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WAS FÜR EINE SÜSSE MARGERITE!

In fragmentarischen Bildern und poetischer Prosa zeichnet die Ich-Erzählerin von Das Margeritenkloster eine farbenfrohe, heitere Phantasiewelt, die aus dem Morast einer traumatisierten Psyche erblüht und einen Ausweg aus dem Gefängnis des gesellschaftlichen Umfelds zu weisen scheint.

Von Doris Wieser

Poetisch, rätselhaft, erschütternd und gleichzeitig heiter. All dies zeichnet den kurzen Roman Das Margeritenkloster der mexikanischen Schriftstellerin Lucero Alanís (1947, Durango) aus. Er handelt von einer Problematik, der man/frau einerseits überdrüssig sein mag, die aber andererseits nicht oft genug behandelt werden kann, da sie ein Problem menschlichen Zusammenlebens darstellt, das wahrscheinlich nie abschließend gelöst wird: sexuelle Gewalt.

Ich stehe alleine vor der Skulptur im Brunnen: umgeben von Kerzen und gelben Blumen, der große Phallus. Hier muss man ihm feierlich Reverenz erweisen und, für alle Fälle, ein Gebet an Gott richten.

In lose aneinandergereihten, kurzen Kapiteln legt die Ich-Erzählerin Margarita ihr verstörtes und verstörendes Innenleben offen. Eine kausale Verkettung ihrer Erlebnisse und Sinneseindrücke lässt sich nicht vollständig rekonstruieren. Verschiedene Lebensalter werden jedoch mit unterschiedlichen Orten verbunden: der Wandschrank im elterlichen Haus, eine Klosterschule, eine psychiatrische Klinik. All diese Stationen und Räume nimmt das Ich als Gefängnis oder Käfig wahr, aus dem es nur gedanklich ausbrechen kann. Genauer genommen ist das Gefängnis aber ihr Körper, der Körper einer dunkelhäutigen, also »ethnisch« markierten Frau, die verschiedenen Unterdrückungsmechanismen des Heteropatriarchats ausgeliefert ist: denen des Vaters, der Priester, Lehrer und Ärzte. Dahinter steht ein stillschweigender Pakt zwischen Staat und Kirche, der Gewalt gegen Frauen, sexuellen Missbrauch bis hin zum Feminizid in der überwiegenden Mehrheit der Fälle duldet und ungeahndet lässt.

Wenn du deine Seele verkaufst, wirst du erlöst, das weiß ich seit dem Kloster, Pater Tarsicio hat mir nämlich immer gesagt, alles werde uns aus Liebe verziehen, wie die Liebe, die er angeblich für mich fühlt, wenn er mich in die Sakristei führt und ich weglaufe und es den Schwestern erzähle und sie sich empören und mir niemand glaubt und ich am Schluss diejenige bin, die ihn gereizt hat.

Buch


Lucero Alanís
Das Margeritenkloster
Ripperger & Kremers 2017
104 Seiten, 14,90€

 
 

Misshandlungen des Vaters (er schlägt die Mutter und vergewaltigt die Schwester), sexuelle Übergriffe der Priester und lüsterne Berührungen von Ärzten treiben die Ich-Erzählerin zu selbstverletzendem Verhalten und vor allem zur kompensierenden Zuflucht in poetische, farbenfrohe Phantasien, die in Form von traumhaften Bildern in dichter Prosa dargestellt werden. Aus ihrer Metaphorik spricht eine traumatisierte Psyche auf Realitätsflucht. Abgestempelt von der Außenwelt als Bulimikerin, Nymphomanin, Schizophrene oder Hysterikerin führt uns Margarita in ein Innen, das zu jung gebrochen wurde, um auf einer politischen Ebene zu rebellieren, das aber stark genug ist, um Überlebensstrategien zu entwickeln und bei der Realisierung von intimen Wünschen aktiv zu handeln: bei der Verführung des Gärtners, innigen Momenten mit der unkonventionellen Tante, homoerotischen Intimitäten mit einer Freundin… Dazu kommt die imaginierte Freundschaft zu kleinen grünen Wesen aus der Natur, die heitere Momente in der sonst düsteren Seelenlandschaft bilden. Aber diese Heiterkeit tut weh, gründet sie doch auf den Trümmern einer missbrauchten, in den Wahnsinn getriebenen Psyche.

[…] ich hebe den Rock, und er [der Gärtner] murmelt, was für eine süße Margerite, man muss sie entblättern, das finde ich toll. Ich will wiederkommen.

Zu feministischen Aufschreien gegen sexuelle Gewalt oder Belästigung (wie die »MeToo«-Kampagne) vernimmt man immer wieder Rufe der Gegenwehr, die sexuelle Belästigung banalisieren. Und die Betroffenen flüchten allzu oft vor der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Thema, sei es aus Scham, sei es aus Selbstschutz. Der Kampf gegen sexuelle Gewalt gehört daher, zusammen mit anderen feministischen Forderungen, permanent auf die politische Agenda. Zu häufig wird sie immer noch verschwiegen oder kleingeredet.

Die metaphorische Sprache und idiomatischen Redewendungen des mexikanischen Spanisch machen die Übersetzung des Romans zu einer Herausforderung. Bei Texten wie diesen hat die Entscheidung für das eine oder andere Wort weitreichende Folgen. Christiane Quandt hat mit Ruhe und Geduld abgewogen, welche Konnotationen und Assoziationen sie durch ihre Wortwahl aufbaut, und wohlüberlegte Entscheidungen getroffen. Eine Reihe davon begründet und erläutert sie in ihrem Nachwort. Zu dieser gelungenen Übersetzung kann man ihr nur gratulieren!

Der Roman erschien zudem in Mexiko in einer zweisprachigen Ausgabe (spanisch-deutsch) bei Mantis Editores – Luis Armenta Malpica (Guadalajara, 2016) unter dem Titel Claustro / Kloster.



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 Veröffentlicht am 5. April 2018
 Kategorie: Belletristik
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