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»Edward ist ein Knuddelvampir«

Im Facebook für Vampire chattet er mit Graf Orlok und in der Vampir-WG in Los Angeles musste er zuerst klarstellen, dass er nicht pfählen, sondern forschen möchte – Nein, das ist nicht die Handlung eines Vampirfilms, sondern das reale Leben von Dr. Clemens Ruthner. Der Literatur- und Kulturwissenschaftler ist nicht nur Dozent am Trinity College in Dublin, sondern auch ein Vampirologe. Verena Zimmermann traf ihn zum Gespräch.

Von Verena Zimmermann

Grauer Pulli, Brille, im Hintergrund ein weißes Ikea-Regal: Wer sich den Vampirforscher wie Drakulas schwarzgewandeten Erzfeind Doktor Van Helsing vorgestellt hat, wird enttäuscht sein. Bei unserem Interview in seiner Dubliner Wohnung erlaubt der Forscher seinem österreichischen Akzent charmant über die Zunge zu hüpfen und lässt zwischen Geschichten über Blut und Twilight beim Lachen oft die – ungespitzten – Zähne blicken.

Verena Zimmermann: Herr Dr. Ruthner, warum sucht man sich als ernsthafter Literaturwissenschaftler denn ausgerechnet das Forschungsgebiet Vampire aus?

Clemens Ruthner: Ja, das ist ein leidiger Punkt: Ich werde oft gefragt, ob mein Interesse für Vampire daher rührt, dass ich an Vampire glaube. Aber das ist gar nicht die Fragestellung: Natürlich glaube ich nicht an Vampire, ich finde sie faszinierend, weil ich mich gerne mit kulturellen Selbst- und Fremdbildern befasse. Der Vampir ist eine anziehende Maske des Anderen: Er kann zum Beispiel für nationale oder Geschlechter-Identitäten stehen. Außerdem finde ich es interessant, zu erforschen, welche Funktion das Übernatürliche in unserer säkularen Kultur hat: Die Religion hat aufgehört, zufriedenstellende Antworten zu geben. So ist ein blinder Fleck entstanden, der anstatt von Religion nun von Phantasmen ausgefüllt wird.

V.Z.:Aber gehören Vampirgeschichten nicht eher zur Trash-Literatur?

C.R.: Das ist in der Tat eine häufige Wahrnehmung. Viele Menschen denken, die Vampirfigur hat nur mit Schmutz und Schund zu tun, was aber viele nicht wissen: Einer der ersten Vampirtexte war die Braut von Korinth von Goethe! Vampirtexte wurden oft vom Kanon an den Rand gedrängt, da muss man eben manchmal die Trash-Schublade aufmachen, um seine Forschung durchzuführen. Trotzdem gibt es aber genug Vampir-Literatur, die literarisch wertvoll ist: Ich erinnere nur an Elfriede Jelineks Die Kinder der Toten oder ihr Theaterstück Krankheit oder Moderne Frauen und natürlich an Bram Stokers Dracula.

V.Z.: Und was genau macht Sie zum Fachmann für Vampire?

C.R.:: Ich habe mich zu einer Zeit mit Vampiren beschäftigt, als im deutschsprachigen Raum nur pickelige Vampir-Fans vor ihren Büchern saßen. In den letzten Jahren hieß es »Dracula Reloaded« und Vampirismus ist ein relativ schickes Forschungsgebiet geworden. Mich hat das Thema aber schon interessiert, als es noch total verpönt war. Damals habe ich (noch zu Studienzeiten) ein Seminar zu fantastischer Literatur besucht und erfahren, dass die letzte Gesamtmonographie zum »deutschsprachigen« Vampir um 1900 geschrieben wurde. Da hat mich der Ehrgeiz gepackt, ca. 100 Jahre später eine neue Literatur- und Kulturgeschichte des Vampirs in deutscher Zunge herauszubringen. Daran arbeite ich momentan.

V.Z.: Sie haben eben erwähnt, dass Vampire wieder en vogue sind. Momentan lächeln sie uns ja von allen Bestsellerlisten und Kinoleinwänden an.

C.R.: Ja, allerdings finde ich diesen Vampir-Boom eher kontraproduktiv. Dadurch wird der Vampir endgültig ins Teenie-Milieu abgedrängt. Noch vor ein paar Jahren hätte ich mir nicht träumen können, dass man aus Vampiren eine Art Highschool-Seifenoper machen kann. Kein Wunder, dass viele Menschen momentan bis zum Erbrechen genug von Vampirfiguren haben.

V.Z.: Spielen Sie da auf Stephenie Meyers Twilight an?

C.R.: Der Vampir hat keine feste Gestalt. Er ist ein sogenannter »shape shifter«. Stephenie Meyer hat sich das zu Nutzen gemacht und in Edward einen hölzernen Knuddel-Vampir entworfen. Die Autorin ist Mormonin und lässt ihre fundamental-christliche Agenda in ihre Werke einfließen. Dabei ist dieses Konzept der jungfräulichen Ehe zwischen Bella und Edward für mich als Vampir-Forscher natürlich total absurd. Anders als bei der Vampir-Serie Buffy, in der sich eine blonde junge Frau zur kickboxenden Vampirjägerin entwickelt, wird die Frau durch Stephenie Meyer wieder auf ihren patriarchalen Platz zurückgedrängt. Buffy war wesentlich emanzipierter als Bella!

V.Z.: Trotzem werden die Bücher von Millionen von Jugendlichen gelesen. Was macht den Vampir so attraktiv für junge Menschen?

Zur Person

Clemens Ruthner wurde 2001 an der Universität in Wien promoviert. Er hat als Leiter des österreichischen und zentraleuröpäischen Forschungszentrums OCTANT an der Universität von Antwerpen und als Gastprofessor and der University of Alberta in Kanada gearbeitet. Momentan ist er Dozent am deutschen Seminar des Trinity Colleges in Dublin. Ruthners Forschungsinteressen schließen kulturelle Narrative von »Andersartigkeit« (z.B. Monstrosität, Vampire, Ethnizität und Gender-Untersuchungen), sowie Kulturtheorie und Zentaleuropäische Studien (19. und 20. Jahrhundert) und das Fantastische in der Literatur ein.

 
 
C.R.: In diesem Zusammenhang ist der Film The Lost Boys entscheidend: Dort waren die Vampire zum ersten Mal Jugendliche, genauer gesagt eine Bande von Punks. Vampire sind eine häufige Metapher für das bewusste Anderssein-Wollen, auch für jugendliche Identitätskrisen und Selbstfindungs-Prozesse. Laut der Forscherin Norine Dresser verkörpern Vampire zudem die klassischen nordamerikanischen Werte: Sie altern nicht und sind dadurch ewig jung. Das macht sie ziemlich attraktiv. Außerdem steht der Vampir für Durchsetzungsvermögen und Erfolg. Kurz: »The vampire always gets the girl« – da hat meine »Freundin« Stephenie Meyer genau den Nerv getroffen.

V.Z.: Ich sehe schon: Stephenie Meyers Edward ist nicht gerade ihr Lieblingsvampir. Aber haben Sie überhaupt eine Vampirfigur, die sie besonders faszinierend finden?

C.R.: Das wäre wohl der Klassiker Dracula, weil einfach so viel in dieser Vampirfigur drin steckt. Ich finde aber auch den Vampir in Carl Theodor Dreyers Film Vampyr sehr faszinierend, weil der Film sehr mysteriös und atmosphärisch ist. Er hat etwas Alptraumhaftes und erinnert an surrealistische Gemälde. Dieses Geheimnisvolle zeichnet meiner Meinung nach einen guten Vampirfilm aus.

V.Z.: Können Sie sich denn überhaupt noch gruseln, wenn Sie einen Vampirfilm schauen?

C.R.: Um ehrlich zu sein: Ich lache sehr viel! Solche Filme sprechen irgendwie meine eigene Art von Humor an. Ich finde Gespensterfilme wesentlich gruseliger. Blair Witch Project war für mich beispielsweise verstörender als viele Vampirfilme, weil die Vampirmaske einfach schon so abgetragen ist, dass sie kaum noch Überraschungen bietet.

V.Z.: Wenn diese Maske schon so »abgegriffen« ist, wie sieht denn dann der typische Vampir aus?

C.R.: Obwohl der Vampir ein Formwandler ist, hat er erstaunlicherweise – geprägt durch Filme – eine relativ klare Struktur. Er ist ein lebendiger Toter, er scheut das Licht, er trinkt Blut, ist klischeehaft blass und hat meistens ein belastendes Geheimnis. Außerdem sind Vampire oft sexuell aufgeladen. Sie sind einerseits das Monstrum, das oft mit Ekelgrenzen spielt, andererseits aber auch faszinierend. Moderne Vampire reagieren meist nicht mehr auf religiöse Symbole wie Kreuze, allerdings sind die Methoden, um Vampire zu vernichten, relativ stabil geblieben: 1. Pfählen, 2. Enthaupten, 3. Verbrennen.

V.Z.: Das klingt alles ziemlich blutrünstig, dabei ist der Vampir doch auch eine beliebte Figur in der Kinderliteratur. Wer kennt nicht Angela Sommer-Bodenburgs kleinen Vampir?

C.R.: Das stimmt. In der Kinderliteratur ist der Vampir meist ein Aufruf an die kleinen Leser, mit dem Anderssein tolerant umzugehen. Oft ist der Vampir auch eine Art heimlicher Seelenverwandter des kindlichen Protagonisten: Er und der Vampir bewegen sich außerhalb der Erwachsenenwelt und wissen instinktiv, dass sie gut miteinander auskommen können und dass ihre Freundschaft nicht gefährlich ist.

V.Z.: Ihre Beschäftigung mit Vampirismus hört aber nicht bei Erwachsenen- und Kinderliteratur auf. Sie erforschen auch gelebtes Vampir-Fandom.

C.R.: Ja, ich habe mich mit einer Gruppe Vampire-Goths beschäftigt. Das waren Leute in den frühen 20ern in Los Angeles, die als Vampire gelebt haben und sich sogar ihre Zähne von Dentisten haben scharf feilen lassen. Für mich war die Frage »Warum möchte man ein Vampir sein?« sehr interessant. Deshalb habe ich zusammen mit einer deutschen Radiojournalistin eine Art Vampir-WG erforscht. Erst haben sie mich als Feind wahrgenommen und mir gesagt, dass ich für sie als Vampirologe so etwas wie Doktor Van Helsing höchstpersönlich sei. Aber mit der Zeit konnte ich ihnen dann erklären, dass ich sie nicht zerstören, sondern nur besser verstehen möchte.

V.Z.: Und was haben Sie herausgefunden?

C.R.: Erstaunlicherweise habe ich erfahren, dass die wenigsten der Vampire-Goths einen persönlichen Fetisch mit Blut haben. Für viele war die Vampirfigur einfach eine Möglichkeit, eine alternative Sexualität auszuleben, z.B. für homosexuelle oder transsexuelle Männer. Anderen half die Vampirfigur über Übergewicht oder persönliche Verluste hinweg, um z.B. Todesfälle zu verarbeiten. Außerdem war die Vampir-Gemeinschaft so wie in dem Film Interview mit einem Vampir eine kleine Ersatzfamilie für Patchwork-Geschädigte. Und manche wollten auch einfach anders sein – anders auf eine Weise, dass sie nie vom Mainstream eingeholt werden würden und ihre Subkultur nie kommerzialisiert werden könnte. Natürlich gab es damals Stephenie Meyer noch nicht …
Auch in Deutschland gibt es übrigens gelebten Vampirismus: Es gibt sogar so eine Art Facebook für Vampire namens Vampir-Club, auf dem auch ich manchmal unterwegs bin.

V.Z.: Das ist aber nicht die einzige Homepage, auf der sie unterwegs sind, Sie haben ja auch Ihre eigene Webpage, auf der Sie Ihrer Faszination für Vampire und »das Andere« freien Lauf lassen. »Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinien«, heißt es da in einem Nietzsche-Zitat neben Ihrem Foto. Warum haben Sie sich für dieses Zitat entschieden?

C.R.: Das ist ein bisschen selbstironisch gemeint. Eigentlich geht es in dem Zitat z.B. um aggressive Formen der Politik, aber irgendwie konnte ich die Textstelle auch auf mich beziehen.
Mein Doktorvater hat mal zu mir gesagt: Passen Sie auf, dass Sie ein Wissenschaftler bleiben und nicht zum Freak werden. Natürlich habe ich eine freakige Seite, aber auch eine ganz normale und kann mich gut dazwischen bewegen. Meine etwas verrückte Seite kann ich am Trinity College zum ersten Mal richtig ausleben, denn im Ausland wird alles weniger tragisch genommen als an deutschen Unis. Ich bin hier wegen meiner Beschäftigung mit Vampirismus kein akademischer Außenseiter, sondern werde sogar vom führenden Hämatologen des Trintiy College zum Mittagessen für ein Gespräch über Blut eingeladen! Na ja, und außerdem habe ich jetzt eine feste Stelle, da kann ich es mir leisten, auch mal ein bisschen freakig zu sein und eine ausgeflippte Homepage zu haben! (lacht)

Auswahl der Publikationen Ruthners über den Vampir:

– kommentierte interdisziplinäre Auswahlbibliografie zum Vampirismus (2003).
SEXUALITÄT MACHT TOD/T – Prolegomena zu einer Literaturgeschichte des Vampirismus (in: Kakanien Revisited, 13.04.2002).
Süd/Osteuropäer als Vampire: Draculas Karriere vom blutrünstigen Tyrannen zum mythischen Blutsauger. Prolegomena zu einer Literaturgeschichte des Vampirismus II (in: Kakanien Revisited, 25.02.2003).
Untotes Wachsen im Textgrab. Zur narrativen Ausarbeitung von Flückingers Vampirismus-Protokoll (1732) bei Herbert Mayo (1846) (in: Kakanien Revisited, 29.01.2010).
– Gemeinsam mit Thomas le Blanc und Bettina Twrsnik (Hrsg.): Draculas Wiederkehr, Tagungsband 1997, Schriftenreihe und Materialien der Phantastischen Bibliothek Wetzlar, Bd 35, Wetzlar 2003.
– Untoter Import/Export: Der Vampir als literarische Tauschfigur zwischen SO-europäischer und deutschsprachiger Kultur, in: Deutsch aktuell: Aus der Praxis des Deutschunterrichts in Rumänien, 1997, S. 39-42.
– Vampirische Schattenspiele. Friedrich Wilhelm Murnaus Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (1922), in: Stefan Keppler, Michael Will (Hrsg.): Der Vampirfilm. Klassiker des Genres in Einzelinterpretationen, Würzburg 2006, S. 29-55.



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 Veröffentlicht am 24. Februar 2011
 Kategorie: Misc.
 Illustration von JNL via wikimedia commons
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