Im Rahmen des Kulturanthropologie-Kolloquiums stellte die irische Ethnologin Máiréad Nic Craith ihre Forschungen zu Sprache, Biografie und kultureller Identität vor. Unter dem Titel Language and Belonging in Ireland – Exploring Intercultural Memoirs sprach sie über autobiografische Romane von irisch-englischen Autoren.
von Christian Volmari
Die irische Sprache hat in Irland traditionell einen schweren Stand. Seit dem 16. Jahrhundert ist die Insel Einwanderungsland für englische Bauern, die unter dem militärischen Schutz der britischen Kolonialmacht die fruchtbarsten Regionen und wirtschaftlichen Zentren des Landes besiedeln. Politische Unruhen, Seuchen und Hungersnöte dezimieren in den folgenden Jahrhunderten weite Teile der Bevölkerung. Viele Iren wandern aus, viele erziehen ihre Kinder auf Englisch, um ihnen eine bessere Zukunft im Ausland oder den englischsprachigen Städten zu ermöglichen.
Heute liegt der Anteil der irischsprachigen Bevölkerung bei nicht mal mehr zwei Prozent. Von nennenswerter Bedeutung ist die Sprache nur noch in wenigen, vor allem entlang der Westküste verstreuten Sprachinseln, der sogenannten Gaeltacht. Wer außerhalb der Gaeltacht Irisch spricht, der darf nicht damit rechnen, verstanden zu werden. Im Gegenteil: Irisch galt lange Zeit als rückwärtig, als Sprache der Armen und Hinterwäldler. Und noch heute zeitigt dieser Ruf Stereotype: Auf Irisch könne man keine Kuh verkaufen, so heißt es.
Die irische Ethnologin Máiréad Nic Craith, die derzeit im Rahmen einer DAAD-Gastprofessur am Göttinger Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie lehrt, interessiert sich für eben jene Fremd- und Selbstzuschreibungen, mit denen sich die irischsprachige Community außerhalb der Gaeltacht konfrontiert sieht. Unter dem Titel Language and Belonging in Ireland – Exploring Intercultural Memoirs sprach sie über die kulturellen Implikationen von Sprache, und über die Schwierigkeiten und Chancen, die die sprachliche Hybridität aufwirft.
Interkulturelle ErinnerungenAnhand der autobiografischen Romane von Liam Carson, Nuala Ní Dhomhnaill, Cathal Ó Searcaigh, Lorcán Ó Treasaigh und Hugo Hamilton versucht Nic Craith aufzuzeigen, wie soziale Zugehörigkeit und sprachliche Sozialisation miteinander korrespondieren. Die fünf Autoren eint, dass sie allesamt in irischsprachigen Familien, aber außerhalb der Gaeltacht aufgewachsen sind. Sie alle sind Außenseiter, werden in der Schule ausgegrenzt, auf der Straße beschimpft: »Look at the f-kin’ Irish pigs pickin’ up the spuds from the road!«1
Vielleicht am eindringlichsten schildert Hugo Hamilton die soziale Kluft, die nicht nur in der Schule und auf der Straße, sondern auch Zuhause, in der eigenen Familie aufreißt: In The Speckled People erinnert er sich an seine Kindheit mit einer deutschen Mutter und einem irisch-nationalistischen Vater, der sich ganz dem »Sprachkrieg« verschrieben und alles Englische vor die Haustür verbannt hat. Für Hamilton und seinen Bruder ist die bilinguale Erziehung alles andere als der entwicklungspsychologische Segen, als der sie gemeinhin gilt. Sie wählen einen dritten Weg – und lernen heimlich Englisch:
Myself and my brother Franz wanted to stop being outsiders, on our own all the time. We wanted to be insiders from now on, like everyone else in Ireland, so we decided to try and find some way of getting in with them. I started practicing English on my own, saying things to the wall like ‘What are you lookin’ at?’ I rehearsed conversations out loud in my room, threatening to kick the shit out of the wardrobe and telling the door to watch out or else I would go over and straighten his face for him.2
Was Hamilton hier als Imitation von englischen Sprach- und Verhaltensweisen beschreibt, das bezeichnet Nic Craith mit Homi Bhabhas Begriff der Mimikry als die nie vollkommene Nachahmung einer kolonialen Autorität.3 Die fünf Autoren stehen zwischen den Stühlen, und sie müssen sich entscheiden, für einen Wohnort, eine Community, eine Sprache. Sie müssen sich entscheiden für eine kulturelle Identität, in der sie, so das postkolonialistische Credo, nie ankommen werden. Mimikry bleibt Nachahmung, die Autoren bleiben Außenseiter.
Zwischen zwei Welten?Bhabhas Die Verortung der Kultur ist mittlerweile 16 Jahre alt. Viel wurde inzwischen geschrieben gegen die Trope des Dazwischens, des dritten Raumes, das die Vorstellung von Kultur als einer geschlossenen und homogenen Insel letztlich nicht dekonstruiert, sondern bestätigt. Die Literaturwissenschaftlerin Leslie A. Adelson hat diese Kritik in Bezug auf die türkische Diaspora in Deutschland formuliert: Die Vorstellung des deutsch-türkischen Schriftstellers als einem Grenzgänger »zwischen zwei Welten« ignoriere nicht nur sämtliche Innovationen, die diese Literatur zu bieten habe, sondern impliziere letztlich wieder ein räumlich-territoriales Konzept von Kultur als etwas Abgrenzbarem, in sich Homogenem.4
Hamiltons jugendlicher Protagonist sucht ja nicht nur nach einer Sprache, wenn er sich drohend vor Wand, Kleiderschrank und Zimmertür aufbaut. Dass diese adoleszenten Gesten der Selbstbehauptung aber natürlich englische Gesten zitieren, ist vor allem dem Fanatismus eines Vaters geschuldet, der seinen Söhnen die irische Sprache als einziges Identitätsmerkmal einzuprügeln versucht: »Your country is your language and your language is your flag.«5 Die zwei Sprachen und ihre territoriale Verortung bilden bei Hamilton einen Konflikt ab, der gar nicht so sehr zwischen zwei Kulturen, sondern vielmehr zwischen Vater und Sohn anzusiedeln ist:
At the dinner table, I started speaking to myself in English. Every evening I looked at my father in front of me and I was having a big conversation inside my own head in the forbidden language. He must have known that I was breaking his rules, but there was nothing he could do to stop me speaking to myself in secret as if I had disappeared to a different country.6
Nic Craith nimmt diese raumsemantischen Chiffren radikal beim Wort.7 Der Vater-Sohn-Konflikt bleibt dabei notgedrungen auf der Strecke. Einerseits ist das erfrischend, relativiert sie so nicht zuletzt auch die Grenze zwischen literarischem Text und ethnografischem Interview. Die auktoriale Erzählinstanz wird als autonomer Akteur Ernst genommen, ihre Reflexionen und Beobachtungen nicht metaphorisch, sondern als nüchterne Feldnotizen gelesen. Andererseits aber läuft eine solche subjektzentrierte Perspektive leicht auf jenen von Adelson kritisierten »soziologischen Positivismus« hinaus, der die narrativen Eigenarten eines literarischen Textes der Rekonstruktion einer Autorenbiografie unterordnet.8
Die Sache mit der KuhVielleicht ist das sogar die interessanteste Frage, die Nic Craith in ihrem Vortrag aufwirft. Auch wenn sie selbst den Zusammenhang zwischen ihrem räumlich-territorialen Kulturbegriff und den raumsemantischen Strukturen in den untersuchten Texten nicht thematisiert, so scheint hier doch die eigentliche Quintessenz ihres Vortrags zu liegen. So bleibt am Ende vielleicht doch mehr als nur die Erkenntnis, dass sich auf Irisch keine Kuh verkaufen lässt.