch in Antonias Körper, als die beiden Frauen feststellen, dass Antonia nicht nur Fusili und Rigatoni in rauen Mengen geklaut hat, sondern auch Hunde- und Kanarienvogelfutter und sogar gefrorene Kaninchenköpfe. Margherita, verkörpert durch Eva Schröer, staunt über die Vorräte und gibt zu »Deinen Mut möchte ich haben!«, woraufhin ihr die resolute Antonia schwesterlich einen Sack Nudeln zusteckt mit der Anweisung, sie solle auch davon profitieren, sich aber mit dem Sack unauffällig aus dem Staub machen. Als Margherita die Nudeln unter ihrer Strickjacke versteckt und mit seltsam dickem Bauch durchs Treppenhaus huscht, begegnet sie dem irritierten Giovanni und die Dynamik der Posse setzt ein.
Margherita sehe auffällig schwanger aus, erzählt Giovanni zu Hause.
Aber ja, aber ja! Sie sei ja auch tatsächlich schwanger, so Antonia nach kurzem Zögern.
Wie? So plötzlich?
Ja doch, sehe man das denn nicht?
Schon, aber wie käme es dazu?
Nun ja, sie habe sich die letzten neun Monate eben bandagiert!
Ach?
Ja doch, ihr Bauch sei eingedrückt gewesen, aber nun habe sie die Bandage abgenommen und Fflllupp sei der Bauch raus geploppt.
Ach!
Linda Elsner lässt keinen Zweifel an der Hemdsärmeligkeit ihrer Figur Antonia. Mit großer Gestik, raumfüllender Rhetorik und einem natürlichen Hang zum italienischen Temperament macht sie Antonia zu einer perfekten Notlügnerin, die ihre spontanen Verschleierungseinfälle derart vehement formuliert, dass ihr später sogar die Polizei glauben wird. Doch das Wichtigste ist, ihren Mann zu überzeugen. Der Idealist Giovanni, der eher das mitgebrachte Hundefutter essen würde, als sich des Diebstahls schuldig zu machen, darf nichts von den gestohlenen Gütern erfahren. Daher scheint eine fingierte Schwangerschaft, und sei der Gedanke noch so abstrus, der bessere Ausweg als die Wahrheit. Unauffällig, aber demonstrativ versperrt Antonia ihrem Mann den Zugang zum Wandschrank, in dem die Vorräte versteckt sind, dessen Tür aber nicht mehr richtig schließt und der bei jeder falschen Gelegenheit aufgehen will.
Die Schwangerschaftsgeschichte nimmt ihren Lauf und Eva Schröer spielt die pseudoschwangere Margherita mit der richtigen Mischung aus Weinerlichkeit und Einfallsreichtum. Als sogar die Carabinieri in den Fall des Massendiebstahls involviert werden und dabei das Haus durchsuchen, in dem die Protagonisten leben, schweißen sich die beiden Frauen aneinander und nutzen ihr ganzes Geschick um durch die vorgetäuschte Schwangerschaft eine Wohnungsinspektion zu verhindern. In ihrer Not bringen die Frauen eines der Vorratsgläser unter Margheritas Jacke zum Bersten und geben vor, ihre Fruchtblase sei geplatzt. Ein Schwall Flüssigkeit samt zweier Oliven ergießt sich zwischen Schröers Beinen über den Bühnenboden und es riecht verdächtig nach Vinaigrette, doch die Inszenierung überzeugt den Chefcarabiniere (Jan Reinartz). Über die neuesten medizinischen Möglichkeiten der Mailänder Kliniken philosophierend, nötigt er die Frauen zur Fahrt ins Krankenhaus. Derweil trifft Giovanni auf Luigi (Peter Christoph Scholz), Margheritas Ehemann, und verkündet ihm die frohe Botschaft des baldigen Familienzuwachses.
Wie, Margherita sei schwanger?, so Luigi konsterniert.
Ja doch! Schon seit Monaten!
Ach? Wie um Himmels Willen das?
Nun ja, sie habe sich den Bauch bandagiert!
So?
Ja, und nun da sie die Bandage abgenommen habe, sei eben der Bauch rausgeploppt. Ob Luigi das denn nicht wisse, verdammt nochmal?!?
Neuhaus und Scholz liefern sich einen von Slapstick und Charakterstärke durchdrungenen Schlagabtausch, der die Zuschauer zum Brüllen bringt. Minuten, nachdem Giovanni das »Fruchtwasser« aufgewischt und mit treudoofer Naivität die beiden Oliven als Teil des Ausflusses in ein Glas verfrachtet hat, erklärt er Luigi die Schwangerschaft von dessen Frau. Dieser bedient sich gleichzeitig am Hundefutter (Hut ab dafür!), liebäugelt mit einem Hasenkopfeintopf und verspeist schließlich unwissend die beiden Oliven, Überbleibsel der Fruchtwasseraktion.
Als die beiden Männer völlig verwirrt von den Ereignissen zum Krankenhaus aufbrechen, ihre beiden Frauen aber zeitgleich wieder nach Hause kommen und der Carabiniere den Schwindel von Antonia und Margherita entlarvt, gipfelt der Klamauk im vermeintlichen Totschlag des Gesetzeshüters durch Antonia. Panisch versuchen die beiden Frauen den Ohnmächtigen wiederzubeleben, doch anstatt ihm Sauerstoff zuzuführen, blasen sie ihn aus Versehen mit einer Wasserstoffflasche zur männlichen Schwangeren auf und der Special Effect des beträchtlich angeschwollenen Bauchs bei Jan Reinartz entlockt dem Publikum herzliche Lachtränen.
Die Schauspieler sind am Premierenabend harmonisch aufeinander eingestimmt, der Humor des Stücks beflügelt die Truppe und Wortwitze und Pointen fügen sich auf natürliche Weise zu einer ausgesprochen gelungenen Komödie. Daneben sind zahlreiche Anspielungen auf die heutige Situation eingebaut worden, die überhaupt nicht künstlich wirken, im Gegenteil: Drei Carabinieri stürmen die Wohnung, der erste stellt sich als Chef vor, der zweite ist Carabiniereschüler und schlägt die Hacken zusammen, der dritte vollführt darüber hinaus einen Hüpfer und seine Stimme überschlägt sich fast beim eifrigen Ruf »Und ich mache ein Praktikum!« Elsner und Reinartz sächseln mitunter gekonnt vor sich hin, wobei sie den Bezug zur steten wirtschaftlichen Stagnation in Ostdeutschland herstellen. Und schließlich ist es ein weiterer Ton Steine Scherben-Titel, Keine Macht für Niemand, der seit der Bankenkrise wieder des Öfteren in den Ohren nachklingt und mit dessen Rezitation der Kreis geschlossen wird. Am Ende wird erneut das Banner in den Vordergrund gezogen, doch diesmal wird der Teil mit dem Wort »capitalism« weggelassen. An dessen Stelle stehen die Protagonisten mit schmollend verschränkten Armen vor der Brust und malen auf diese Weise ein Sinnbild für den ursprünglichen Gedanken einer Gesellschafts- und Wirtschaftstheorie mit agitatorischem Impetus: Am Anfang wie am Ende steht zwar das Wohl der Menschen im Mittelpunkt – ein »We must win!« Doch zwischenzeitlich, ob nun im (neoliberalen) Kapitalismus, im krassen marxistischen Sozialismus oder in einer ideologisch ausgerichteten Klassengesellschaft, bleibt der Mensch, der eigentlich davon profitieren sollte, auf der Strecke und der Grundgedanke verselbstständigt sich zum Mantra. Was dagegen hilft, ist einzig das Lachen. Dario Fos Wahlspruch lautete: »Die Macht, und zwar jede Macht, fürchtet nichts mehr als das Lachen, das Lächeln und den Spott.« Nun, im Jungen Theater wurde an diesem Abend sehr viel gelacht.