Was passiert mit einem Menschen, wenn er sich auf den Weg zum Sterben macht, und wie verhält sich sein Umfeld? Wie weit kann man jemanden unterstützen, dessen Entschluss man nicht gutheißt? Damit befasst sich Edward Docx in seinem Roman Am Ende der Reise.
Von Marie Affeldt
Der bekannte Wahlspruch »Einer für alle und alle für einen« aus Alexandre Dumas‘ Die drei Musketiere findet sich auch wiederholt im vierten Roman Am Ende der Reise des britischen Journalisten und Schriftstellers Edward Docx, eine Erzählung über das hochaktuelle, aber auch sehr umstrittene Thema der Sterbehilfe. »Alle für einen« steht, auch nach heutigem Verständnis, für ein beinahe uneingeschränktes Solidaritätsprinzip, für gegenseitige Unterstützung, und kann als grundlegendes Motiv des Romans angesehen werden. Es findet sich auch auf der Website von »Dignitas«, einem Verein in der Schweiz, der u.a. Freitodbegleitung anbietet und ebenfalls in der Erzählung Docx´ eine Rolle spielt.
Am Ende der Reise ist aber vor allem ein Buch, das von Familienbanden, ihren Problemen und ihrem Zusammenhalt erzählt. Es ist ein Familienroman, der die Konflikte zwischen zwei Generationen beleuchtet, und eine Art Roadmovie, in dem vor der Kulisse Frankreichs, Deutschlands und der Schweiz reichlich Alkohol fließt, diskutiert und philosophiert wird.
Lou, der die Begebenheiten aus seiner Perspektive schildert, und sein Vater Larry machen sich von England aus in einem alten Campingbus auf den Weg in die Schweiz. Larry hat ALS, eine unheilbare Motoneuronerkrankung. Das Ziel ist Zürich und der Verein »Dignitas«. Die Reise mit dem Bus dauert mehrere Tage und die Protagonisten legen diverse Zwischenhalte ein: Zu einer Weinprobe in einem Château in Frankreich, in einer prähistorischen Höhle oder auf einem Musikfestival. Unterwegs stoßen nacheinander Lous ältere Halbbrüder, die Zwillinge Jack und Ralph, dazu, die dem Zweck der Reise sehr kritisch gegenüberstehen. Beide sind zudem sehr streithafte Charaktere, deren unterschiedliche Ansichten und Verhaltensweisen der Geschichte eine zusätzliche Konfliktebene verleihen.
Immer wieder steht aufs Neue die Frage im Raum, ob Vater und Söhne die Reise zu Ende bringen oder letztlich wieder nach Hause fahren werden. Derweil tauschen sie im Verlauf der Fahrt Ansichten über eine Vielzahl von Themen aus, von Liebe über Religion bis zur Politik, mal aggressiv, mal ironisch.
Docx arbeitet mit einer Vielzahl von Rückblenden, Louʼs Erinnerungen, die das Verhältnis der einzelnen Familienmitglieder zueinander und deren jeweilige Lebensläufe näher beleuchten. Allerdings sind die Sprünge zwischen Vergangenheit und Gegenwart in der Regel unvermittelt, so dass sie den Leser zum Teil aus der Geschichte katapultieren. Die Rückblenden unterstützen zudem den Aspekt, dass die Familie zwar viel spricht, das Wesentliche aber gerne ausspart, das Thema des Sterbens und die Erwähnung des Reiseziels bleiben über eine lange Strecke weitestgehend unausgesprochen und laufen unterschwellig mit, denn Lou und sein Vater achten sehr genau auf ihre Wortwahl. Der Leser wird allerdings gerade durch die krampfhafte Verschwiegenheit immer wieder damit konfrontiert, das Thema ist präsent und zwingt zu einer unmittelbaren Auseinandersetzung. Einer Wertung entzieht sich der Text dabei.
Manchmal zu viel gewolltAm Ende der Reise ist in fünf Teile gegliedert, in denen sich langsam alle beteiligten Personen zusammenfinden, bis zu dem Punkt, an dem die Konflikte offen zutage treten. Docxʼ Schreibstil ist dabei angenehm zu lesen, einfühlsam und treffend, tragisch und komisch zugleich. Es kommt allerdings ab und an der Eindruck einer zu unbedarften Herangehensweise an das Thema der Sterbehilfe auf, auch aus dem Grund, dass es über weite Teile in den Hintergrund tritt – zugunsten der Auseinandersetzungen zwischen den Protagonisten und der Schilderung ihrer Einstellungen.
Am Ende der Reise zeigt aber allem voran einen Entstehungsprozess, der auf der Konfrontation mit der Wahrheit basiert, auf der Tatsache, dass es, entgegen der Illusion der Brüder, nur wenige Optionen zur Entscheidung des Sterbenden gibt. Der Weg ist hier das Ziel, die Reise wird zu einem relevanten Zeitabschnitt für Vater und Söhne, um Abschied nehmen zu können, und schlussendlich bewahrheitet sich der Leitsatz: Wenn es darauf ankommt, sind »alle für einen« da.