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Abenteuer Altern

Altern wie ein Gentleman heißt das Buch des ehemaligen ARD-Journalisten Sven Kuntze. Im Literarischen Zentrum spricht der vom Alter gezeichnete Autor ungeschönt, aber mit viel Humor von den Herausforderungen des Rentnerdaseins, vom Altern in Gemeinschaft und vom Sterben in Selbstbestimmung.

Von Stefan Lemke

Ein ausgesprochen ernstes Thema mit Witz zu vermitteln und trotzdem zum Nachdenken anzuregen gelingt nicht jedem. Sven Kuntze gelingt es. Am 23. Januar gab er Kapitel aus seinem Buch Altern wie ein Gentleman im Literarischen Zentrum Göttingen in der Reihe »Das Alter in der Literatur« zum Besten.

Eine unterhaltsame Atmosphäre herrscht, während das Publikum auf Kuntzes Auftritt wartet. Dabei ist zu großen Teilen die Altersgruppe vertreten, die Kuntze im Laufe des Abends als 40er bzw. 50er Generation titulieren wird und der er selbst angehört. Es sind Menschen vertreten, die kurz vor dem Renteneintritt stehen oder seit kurzem ein Leben in Rente führen. Auf die Frage ihres Besuchs, entgegnet eine Gruppe: »Um zu lernen, zu altern.« Die Auseinandersetzung mit dem Alter – eine nicht einfache und doch unumgängliche Thematik. Dem Publikum ist Kuntzes prämierte Reportage »Alt sein auf Probe« durchaus präsent; ebenso seine Laufbahn als ARD-Journalist und Fernsehmoderator. Er ist Profi.

Sven Kuntze: Die Stoßstange eines 54er Chevy

Es ist ein Schockmoment, als Kuntze die kleine Bühne betritt. Sein linkes Auge ist von einer Augenklappe bedeckt, sein linker Mundwinkel hängt schlaff herunter – die Auswirkungen einer missglückten Operation. Ob sie ihn noch auftreten lassen wollen, jetzt, wo er aussähe wie die Stoßstange eines 54er Chevy, die gegen eine Mauer gesetzt wurde, fragte er das Literarische Zentrum. Sie wollten ihn. Jetzt muss er seinen Mundwinkel mit dem Finger stützen, damit er deutlich zu verstehen ist. Er lächelt, als er zugibt, nun ein alter Knabe mit Beschädigungen zu sein – aber das Äußere spiele im Alter ohnehin keine große Rolle mehr.

Aufwachen als Rentner in einer großen Baustelle

Kuntze liest nur kurze Passagen aus seinem Buch vor, allerdings bewusst ausgewählt. Es gelingt ihm einen guten Einblick zu konstruieren. Schnell verfällt er ins Berichten und Erklären, wie der Schreibprozess verlaufen ist und auf welche Art und Weise er zu den Erfahrungen, die sein Buch geformt haben, gelang. Dabei ist es ihm außerordentlich wichtig, das erste Erwachen im Leben des Rentners zu schildern:

Es sei alles beim Alten geblieben – wenn man vom Beruf einmal absieht. Das komplette Dasein müsse nun neu aufgebaut werden. Plötzlich ist da eine große Baustelle und trotzdem orientiert man sich zur Bequemlichkeit: Poloshirts, Baumwollhosen und Slipper. Eine Jeans ohne Hintern zu tragen ist ohnehin ein trostloser Anblick und nur ein weiteres Zeichen für Vergänglichkeit. Das Altern ist das größte Abenteuer im Leben, auf das es keine Vorbereitung gibt. Keine Vorstellung wird gerecht. Es ist wie ein Gang durch die Wüste, bei dem man sich ab und an im Schatten einer Palme ausruhen kann – genauso abenteuerlich und anstrengend.

Einsamkeit, die größte Geißel des Alters

Treffend formuliert Kuntze, dass sich die meisten Menschen besonders vor der Einsamkeit im Alter fürchten. Es sei lediglich das Ziel alter Menschen ihre letzten Tage mit Anstand und Würde und nicht vollkommen einsam zu verbringen. In diesem Kontext gibt Kuntze einen Überblick über die Möglichkeiten, um der Einsamkeit im Alter zu entgehen – dabei führt sein Weg von der Alten-WG über das Mehrgenerationenhaus bis hin zum gemeinsam verwalteten Altenheim, wie er es auf seinen Reisen durch die USA vorgefunden hat. Hier sieht Kuntze eine Lösung für das »Altersproblem« in Deutschland: In den Staaten kümmern sich die alten Menschen umeinander und das ist genau das, was Kuntze seiner Generation ankreidet. Seine Generation habe das Problem, dass sie nicht gemeinsam altern wolle. Das Problem ist für ihn deutlich: Die Generation hat ihren Anspruch auf Zeit mit jungen Leuten vergeben – als sie keine Kinder zeugten.

»Nobody dies alone«

Er tritt während der Lesung als großer Verfechter der amerikanischen Altersheime auf. Dort bringen sich die Menschen in dem Rahmen ihrer Möglichkeiten für ihr Heim und füreinander ein. Kuntze selbst hat sich eines dieser Heime angesehen und mit den Bewohnern gesprochen. Innerhalb ihrer Gemeinschaft würde sich niemand einsam und alleine fühlen. Selbst auf dem Sterbebett seien die Bewohner nicht alleine, unter allen Bewohnern des Heimes werden Drei-Stunden-Schichten vergeben, in denen sie am Bett wachen und einfach nur da seien. So eine Art des gemeinsamen Alterns sollte es in Deutschland geben, es wäre ein Schritt zum Entgegenwirken des demographischen Problems, meint Kuntze mit Nachdruck, man solle zumindest drüber debattieren.

Buch-Info


Sven Kuntze
Altern wie ein Gentleman
Zwischen Müßiggang und Engagement
C. Bertelsmann Verlag: München 2011
256 Seiten, 19,99€

 
 
Strittige Punkte spricht Kuntze ohne Scheu an, so kommt er auf die Selbstbestimmung des eigenen Todes zu sprechen. Er wohnte einer Abschiedsfeier einer krebskranken Frau in den Staaten bei. Der Wunsch der Frau sei es gewesen, so in den Tod zu gehen, wie sie es möchte und wie sie bei ihrer Familie und Freunden in Erinnerung bleiben wollte. Kuntze hält diese Art der Selbstbestimmung in Deutschland für diskutabel, wo es nur aufgrund der Kirche nicht zur Sprache kommen würde.

Dass Sven Kuntze mit seinem Buch zur Diskussion und zum Nachdenken anregen möchte, macht er im Laufe des Abends mehr als deutlich, und der Erfolg ist ihm nicht abzustreiten. Bereits im Publikum kommen Diskussionen über seine Thesen auf. Meinungen prallen aufeinander. Es wird die Bedeutung des Glaubens und Kuntzes Meinung dazu hinterfragt, ebenfalls wird in diesem Sinne die Haltung Kuntzes zum selbstbestimmten Sterben diskutiert. Sein Lösungsvorschlag hinsichtlich des gemeinsamen Alterns wird von mancher Seite als Utopie abgetan und von anderer Seite befürwortet.

Altern wie ein Gentleman, kein Ratgeber und kein Buch zum Trösten

Es ist kein Ratgeber, kein Tröstbuch. Vieles hat er selbst auf dem Buchmarkt zum Thema gefunden, vieles für »Mist« befunden. Die guten Ideen hat er sich kurzerhand geklaut, gibt er zu – das macht auch den Charme aus. Wer in Altern wie ein Gentleman ein Buch erwartet hat, das schildert wie schön und freudig das Leben als Rentner ist, wird vollkommen enttäuscht. Genau das ist allerdings die Absicht des Autors, wie er während der Lesung immer wieder deutlich macht. Kuntze bleibt bei seinem Standpunkt, dass dem Alter mit Realismus zu begegnen ist, idyllische Vorstellungen sind fehl am Platz.

Auch wenn es sich bei seinem Buch um keinen Ratgeber handelt, gibt Kuntze abschließend gut gemeinte Ratschläge: Freunde reaktivieren, Listen erstellen mit Dingen, die früher Spaß gemacht haben, experimentieren, ausprobieren. Nicht der Vergangenheit hinterher trauern, sondern in der Gegenwart leben.

Sven Kuntze, selbst vom Alter gezeichnet, hat einen anschaulichen Einblick in das Leben im Alter gegeben. Dabei hat er die Ernsthaftigkeit des Themas gut vermittelt, ohne an Unterhaltungswert zu verlieren. Gerne lauscht man seinen Berichten und den Passagen des Buches. Einigen mag er durch seinen Humor vor den Kopf stoßen – doch ist es Lebenserfahrung, die aus ihm spricht. Kuntze hat den Ernst des demographischen Wandels erkannt, er weiß, welche Probleme auf seine Generation zukommen werden und versucht sie publik zu machen. Was ihm gelingt. Altern wie ein Gentleman ist nicht nur für die Generation der 40er und 50er interessant – sondern auch für jüngere. Denn schließlich kommt man nicht umhin, sich irgendwann mit diesem Thema auseinander zu setzen.



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 Veröffentlicht am 14. Februar 2014
 Bild von Capture Queen via wikimedia commons
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 14. Februar 2014, 17:07 Uhr

Wer sich im Theater mit dem Thema “Alter” auseinandersetzen möchte, kann derzeit ins Deutsche Theater gehen – dort läuft “wir waren” von William Pellier im DT Studio – laut HNA: “eine sehr berührende und beeindruckende Inszenierung” – im Anschluss an die Vorstellung am 21. Februar gibt es eine Podiumsdiskussion zum Thema (Eintritt frei).

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