Kürzlich trat Jürgen Elsässer, Chefredakteur des Querfront-Magazins Compact, in Northeim bei Göttingen auf, um für Björn Höcke, bekannt für seine völkischen Aussagen, zu werben. Nun hat der Unrast-Verlag eine Arbeit veröffentlicht, die nicht nur Compact, sondern auch den Kontext des Magazins betrachtet.
Von Anna-Lena Heckel
»Kalifat BRD«, »Putin stellt westliche Heucheilei bloß – Merkel schaut zu«, »antideutsche Medienmeute dreht durch«: In diesem Stil titelt das Compact-Magazin. Chefredakteur ist Jürgen Elsässer, der sich einst als Teil der bundesdeutschen Linken verstand und heute eindeutig im rechten Lager zu verorten ist. Er stellt eine, wenn nicht sogar die zentrale Figur der Querfront-Bewegung dar und unter diesem Stern steht auch sein Magazin. Querfront eignet sich scheinbar »linke« Themen an und versucht, diese mit »rechten« Inhalten zu füllen. Dabei inszenieren sich Querfront-AnhängerInnen als Masse, die politisch weder »links« noch »rechts« zu verorten sei. Gerade vor dem Hintergrund des aktuellen gesellschaftlichen Rechtsrucks interessiert eine Untersuchung dieser Bewegung.
In Souveränität statt Komplexität von 2016/17 untersucht Felix Schilk nicht nur die Funktionsweise von Compact, sondern verortet seine Analyse in der politischen Legitimationskrise der Gegenwart. So zeichnet er die Geschichte der Dichotomie von politisch »rechts« und »links« mit Grenzen nach und erläutert historische und zeitgenössische Aspekte von Querfront-Bewegungen. Hinzu kommt seine Auseinandersetzung mit Phänomenen wie Verschwörungstheorien, Populismus und der Neuen Rechten. Hier handelt es sich zwar um eine ganze Reihe an Herleitungen und Definitionen, doch verkommt die Beschäftigung nicht zu einem Glossar voller Langeweile; Schilk versteht es, die Phänomene zu verknüpfen und ihre Verwobenheit durch Strukturähnlichkeiten und Verbindungslinien darzustellen.
Es ist nicht bloßes Beiwerk, das der Soziologe mit dieser gesellschaftlichen Bezugnahme schafft. Vielmehr ist die zeitgeschichtliche Kontextualisierung notwendige Voraussetzung für seine leitende These: Er betrachtet das Compact-Magazin als Ausdruck einer gegenwärtigen Legitimations- und Funktionskrise der Gesellschaft. Und so »zielt das Erkenntnisinteresse auf verallgemeinerbare Thesen mit zeitdiagnostischem Wert.« Anschaulicher wird Schilks Verbindung von gesellschaftlichen Fragen mit der Verortung des Magazins Compact mit Blick auf sein Querfront-Verständnis:
Compact als Symptom»Das Phänomen Querfront wird dabei als ein Dispositiv verstanden, das auf einen gesellschaftlichen Notstand reagiert und versucht, Mechanismen zu seiner Bewältigung bereitzustellen. Zugleich dient es hier als Sammelbegriff für diejenigen politischen Akteure, Bewegungen und ihre Publikationsorgane, die für sich beanspruchen, die Kategorien ›links‹ und ›rechts‹ überwunden zu haben und eine andere Konfliktlogik an ihre Stelle setzen.«
Schilk behandelt Compact als »aktuelle[…] Artikulationsform« gesellschaftlicher Verhältnisse. Spätestens bei der Lektüre der dann folgenden Diskursanalyse rentiert sich die theoretische Herleitung zu Beginn, denn die Phänomene werden hier konkretisiert: Populismus, Verschwörungstheorie, die Neue Rechte und einiges mehr stellen sich als im Magazin vertretene Diskurspositionen heraus. Der Autor ordnet diese Positionen diskursiven Kontexten zu, wie etwa »Populismus« dem Kontext »Alternative für Deutschland, PEGIDA«. Punkt für Punkt arbeitet er heraus, wie das Denken in Oppositionen funktioniert. Auf dieser Grundlage folgt die Feinanalyse eines Texts von Jürgen Elsässer über den Reichsbürger Xavier Naidoo, die im Detail nachzeichnet wie (vermeintliche) Argumentation, Semantik und Textstruktur aufgebaut sind:
»Elsässer richtet sich nicht mit intersubjektiv nachvollziehbaren Argumenten an einen kritischen Leser, sondern liefert ein Geflecht von Anspielungen und Codes, auf die jeder seine persönlichen Ressentiments projizieren kann.«
Wo also liegt das Problem? Die Komplexität der Gesellschaft nimmt zu, dem entgegen setzt Elsässer die Forderung nach Souveränität – klingt das denn so schlecht? Ja, das tut es, denn: »Gleichwohl fordern die populistischen Bewältigungsstrategien keine Solidarität, sondern nur die gruppennarzisstische Steigerung ihres Konkurrenzmechanismus«. Hinter der Forderung nach mehr Souveränität verbirgt sich nach wie vor zermürbende Konkurrenz.
Komplexität und KlarheitDie Analyse leuchtet ein. Differenzierte Sprache und Klarheit dienen der Zielstrebigkeit der Arbeit. Tabellen fassen Zwischenergebnisse zusammen und sind dabei gut verständlich und eine sinnvolle Ergänzung zum Text. Wo Schilks Analyse weiter ausholt, dient sie dem Verständnis der komplexen Zusammenhänge ohne ausschweifend zu werden. Er verliert sich nicht in Namedropping oder grundlegenden Debatten, die für seine These irrelevant wären; vielmehr eröffnet sein diskursanalytischer Ansatz eine Perspektive, aus der sowohl die Grundlagen als auch die Verfasstheit des aktuell stattfindenden Rechtsrucks in der Gesellschaft betrachtet werden können.
Im Spektrum von Fragen sozialen Wandels bis zur sprachlichen Feinanalyse von begründenden Konjunktionen bleibt offen, welche Funktion die verschiedenen Medien wie Facebook, das gedruckte Magazin oder von Compact genutzte Videoformate haben. Verändert Onlinekommunikation die Inhalte? Wie stehen gesellschaftliche Komplexität und Kurztexte im Internet zueinander im Verhältnis? Inwiefern hängt der Grad der Komplexität von der Beschaffenheit einer Publikation ab? So bleibt ungeklärt, ob medienspezifisch differenziert werden muss; über allem schwebt die These, dass Komplexität schlicht durch Souveränität ersetzt wird. Nichtsdestotrotz verdeutlicht die Lektüre von Souveränität statt Komplexität, dass sich Medien wie Compact in komplexe Zusammenhänge einfügen, deren Funktionsweise mit all ihren verschiedenen Ebenen zu betrachten hochinteressant ist.
Mit Compact umgehenSchilk konstatiert: »An diesem Punkt müsste soziologische Aufklärung ansetzen und Wissen über die gesellschaftlichen Prozesse bereitstellen, das unverzichtbare Voraussetzung für ihre demokratische Gestaltung ist.« So ist seine Arbeit nicht nur Bereicherung des Wissensbestands um das Querfront-Dispositiv und das Compact-Magazin, sondern insbesondere der Anstoß, gesellschaftliche Verhältnisse nicht nur zu betrachten, sondern das Wissen darüber auch zu teilen. Compact und seine verwandten Phänomene kann man nicht verstehen, ohne Gesellschaft kritisch zu beleuchten – und so müssen wir soziale wie politische Prozesse hinterfragen, um einen Umgang mit Compact & Co zu finden.