Am GRK 1787 forschen Promovierende zu den verschiedenen Auswirkungen der ‘digitalen Revolution’ auf den gegenwärtigen Literaturbetrieb. Auf Litlog stellen die Kollegiat/innen sich und ihre Projekte vor. Heute: Christian Dinger über Herstellung und Subversion von Authentizität in der Gegenwartsliteratur.
Bitte umreiße kurz dein Promotionsvorhaben für uns.
Im Zentrum meines Dissertationsprojekts steht der momentan hochfrequente, aber mehr als diffuse Begriff der Authentizität. Gerade in den letzten Jahren ist dieser zum Label für die verschiedensten Dinge, Personen und Sachverhalte geworden: Ein Restaurant kann authentische indische Küche anbieten, eine Fernsehserie wird für ihre authentischen Dialoge gelobt, sowohl Politiker und Moderatoren als auch Briefe und Ausstellungsstücke können authentisch sein. Auch in Bezug auf Literatur wird dieses Label – besonders seitens der Literaturkritik – gerne gebraucht. Was genau mit dieser Zuschreibung gemeint ist, kann sehr unterschiedlich sein. In der Regel ist es aber auf die Person des Autors oder der Autorin bezogen oder hat etwas mit dem »Wirklichkeitsgehalt« des literarischen Texts zutun.
Ich möchte in meiner Dissertation untersuchen, wie Effekte des Authentischen in literarischen Texten, aber auch in der Inszenierung der Autor_innen erzeugt werden, aber auch wie sie gezielt unterlaufen werden, wie es beispielsweise in autofiktionalen Texten geschieht.
Wie genau willst du herausfinden, ab wann ein Text authentisch ist?
Im Prinzip gar nicht. Ich gehe nicht von einem ontologischen Status des Authentischen aus. Statt den essentialistischen Gebrauch des Authentizitätsbegriffs zu übernehmen, der durch Ratgeberliteratur und YouTube-Channels geistert, versuche ich »authentisch« als Zuschreibungsmerkmal zu begreifen, das in unterschiedlichen Kommunikationszusammenhängen unterschiedliche Bedeutungen haben kann. Und auf Grundlage dieses Verständnisses möchte ich die einzelnen Zuschreibungspraktiken untersuchen, um so auch Aussagen über die Bewegungen im literarischen Feld der Gegenwart treffen zu können.
Hinzu kommt, dass sich besonders autofiktionale Texte, in denen mit Authentizitätserwartungen gespielt wird, selten zwischen den Buchdeckeln halten. Das Spiel mit der Fiktionalität schließt insbesondere die Paratexte mit ein, also all jene Texte, die den eigentlichen literarischen Text umrahmen – das geht von der Zusammenfassung auf dem Buchrücken bis hin zu Werbetexten und Interviews mit dem Autor. Und damit sind wir bei der Digitalisierung angelangt, denn davon findet sich eine Menge im Internet. Blogs, Facebook-Accounts und YouTube-Videos ermöglichen es Autor und Verlag sich selbst und das betreffende Werk einem breiten Publikum zu präsentieren. Dabei werden im Zuge des autofiktionalen Spiels mit Autorschaft nicht selten auch diese Texte mit-fiktionalisiert. Es kommt also beispielsweise vor, dass in einem Interview der Autor nicht als Autor spricht, sondern als Figur. Oder dass im Blog des Autors die Fiktion weitergesponnen wird. Das sind Phänomene, die ich genauer unter die Lupe nehmen möchte.
Gibt es ein Netzfundstück, das zu deiner Arbeit passt?
Wenn man bei Youtube »authentisch« eingibt, ist eines der ersten Ergebnisse dieser Track der wunderbaren Antilopen Gang. Auf selbstironische Weise dekonstruieren die Gang-Mitglieder Koljah und NMZS die Genrekonventionen und die spezifischen Authentizitätserwartungen des deutschsprachigen Rap.