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Freundschaft?

Philippe Pozzos Ziemlich beste Freunde machte das Freundschaftsbuch zum Kultgenre. Ein deutscher Autor springt nun auf die Erfolgswelle »herzzerreißender Geschichten« auf und veröffentlicht ein Sachbuch über einen schwerkranken 15-Jährigen und dessen Beziehung zum Autor, dem Journalisten Lars Amend.

Von Katharina Werstadt

Im Bereich der Sachbücher, insbesondere der Biografien, findet man eine Menge Literatur über kritische Lebensabschnitte und schwere Schicksalsschläge. Meist resultieren aus diesen Situationen ganz besondere Freundschaften. Diese Bücher schaffen es auf den Bestsellerlisten sehr weit nach oben. Zu nennen wäre da als erstes natürlich Ziemliche beste Freunde des Franzosen Philippe Pozzo, in dem ein krimineller Arbeitsloser zum Pfleger eines Querschnittsgelähmten wird und sich eine ungewöhnliche Freundschaft entwickelt. Ein anderes Beispiel ist Bob, der Streuner des Engländers James Bowen, dessen Buch das Schicksal eines mittellosen und drogenabhängigen Straßenmusikers erzählt, dem ein streunender Kater zuläuft. Mensch und Tier geben sich Halt und einen Sinn im Leben, obwohl man nicht weiß, wem es schlechter geht.

Nun springt auch ein deutscher Autor auf diese Erfolgswelle »herzzerreißender Geschichten« auf und veröffentlicht Dieses bescheuerte Herz – Über den Mut zu träumen, eine Geschichte über einen schwerkranken 15-Jährigen namens Daniel und dessen Beziehung zu dem Autor des Buchs, dem Journalisten Lars Amend.

Zwei Leben auf der Kippe

Von Geburt an leidet Daniel unter einem schweren Herzfehler und verbringt die meiste Zeit seines Lebens in Krankenhäusern. Sein Rücken wird mit Metallstäben stabil gehalten, Laufen, Fahrrad fahren oder Fußball spielen sind für ihn nicht möglich. Weil er darüber hinaus Bluter ist, würde er eine weitere Operation nicht überleben. Das Risiko, dass er sich verletzen könnte, ist einfach zu groß. Vormittags besucht er eine Behindertenschule und nachmittags ist er im Kinderhospitz, damit seine Mutter stundenweise arbeiten kann. Freunde hat er kaum. Er weiß, dass sein Herz schwach ist und dass jeder Tag sein letzter sein könnte.

Buch-Info


Daniel Meyer und Lars Amend
Dieses bescheuerte Herz
Über den Mut zu träumen
Sachbuch
Fischer Verlag: Frankfurt,
352 Seiten, 18,99€

 
 
Lars Amend verkörpert dazu das komplette Gegenteil: Der Journalist ist vor allem für seine Starbiografien (wie über den Skandalrapper Bushido) oder Bücher wie Mit einem Bein im Modelbusiness bekannt. Aber auch der 32-Jährige hat die Freude am Leben verloren. Schwer depressiv bereist er die brasilianischen Favelas, auf der Suche nach einem gefährlichen Kick und dem Sinn des Lebens. Doch die Reise bringt, nach eigenen Angaben, nicht die erhoffte Wirkung. Dann lernt er den 15-jährigen Jungen kennen und wird zu dessen »großem Bruder«. Gemeinsam erfüllen sie Daniels Herzenswünsche, die sie in 25 Punkten auf einer Liste festhalten. »Nach Berlin fahren, ein fremdes Mädchen küssen, eine Zigarette rauchen…«. Daniel bittet Lars, ihre großen und kleinen Abenteuer aufzuschreiben. Entstanden ist so ein Buch über zwei Menschen, bei denen das Leben auf der Kippe steht und über eine wunderbare, einzigartige Freundschaft, die sich dabei entwickelt. Muss man diese Geschichte nicht einfach tragisch und berührend finden? Darf man ein solches Buch überhaupt kritisieren?

Daniel und die »Dame in Rosa«

Man wird skeptisch, bedenkt man, dass ein junger Journalist in seiner Lebens- (oder Berufskrise?) dieses Buch über einen kranken Jungen geschrieben hat. Einer, der sich sonst doch vielmehr mit der Welt der Schönen, Reichen und Skandalträchtigen beschäftigt. Dann erscheint dieses Buch auch noch zu einem Zeitpunkt, an dem es diesen Boom an schicksalsträchtigen und tiefgründigen Freundschaftsbüchern gibt. Wie echt ist diese Freundschaft? Wie echt ist diese Geschichte?

Nach dem ersten Drittel des Buches scheint es einem beinahe, als lese man einen Roman, etwa eine längere Version von Eric-Emmanuel Schmitts Oskar und die Dame in Rosa, eine Geschichte, in der ein todkranker Junge Gespräche mit einer rosa gekleideten Krankenschwester führt und so seine Angst vor dem Tod besiegt. Eine sehr romantische und zauberhafte Vorstellung vom Sterben, aber eben auch ein Roman. Schmitts zentrales Thema ist der Glaube an Gott (in diesem Fall behandelt das Buch das Christentum). Auch Daniel glaubt an Gott, doch kann kaum die Rede davon sein, dass Lars eine Art »Dame in Rosa« für ihn darstellt.

»Lusche«, »Honk« und Sex

Lars bemüht sich, Daniel jeden Wunsch zu erfüllen, doch dieser empfindet keinerlei Wertschätzung. Im Gegenteil, er ist ein Junge, der seine Eltern und Lars beschimpft und dessen Lieblingswörter »Lusche« oder »Honk« sind. Jetzt könnte man sicher behaupten: Es ist ja auch kein Roman, es ist die Realität und Gefühlsausbrüche machen diesen armen Jungen doch viel authentischer. Das Erschreckende aber ist nicht nur der Gebrauch selbst, sondern der Umgang des Buches damit. Der Leser bekommt den Eindruck vermittelt, als sei dieser zwischenmenschliche Umgang die Norm. Ein erster Gedanke, den man eigentlich nicht zulassen möchte, drängt sich auf: Daniel hat es einfach nicht verdient. Es gibt doch so viele andere kranke Kinder, die Lars‘ Bemühungen sicher mehr anerkennen würden. Im Buch wird erwähnt, dass Lars durch eine Freundin auf Daniel aufmerksam wurde, diese Freundin arbeite als Betreuerin im Hospiz. Doch die Begründung fällt etwas dünn aus, dem Leser wird das ganze Buch hindurch nicht überzeugend dargestellt, was an diesem Jungen so besonders ist bzw. wie der Journalist wirklich auf ihn afmerksam wurde.

Der Alltag ist geprägt von Daniels Weinkrämpfen und Wutausbrüchen, und wenn Lars ihn bittet, verkündet er auf Knopfdruck »Mama ich hab´ dich lieb«. Eine Formel, die jede Beschimpfung wieder ungeschehen machen soll. Terrorisiert er nicht gerade seine Familie, bewertet der Junge Frauen und Mädchen und stuft sie herunter, wenn ihm an ihnen etwas missfällt. Sex ist sein liebstes und meist einziges Thema. Und wenn er dann doch zu dem kleinen schüchternen Jungen wird, den der Leser eigentlich erwartet, werden einem Lebensweisheiten à la Paolo Coelho mit auf den Weg gegeben, um das »ein so tapferer, weiser kleiner Junge«- Gefühl herbeizuzitieren: »Als ich geboren wurde, gab man mir Augen zum Sehen und ein Herz zum Leben. Doch warum hat mir niemand gesagt, dass ich mit den Augen weinen und dem Herzen leiden muss«. Durch Passagen wie »Ein Wunder wäre es, wenn der Liebe Gott mich gesund machen würde. Aber ich weiß ja, dass das nicht passiert. Ist nicht so wild. Gibt Schlimmeres« oder Vergleiche wie » [wie] [w]enn du […] beim Essen nichts schmecken könntest« wird dieses Gefühl präsent gehalten. Da ist er wieder, der Eric-Emmanuel Schmitt und sein Gott.

Es bieten sich dem Leser jetzt zwei Lesarten: Entweder es handelt sich um einen furchtbar authentischen Jungen, der einfach mit der Wut auf seine Krankheit nicht umgehen kann, dies seine Umwelt spüren lässt und dem Lars Amend der größeren Rührseligkeit wegen ein paar Lebensweisheiten mit auf den Weg gegeben hat, die er auf seiner Selbstfindungsreise sammeln konnte. Oder der arme Junge hat zu seiner Herzkrankheit auch noch eine Verhaltensstörung, die geprägt ist von Zorn und Sexismus. Anders ließe sich das Benehmen von Daniel nicht einstufen.

Die Mischung macht‘s

Was unterscheidet dieses Buch also von dem ganzen Einheitsbrei der Bücher über einzigartige Freundschaften in schweren Lebenslagen? Dass es obendrein einen unsympathischen Protagonisten gibt. Diese so beliebten Bücher leben davon, dass man mit den Personen mitfühlt, sie kennen und vielleicht auch schätzen lernt, doch mit jemandem, der entweder wahnsinnig unglaubwürdig oder einfach nur unsympathisch ist, mit dem kann man nicht ganz so einfach mitfühlen. Um Lars Amend einen Rat zu geben: Es gibt da draußen viele sterbenskranke Kinder und statt einen einzigen Jungen, der sich nicht helfen lassen will, mit tausenden Geschenken und Überraschungen zu überanstrengen, sollte er sich lieber denen zuwenden, die auf sein Hilfsangebot anspringen, dann würde sein Leben möglichweise längerfristig einen Sinn bekommen – und sein plötzliches Samariterdasein in einer Welt von Glamour und Party ein wenig mehr Glaubwürdigkeit.

Der Autor hat geschickt das Rezept des Erfolgs zusammengemixt: Ständiges Gerede von Sex (Sex sells), ein tragischer Hintergrund, eine große Freundschaft, gewürzt mit ein paar Nuancen Schmitt und Coelho (deren Sprüche passen immer und in jeder Lebenslage) und fertig ist der Bestseller. Somit wäre die Frage, ob man ein solches Buch kritisieren darf, auch geklärt: Man darf. Denn dieses Buch stellt nicht das Leben mit einer lebensbedrohlichen Krankheit, durchzogen von medizinischen Hintergründen und Mutbekundungen in den Vordergrund (in diesem Falle wäre der Junge sicher mehr zu bewundern gewesen), sondern die Erfolghascherei eines in die Lebenskrise geratenen Journalisten.



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 Veröffentlicht am 28. März 2014
 Kategorie: Belletristik
 Schlösser der Liebe und Freundschaft 2013/2 von kuduzu via Flickr
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