Sex, drugs & Gesellschaftskritik! Norwegens angesagtester Künstler Matias Faldbakken debütiert als Literat. The Cocka Hola Company ist eine Mischung aus heiterer Diffamierung und aggressiver Schlagkraft, womit Faldbakken die Konsensgesellschaft weniger unter die Lupe und umso mehr ins Visier nimmt.
Von Helge Ernst
Man muss sich schon Mühe geben, um heutzutage nicht mitzukriegen, was chic, in, hip, stylish, awesome, atemberaubend, fantastisch, das beste aller Zeiten oder sonst was ist. Das fängt bei Szene-Magazinen für jede beliebige Subkultur an und gipfelt in Werbeaktionen und Promotions; wer nicht mindestens medienabstinent ist und seine Mitmenschen ignoriert, wird zumindest eine ungefähre Ahnung haben, womit man sich zu beschäftigen hat, sofern man nicht den Anschluss verlieren will – egal ob im Kulturbetrieb oder in der Konsumwelt. Diesem Treiben stellt Matias Faldbakken in The Cocka Hola Company einen kompromisslosen Gedanken der Selbstverwirklichung entgegen, der einem (schlechten) Gewissen oder Moralvorstellungen keinen Platz einräumt.
Protagonist Simpel ist Misanthrop. Er verachtet Menschen im allgemeinen und alles, was mit Design und Lifestyle zu tun hat im speziellen, er hegt eine Abneigung gegen jedweden Konsens und glaubt fest daran, dass jeder in seinem Innersten so schäbig ist wie nur irgend möglich. Alles andere ist Fassade. Als Mitbegründer der erfolgreichen Pornofilmgesellschaft Desirevolution bewegt sich Simpel in relativer finanzieller Unabhängigkeit und kann so seiner liebsten Tätigkeit nachgehen: Asoziale Aktionen gegen ahnungslose Mitmenschen planen und durchführen, die stets ein Statement gegen die von allem faszinierte Konsensgesellschaft darstellen.
Eine dieser »Interventionen« richtet sich gegen die Frau des verhassten Schulpsychologen Berlitz, der bemüht ist, Simpels verhaltensgestörten Sohn Lonyl der Schule verweisen zu lassen. Das ist gleich doppelt praktisch; Statement und Rache. Simpel gibt sich als Galerist aus und macht Berlitz‘ Frau, ihres Zeichens Textildesignerin, das Angebot, ihre Arbeiten auszustellen. Nach einem Abendessen mit viel Wein und beigemischten Schlaftabletten tätowiert Simpel der wider Willen Narkotisierten das Wort ›FasciNATION‹ auf den Bauch und verschwindet spurlos. Zunächst ein voller Erfolg, aber auf bizarren Umwegen kommt man ihm und seinem illegalen pornographischen Netzwerk auf die Schliche. Damit nicht alles vergebens den Bach runtergeht, wendet er sich noch während der Untersuchungshaft mit seinen Aktionen und Ansichten an die Öffentlichkeit – mit zweifelhaftem Erfolg.
Umgeben ist Simpel von allerlei skurrilen Figuren; seiner Frau Motha aus Sansibar, Darstellerin bei Desirevolution und Mutter Lonyls, den einfältigen, »stimmungsneutralen« Pornodarstellern Tiptop und Casco, dem altväterlichen Porno-Paten PapaHans, dem unverwüstlichen und egalitären Laufburschen Eisenmann, dem isolierten Pornoideologen Ritmeester und dem Vertragsalkoholiker Speedo. Allesamt sind sie mehr oder weniger bemüht bzw. darauf ausgelegt, ein irgendwie unangepasstes Leben zu führen und ein Nischendasein am Rande der Gesellschaft zu fristen.
In Faldbakkens Roman geht es mehr darum, zu verurteilen als zu analysieren; weniger das Warum als das Was steht im Vordergrund. Das ist zwar schön fies und schwarzhumorig, lässt aber einen soliden Hintergrund vermissen. Gründe für diese Gegen-alles-Einstellung werden nur oberflächlich angedeutet. Hier mangelt es den Figuren und ihrer Umgebung etwas an Dichte und Tiefgang. Die Motivation Simpels wird über die Prognose von ADS und Tourette in Jugendtagen hinweg nicht weiter ausgebreitet, warum er alles und jeden verachtet nicht erklärt. Gleiches gilt für die übrigen Figuren, die daher zwischen bloß schemenhaft und definitiv stereotypisch wanken, und nicht wirklich glaubwürdig sind. Ob das beabsichtigt und als latente Literaturkritik zu deuten ist oder nicht, sei dahingestellt. Es drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass in der Hinsicht mehr möglich gewesen wäre. So verbleibt es allerdings bei einer unentschlossenen Gratwanderung zwischen vagem Ausstaffieren und Minimalisieren, die nicht ganz überzeugen kann.
Die Erzählweise hingegen ist gelungen. Nebst üblicher Prosa finden sich dramatische Elemente wie Personenregister, ausgedehnte Dialoge und an Regieanweisungen erinnernde Einschübe, aber auch Paragraphen einer Pornoideologie (»Außenaufnahmen werden bei kalifornischer Sonne durchgeführt«), Briefe, eine Art Drehbuchskript, Kontoauszüge, Zeitungsartikel – all dies wird zu einer Erzählcollage kombiniert, die hervorragend funktioniert und somit recht abwechslungsreich ist. Diese Machart erinnert daran, dass Faldbakken eigentlich bildender Künstler ist, nicht Schriftsteller. Seine kürzlich in Kassel zu besichtigende Ausstellung »That Death Of Which One Does Not Die« macht deutlich, dass sein künstlerisches Leitmotiv eine Anti-alles-Haltung ist und unter diesem Gesichtspunkt bettet sich The Cocka Hola Company stilecht in sein Gesamtwerk ein.
Bemerkenswert witzig ist, dass Faldbakkens Roman in Skandinavien zunächst umstritten war, dann aber als großartig gefeiert wurde – ein interessantes Äquivalent zum Ende des Buches, in dem Simple mit seiner Anti-Gesellschafts-Haltung für seine bizarre Eigenwilligkeit vom Publikum bejubelt wird. Und das Ende erscheint nicht einmal weit hergeholt sondern erschreckend aktuell, wenn man mal das geistfreie (Herden)Treiben beispielsweise in den Abgründen deutscher ›TV-Unterhaltung‹ betrachtet, bei dem sich Geschmacklosigkeit und Idiotie die Klinke in die Hand drücken. Vor diesem Hintergrund entfaltet The Cocka Hola Company dann wiederum eine Wirkung, bei der man in Faldbakkens Misanthropie nur zu gerne einstimmen möchte. Sieht man jedoch davon ab, hat man ein Buch, das auf seine Weise kurzzeitig zu unterhalten weiß, aber mit dem man sich wohl kaum lange beschäftigt. Dafür ist es zu plattitüdenhaft und versäumt, der altbekannten überkritischen Denkweise gegen alles und jeden einen neuen Gedanken hinzuzufügen.