Im südwestlichen Hannover tut sich was. Auf dem Rittergut Wederade bei Springe raschelt es an einem sonnigen Wochenende Mitte August im Busch und beim Näherkommen gesellen sich schwere Bässe dazu, die sich in der Stille der drumherum liegenden Landschaft wieder verirren. Ein Bericht vom Fuchsbau Festival.
Von Julia Scheck
Wuselig ist es an diesem Augustwochenende auf der Kuppel des Ritterguts, denn das Fuchsbau Festival öffnete zum zweiten Mal seine Pforten für Kunstfreunde, Literaturbegeisterte und Liebhaber elektronischer Populärmusik.
Drei Tage, drei Spielstätten, dreizehn Bands, fünfundzwanzig DJs, DJanes und elektronische Kollektive, dreizehn KünstlerInnen und -vereinigungen, eine Handvoll Literaten, zwei Scheunen und ein Pool erwarteten die Besucher des noch sehr jungen Festivals mitten im grünen Nirgendwo Niedersachsens.
Es präsentierte sich eine Kunstszene von jungen Kreativen, die sich jenseits von Ausstellungen in Bankhausempfangshallen befindet, eine Szene, die sich ihren Ausstellungsraum vornehmlich auf der Straße sucht. So wie das Kollektiv »bosso fataka«, das mit Klarsichtfolie, Sprühdose und Leiter bewaffnet aus Altem und Weggeworfenem Neues schafft und dabei zum Stehenbleiben, Umdenken und Schmunzeln verführt. Oder die Tape Art Crew »TAPE OVER« aus Berlin, vor dessen buntem Klebeband vom menschlichen Körper bis zur großen leeren Wand nichts sicher scheint, denn alles und jede/r ist Leinwand und die ist überall.
Installation »Last Unicorn« von bosso fatarka in Berlin-Friedrichshain
Begleitet von hauptsächlich (jedoch nicht ausschließlich) elektronischen Klängen, wie denen der Deephouse -DJ Kombo- »Herr Fuchs & Frau Elster« oder der Minimalisten »Jan Blomqvist« und »Falscher Hase« bot sich dem Publikum ein Wochenende voller Möglichkeiten, der Kunst nicht nur beim Werden zuzuschauen, sondern ihr aktiv beizuwohnen. Wie im Falle der partizipativen Aktion »Du und ich und alles, was wir kennen« der Leipziger Initiative »Kunstraum E«, bei der FestivalbesucherInnen sich eine von sechs Aufgaben aussuchen konnten. Dies reichte von einer Foto- oder Tonaufnahme über das Austesten des eigenen Zeichentalents bis zur Einsendung der zuletzt empfangenen SMS, womit die BesucherInnen Teil eines Schaffensprozesses werden sollen. Das Kollektiv erklärt:
Die Dokumentation dieser Aktion ermöglicht nicht nur einen ganz spezifischen Rückblick auf eine Veranstaltung und deren BesucherInnen, sondern öffnet einen Rahmen für kollektive, kreative Handlungen. ProduzentInnen und RezipientInnen vermischen sich und die Frage nach Talent und Können erübrigt sich. Es geht um dich und um mich und um alles, was wir kennen!1
Partizipationskunst von Kunstraum E
Die Achse nach Leipzig verstärkte der Besuch aus dem Deutschen Literaturinstitut. Fabian Hischmann las, nach anfänglicher Übertönung durch die Hauptbühne, einen Auszug aus seinem Debütroman Am Ende schmeißen wir mit Gold, der voraussichtlich im Frühjahr 2014 erscheint und erinnerte dabei in seiner Zurückgezogenheit an Niko Fischer aus Jan-Ole Gersters Abschlussarbeit Oh Boy. Der Protagonist Max muss aus Gründen des geringen Widerstands den Hund der Eltern, der ja eigentlich sein Hund ist, hüten und ist somit gezwungen, seine Heimatstadt im Schwarzwald aufzusuchen. Dort trifft er auf seine Jungendfreundin Maria, die Erinnerungen an früher setzen ein, vermischen sich mit dem hier und jetzt und die öde »Provinz wird zum Sehnsuchtsort.« 2
Der Lyriker und Dramatiker Wolfram Lotz »schrie« den freistehenden Monolog Mama und Thilo Sarrazin heraus, ein Auszug aus dem prämierten Theaterstück Zerschossene Träume. Darin berichtet Lotz‘ Mama von den Nöten und Sorgen einer stolzen Mutter und Thilo Sarrazin erklärt dem Publikum, warum Menschen sind wie sie nun mal sind und warum Thilo Sarrazin nur so werden konnte, wie er geworden ist und auf keinen Fall anders. Wer hätte da gedacht, dass es sich bei dem einschlägigen Werk um ein »kontrasexuelles Manifest« handelt, das zur »Aufhebung der Trennung der Geschlechter« aufruft?
Schreit sich seinen Weg zum Publikum: Lyriker und Dramatiker Wolfram Lotz (Foto: Jürgen Beck)
Der dritte im Bunde, Kai Merting, Mitbegründer des Literaturjournals »wortwuchs«, entführte an diesem sonnigen Augustnachmittag die FestivalbesucherInnen in das winterliche Brüssel und teilte mit ihnen einen Traum, in dem riesige Urkalmaren aus der Nordsee mitten in seinem Schlafzimmer sitzen.
Die Veranstalter des Fuchsbau Festivals haben hier, so scheint es, eine Plattform für junge Startups der Kulturszene geschaffen, die sich noch auf sympathischem Abstand zur Gewinnorientierung befinden. Ein liebevoll gestalteter Ort des Experimentierens, Zeigens und Machens. Dies ist beeindruckend, vor allem deshalb, weil sie das Fuchsbau Festival in der Peripherie Hannovers stattfinden lassen, einem weißen Fleck auf der Landkarte der Draußen-Großraumfestivitäten. Aber gerade im beschaulichen Idyll, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen, lässt sich dieses Festival mit dem Prädikat besonders wertvoll als Fest erleben, das neben instrumentierten Synthiesounds Raum und Ruhe zum Kunsterleben gestattet.
Entspannt abgefeiert: 2.000 Besucher konnten die Veranstalter des Fuchsbau Festivals 2013 verzeichnen.
Manch böse Zunge könnte nun das Wort, das mit »H« beginnt und »ipstertum« endet in den Mund nehmen. Doch wenn das zum Teil sehr junge Publikum am Ende des Tages nach Hause kommt und seine Kriegstanzbemalung in Form von knallrotem Lippenstift und silbernem Glitter aus dem Gesicht wischt und den Feder- und Blumenschmuck aus dem Haar in den Kreislauf der Natur zurück gibt, dann handelt es sich um ganz gewöhnliche Lehrer aus Osnabrück oder Kunststudentinnen aus Weimar. Aber vor allem um ein Grüppchen Menschen, das gerne campt und sich mit Vorliebe die Seele mit elektronischen Bässen massieren lässt.