Der Tod überrascht den Jedermann auf einem Fest. Dieser bittet sich eine Stunde Aufschub heraus, um sein Seelenheil zu retten. Aber keiner seiner Freunde und Verwandten will für ihn vor Gott Fürsprache einlegen. Nur seine personifizierten Guten Werke und sein Glaube sind bereit, für ihn zu sprechen, und durch sie kommt Jedermann tatsächlich noch in den Himmel. Der Jedermann ist zum Bersten von Pomp und Pathos erfüllt – die das Hohenloher Figurentheater auf zu kleinem Raum zu präsentieren versucht.
Von Simon Sendler
Hebbels Die Nibelungen wird auf den Nibelungenfestspielen in Worms aufgeführt, Wagners Mammutwerke bei den Bayreuther Festspielen, und Hofmannsthals Jedermann wird mit den Salzburger Festspielen assoziiert. Im Falle des Jedermann ist der Domvorplatz sogar ein durchaus passender Ort: Die pathetische Mahnung an ein gottesfürchtigeres Leben unter den Augen der Statuen von Lokalheiligen und Aposteln und vor der mächtigen Barockfassade wirkt.
All das ist natürlich keine Garantie, dass eine Inszenierung auch gelingt. Trotzdem ist es bei einem Stück wie dem Jedermann, das sich in der Größe seiner Sprache und Charaktere so passend in Monumentalität einbetten lässt, schon eine Aufgabe für sich, es angemessen auf kleiner Bühne (in diesem Falle die des Göttinger GDA Wohnstifts) zu inszenieren. Dass der Bühnenhintergrund einer barocken Kirchenfassade nachempfunden ist, lässt aber schon vor Beginn der Inszenierung vermuten, dass die Aufführung von Johanna und Harald Sperlich vom Hohenloher Figurentheater in die Vollen gehen möchte.
Und tatsächlich: Die beträchtlichen Stabfiguren zeigen große Gesten und der Text wird vor dem pompösen Hintergrund meist mit viel Hingabe skandiert. Das mag in einer größeren Lokalität funktionieren, hier leidet die Vorführung allerdings darunter, dass eine kleine Bühne mit einer zu großen Inszenierung überfrachtet wirkt. Dass zudem die Tontechnik nicht optimal eingestellt ist und bei den lauteren Momenten des Stücks oder der Begleitmusik hörbar übersteuert, ist da nur ein weiterer Störfaktor, der zur hektischen Nachjustierung einiger Hörgeräte führt.
Auch sonst scheint die Darbietung sehr darauf erpicht zu sein, Hofmannsthals Text extrem gerecht zu werden, was auf Kosten der inszenatorischen Eigenständigkeit geht. Es wird dem Originaltext so viel Ehrfurcht entgegengebracht, dass dessen inhaltliche Schwächen umso deutlicher hervortreten. Diese Schwächen zeichnen sich u.a. dadurch aus, dass man als ZuschauerIn nur bedingt Zugang zum platten christlichen Moralisieren hat. Die Aufführung etabliert über eine halbe Stunde, was für einen im moralischen Horizont des Stücks ablehnungswürdigen Lebenswandel Jedermann gepflegt hat und lässt seine Suche nach Fürsprechern vor Gott zuerst so aussichtslos erscheinen, dass Jedermann glaubt, seine Seele sei unrettbar verloren. Wenn er dann aber innerhalb von nicht mal fünf Minuten durch die Fürsprache seiner personifizierten Guten Werke und des Glaubens doch noch in den Himmel kommt, wirkt dies zudem so, als ob hier das Ende etwas überstürzt gesucht wurde.
Insgesamt bleibt der Eindruck einer Inszenierung, die mit viel Liebe zum Figurentheater und zur Vorlage konzipiert wurde, aber letztendlich an Unstimmigkeiten und einem gewissen Mangel an eigenen Ideen und dem Mut, die Opulenz des Originals herunterzusetzen, scheitert. Es zeigt sich daran, dass der Klassikerstatus keinem Kunstwerk pauschal auf Ewigkeit zugeschrieben werden sollte; die Relevanz des Jedermann für die heutige Zeit erschließt sich hier nicht notwendigerweise.
Der reine Unterhaltungswert wurde letztendlich aber von keinem Gestaltungselement im engeren Sinne sondern hauptsächlich durch den Aufführungsort vermindert. Ein pompöses und lautes Stück wie dieses wäre an einem größeren und offeneren Spielplatz besser aufgehoben gewesen.